Hamburg. Die Liste der Wellness-Wohltaten ist lang: Landwirt Marquardt tut viel, damit es seinen Rindern gutgeht. Fleisch erzielt Spitzenpreise.
Das matte Licht der Bambuslampen scheint auf schwarz-rot bespannte Wände, von einer Reihe niedriger Hocker fällt der Blick durch ein Panoramafenster auf die Tiere. Das Ambiente im „Showroom“ auf Rüdiger Marquardts Hof entführt den Besucher aus der norddeutschen Provinz auf eine Reise nach Japan. Hinter der Scheibe liegen genüsslich kauend schokoladenbraune Rinder im Stroh. Landwirt Marquardt leuchtet sie mit dem Laserpointer an und erklärt die Besonderheiten der Tiere, die Muttereigenschaften von Myo oder das Gewicht von Haruto.
So eindrucksvoll die Inszenierung auf dem Hof in Negenharrie am Rande der Holsteinischen Schweiz auch ist, Interessenten werden sich derzeit bei Kaufverhandlungen die Zähne ausbeißen. Denn Marquardt will seine Herde ausbauen, anstatt sie kurzfristig zu Geld zu machen. Dabei sind die Summen, die der 61-Jährige in den vergangenen Jahren für einzelne seiner Prachtexemplare eingestrichen hat, atemberaubend. 210.000 Euro erzielte er bei einer Auktion für einen Zuchtbullen, auf gut 30.000 Euro kommen schon die Kälber.
Die Meldungen über Traumrenditen auf dem Hof, der sich auf japanische Wagyu-Rinder spezialisiert hat, fallen in eine Zeit, in der Maquardts Nachbarn auf den Milchhöfen um ihre Existenz fürchten. Der Markt für konventionelle Rinder wird geradezu überschwemmt. Die Schwarz-Bunten, deren Milch in diesen Tagen verschleudert wird, will niemand mehr haben.
Marquardt öffnet den Kühlschrank in seinem Showroom samt Designerküche und hält ein eingeschweißtes Steak in der Hand: 180 Gramm, fein mit Fett durchzogen. „Dafür zahlen Köche 180 Euro“, sagt der Bauer. Doch Marquardt geht es bei seinem Geschäft nur indirekt um die Filets für besonders kaufkräftige Feinschmecker.
Zwar wird sein Wagyu-Fleisch über einen Versender in Norderstedt auch an Privatkunden verschickt, und Sterneköche wie Heinz Wehmann im Landhaus Scherrer oder der Sylter Johannes King (Söl’ring Hof) werden angerufen, falls ausnahmsweise mal ein Tier geschlachtet wird und ein paar Hundert Gramm deutsches Edelrind auf den Markt kommen. Doch Marquardt denkt lieber langfristig und will mit den Tieren züchten. Daher die Zurückhaltung bei Verkäufen. Auch wenn ihm Interessenten aus Österreich, Italien und sogar China die Türen seines Stalls einrennen. Marquardt weiß, dass Wagyu-Rinder in guter Qualität weltweit so selten sind, dass die wenigen zuchtfähigen Tiere finanzielle Zukunftsfantasien wach werden lassen wie die Stars an der Börse.
So verdient der Züchter sein Geld nicht mit dem edlen Fleisch, sondern hauptsächlich mit Bullensamen und Embryos, die er international verkauft. Derzeit baut Marquardt die einzige in Europa zugelassene Transferstation für Embryonen. Dabei werden die Muttertiere in einen Raum geführt, ein Bild von einer Weide an der Wand, und die wenige Tage alte Leibesfrucht wird entnommen und einer anderen Kuh eingepflanzt. So können die Gene der seltenen Wagyus weitergegeben werden.
Vor zehn Jahren hat Marquardt mit drei Kühen angefangen, jeweils 15.000 Euro zahlte er für die Tiere, die aus den USA stammten. Die Familie lebte damals bereits seit sechs Generationen von der Landwirtschaft, und mit dem Wagyu-Experiment setzte der Bauer viel aufs Spiel. Doch Marquardt wusste: Entweder musste er den Betrieb konsequent umstellen auf eine industrielle Produktion, oder er würde das Familienerbe riskieren. „Damit ein Mähdrescher sich rentiert, braucht man heute 300 Hektar“, rechnet der Inhaber vor. Früher hätte die Familie von 30 Hektar leben können, heute beschränkt sich der Besitz auf 180 Hektar, die Pacht wird schließlich immer teurer.
Die Wagyu-Rinder bieten die Chance, möglichst viel aus den Flächen herauszuholen. „Wirtschaftlich war die Entscheidung goldrichtig“, sagt Marquardt. Heute ist seine Herde auf 130 Tiere angewachsen, er ist der größte Züchter in Deutschland. Der Pionier hat in jüngster Zeit noch einmal drei Millionen Euro in neue Tiere und in die Embryonen-Station investiert. Nun leitet er einen Betrieb, in dem anders als bei vielen Massenproduzenten das Tierwohl an oberster Stelle stehen darf – um die Qualität zu heben. Bei den Preisen, die er für sein rares Gut erhält, kann Marquardt seinen Tieren einigen Luxus bieten – ganz anders als die Rinderzüchter, die an Discounter wie Aldi oder Lidl verkaufen.
Nachts lagert das Vieh unter Beleuchtung auf der Weide
Die Liste der Wellness-Wohltaten für die Tiere ist lang. Vor dem Hof parkt ein riesiger Sonnenschirm auf Rollen, groß wie ein Tennisplatz. „Den habe ich gerade aus den USA bestellt, es ist der einzige in Europa“, sagt Marquardt und zeigt auf das mobile Ungetüm, das er auf das Feld schieben kann. Tagsüber bietet der Schirm Schatten, nachts eine LED-Beleuchtung. „Dann erschrecken sich die Tiere weniger, wenn sie fremde Geräusche hören, leben stressfreier und entwickeln weniger Adrenalin.“
Im Stall, der knietief mit frischem Stroh ausgelegt ist, sorgt Hintergrundmusik mit dem nach Erkenntnissen von Wissenschaftlern für Rindern optimalen Beat für gute Stimmung. Das Wasser in den Tränken ist vorgeheizt. Bei der Fütterung mit Spezial-Heu kommen kleinere Portionen Bier zum Einsatz, damit die Tiere ordentlich Hunger bekommen. Im Futterlager sind die Flaschen auf den Kisten als „Ochsenbier“ gekennzeichnet, „das Finanzamt rechnet das dann anders ab“, sagt Marquardt lachend, ein eloquenter Mann, der in Statur und Wesen an den XXL-Ostfriesen Tamme Hanken erinnert. Der hat sich – neben diversen Fernsehteams – auch schon auf dem Hof in Negenharrie umgesehen.
Marquardt hat sich das Wissen über seine Schätze im Stall selber angeeignet. Er beschäftigt mehrere Tierärzte und arbeitet mit Wissenschaftlern zusammen. Sein Neffe, der Pharmazie und Marketing studiert hat, will den Hof in einigen Jahren übernehmen. Die Zukunft ist gesichert. „Ich habe eine internationale Export- und Importlizenz, das Ziel ist, den wachsenden europäischen Markt mit Nachwuchstieren zu versorgen.“ Dieses Geschäft sei schwer kopierbar.
Für Marquardt schließt sich hier der Kreis: „Wir produzieren für den Kunden, und nicht für Konzerne“, fasst er seine Philosophie zusammen. Außerdem lebt er in Negenharrie die Globalisierung: Schleswig-Holstein pflegt eine Partnerschaft mit Kobe, der Heimatregion der Rinder.