Hamburg. Warum das größte Ökumene-Fest im Norden diesmal besonders humorvoll und spektakulär war.

Es ist 20.30 Uhr, als ein Kleintransporter über die Willy-Brandt-Straße rast. Mit wehender Fahne sitzt Frank Engelbrecht, Pastor in St. Katharinen, auf der Ladefläche. „Wie Che Guevara“, raunt ein Spaziergänger, als er die Aktion bemerkt. Der Geistliche ist diesmal in besonderer Mission unterwegs: Gemeinsam mit rund 250 Menschen will Engelbrecht die viel befahrene Willy-Brandt-Straße lahmlegen. Mit dem Segen der Behörden, die für das Spektakel 30 Minuten genehmigt hatten.

So lange jedenfalls gehörte die Trasse, auf der täglich rund 60.000 Fahrzeuge entlangfahren, am vergangenen Sonnabend den Fußgängern. Von 20.30 Uhr bis 21 Uhr feierten sie in der Höhe der Katharinenkirche ausgelassen auf dem Asphalt. „Wie geil ist das denn?“, rief eine Frau, die spontan an der Aktion teilnahm und mit einem Glas Bier einer Privatbrauerei in der Hand über die Straße flanierte. Derweil leitete die Polizei den Verkehr um.

Die Aktion gehörte zum Programm der 13. Nacht der Kirchen. Das größte ökumenische Fest des Nordens zählte diesmal 75.000 Besucher. Mehr als 100 christliche Kirchen in Hamburg und Umgebung hatten am Sonntag unter dem Motto „Lebe, liebe, lache!“ bis Mitternacht ihre Türen geöffnet und präsentierten 700 Stunden Programm, unterstützt von 200o Ehrenamtlichen.

Während auf der autofreien Willy-Brandt-Straße die laue Herbstnacht begann, boten die Street Dancer The Fantastix auf der Straße einen beachtlichen Auftritt. Dann meldete sich Pastor Engelbrecht per Lautsprecher zu Wort. Diese Straße zerschneide die historische Altstadt, sagte er. „Jetzt ist aber die Zeit gekommen, die Stadt wieder zusammenzuführen.“ In 15 Jahren, prophezeite er, werde diese Straße vor allem von Idylle geprägt sein – und nicht mehr vom pausenlosen Verkehr. Mitten auf der Trasse stand, ganz beeindruckt, Professor Wilfried Hartmann. Der frühere Uni-Vizepräsident unterstützt die Idee. Vielleicht könne hier ein Tunnel gebaut werden, meint Hartmann, der auch Präsident der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) ist.

Religiöse Repräsentanten (v. l.): Erzbischof Stefan Heße, Pastor Uwe Onnen,
Bischöfin Kirsten Fehrs, 2. Bürgermeisterin Katharina Fegebank, Pröpstin Ulrike
Murmann
Religiöse Repräsentanten (v. l.): Erzbischof Stefan Heße, Pastor Uwe Onnen, Bischöfin Kirsten Fehrs, 2. Bürgermeisterin Katharina Fegebank, Pröpstin Ulrike Murmann © HA | Marcelo Hernandez

Zwei Stunden zuvor waren hochrangige Geistliche der Stadt über die Mönckebergstraße zur NDR-Bühne gezogen. Dort fand die zentrale Eröffnungsveranstaltung für die lange Kirchennacht statt. Mit Blick auf die globalen Krisen sagte Katharina Fegebank (Grüne), Hamburgs Zweite Bürgermeisterin, sie sei „dankbar, in einer Stadt zu leben, aus der man nicht fliehen muss“. Erzbischof Stefan Heße sagte mit Hinweis auf das Motto der Veranstaltung, ohne Lieben und Lachen werde das Leben „nicht schön“ sein. Bischöfin Kirsten Fehrs ermunterte die Zuschauer auf der Straße, gemeinsam mit ihr einen Kanon zu singen und bei der langen Kirchennacht „kostbare Momente“ zu sammeln. Gern auch mit viel Humor. „Denn wer lacht, der richtet sich selbst auf.“

Wie befreiend Humor in heiligen Hallen sein kann, bewies NDR-Moderator Daniel Kaiser. In der Hauptkirche St. Petri sprach er über das Thema „Lachte Jesus nicht?“ und erzählte diesen Witz: Frage: „Wie lange hat der Pastor denn heute gepredigt?“ Antwort: „30 Minuten!“ Frage: „Und worüber hat er gesprochen?“ Antwort: „Das hat er nicht gesagt.“

Es gab viel Besinnliches in den Kirchen zwischen Bargetheide und Harburg, Geesthacht und Norderstedt. In der ägytisch-koptischen Kirche (Schröderstiftstraße) wurde das traditionelle koptische Abend-Weihrauch-Gebet vor Sonnenuntergang gefeiert. Während in der katholischen Kirche Heilige Familie in Langenhorn spirituelle Musik erklang, stand die Künstlerin Petra Kilian am Mahnmal St. Nikolai (Hopfenmarkt). Im Dunkel der Nacht beleuchteten bei Kerzenlicht mehrere Scheinwerfer ihr Kunstprojekt. Auf 30 einzelne Textilteile aus Leinen hatte die Künstlerin mit Pailletten den kompletten Text der Uno-Menschenrechts-Charta geschrieben. Vier Jahre lang habe sie, mit Unterbrechungen, dafür gebraucht. So konnte sie für sich selbst und für die Betrachter ihres Werkes das Thema Menschenrechte neu erschließen. Mit ernüchterndem Resultat: „Es ist beschämend, wie wenig davon weltweit eingehalten wird.“

Demo auf der Willy-Brandt-Straße
Demo auf der Willy-Brandt-Straße © HA | Marcelo Hernandez

Ein paar Kilometer entfernt waberte Weihrauchduft durch das Barmbeker Dominikaner-Kloster St. Sophien. Ein Mönch fragte in die Runde der Zuhörer – darunter Erzbischof Stefan Heße –, warum sie zur „Mystischen Nacht“ gekommen seien. Weil sie mehr über den Mystiker Meister Eckhart (1260–1328) erfahren wollten, sagten sie. Mit dem traditionellen Nachtgebet klang in St. Sophien die 13. Kirchennacht aus: „Eine ruhige Nacht und ein gutes Ende gewähre uns der allmächtige Herr“, beteten die Gläubigen.