Hamburg. Fast wäre der „Weiße Schwan“ im Hochofen gelandet. Doch er wurde gerettet und ist seit 30 Jahren Museumsschiff.

Mehr als 6000 Menschen drängen sich an diesem kalten Oktobertag an den Landungsbrücken, um das schneeweiße Schiff willkommen zu heißen. Kurz vor 14 Uhr geht ein Raunen durch die Menge, als es endlich elbabwärts auftaucht. Dann begrüßen die Schiffe im Hafen den legendären Frachter mit einem ohrenbetäubenden Typhon-Konzert, zwei Feuerlöschboote spritzen eine meterhohe Wasserfontäne in den Himmel.

Das Luftwaffenmusikkorps 4 schmettert Blasmusik, als Hamburgs Erster Bürgermeister Klaus von Dohnanyi gegen 14.30 Uhr an Bord kommt und von Kapitän Manfred Stroncik die „Cap San Diego“ für Hamburg offiziell in Besitz nimmt. Am 31. Oktober 1986 findet eine dramatische Geschichte ihr glückliches Ende, das zugleich einen verheißungsvollen Neuanfang markiert.

Da fuhr sie noch über den Atlantik: Cap San Diego vor der Kulisse New Yorks
Da fuhr sie noch über den Atlantik: Cap San Diego vor der Kulisse New Yorks © Hamburg Süd-Archiv | Hamburg Süd-Archiv

Um ein Haar wäre auch noch der letzte Frachter der Cap-San-Klasse im Hochofen gelandet und damit für immer verloren gegangen. Dabei hatte die Geschichte dieser unglaublich schönen Frachtschiffe, deren elegante Form eher an Luxusyachten erinnerte, so erfolgversprechend begonnen:

Anfang der 1960er-Jahre gab die Reederei Hamburg Süd bei der Deutschen Werft in Hamburg und den Kieler Howaldtswerken sechs baugleiche Stückgut-Schnellfrachter in Auftrag, die der Hamburger Architekt Cäsar Pinnau entworfen hatte: „Cap San Nicolas“, „Cap San Marco“, „Cap San Lorenzo“, „Cap San Augustin“, „Cap San Antonio“ und „Cap San Diego“ hießen die Schiffe, die nach festem Fahrplan zwischen Hamburg und Südamerika unterwegs waren.

Für die übliche Route, die meist über Bremerhaven und Antwerpen nach Rio de Janeiro und einige andere südamerikanische Häfen führte, bevor es, oft mit einer Zwischenstation auf den Kanaren, über Rotterdam zurück nach Hamburg ging, musste die Reederei zwischen 66 und 90 Tage veranschlagen. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 18 Knoten (33,34 Kilometer je Stunde) waren die Frachter ziemlich schnell unterwegs, dagegen erwies sich das Löschen und Laden in den Häfen als immer recht zeitaufwendig.

Die Cap-San-Schiffe waren die modernsten Frachter ihrer Zeit

Lagen die Schiffe im Hafen, erregten sie oft Aufsehen: Markant war der weit ausladende Bugsteven der weiß-rot lackierten Frachter, die über keine Schornsteine zu verfügen schienen. Die hatte Pinnau in zwei schmalen Pfahlmasten hinter dem Deckshaus versteckt. „Weiße Schwäne des Südatlantiks“ wurden die Cap-San-Schiffe genannt, die auch in technischer Hinsicht das Modernste waren, was deutsche Reedereien damals zu bieten hatten.

Fahrtüchtig - und unter Volldampf
Fahrtüchtig - und unter Volldampf © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Bei dieser volkstümlichen Namensgebung wäre damals wohl niemandem die Assoziation des „sterbenden Schwans“ in den Sinn gekommen. Tatsächlich vollzog sich jedoch gerade in dieser Zeit im Schiffs- und Hafenverkehr eine Entwicklung, die das Schicksal dieses Schiffstyps bald besiegeln sollte. Schon einige Jahre bevor die Hamburg Süd den Auftrag für ihre Cap-San-Klasse erteilte, waren in den USA die ersten jener auf den ersten Blick so unscheinbaren Blechkisten aufgetaucht, die den Frachtverkehr von Grund auf verändern sollten.

Schön sah das nicht aus, und als in den frühen 1960er-Jahren die ersten Containerschiffe Europa ansteuerten, spotteten manche Reeder über die sonderbaren „Schachtelschiffe“. Und Hamburgs Hafensenator und HHLA-Boss Ernst Plate bewies vielleicht Geschmack, aber keinesfalls Weitsicht, als er damals verfügte: „Diese Kiste kommt mir nicht in meinen Hafen.“ Die Kiste war aber nicht aufzuhalten.

1968 brachte die „American Lancer“ der United States Lines die ersten Container in den Hafen, der sich ab jetzt radikal verändern sollte. Statt in traditioneller, aber eben auch sehr arbeitsaufwendiger Weise Fässer, Kisten, Gebinde und Säcke auf den Kaianlagen umzuschlagen und in Speichern zwischenzulagern, konnte man die genialen Kisten, in denen sich quasi jede Fracht unterbringen ließ, ruck, zuck per Kran vom Schiff auf die Kaianlagen heben, wo sie erst gelagert und dann zügig auf der Straße und der Schiene weitertransportiert wurden.

Pool für die mitreisenden und solventen Passagiere
Pool für die mitreisenden und solventen Passagiere © Michael Zapf | Zapf

Tausende Hafenarbeiter mussten nun nicht mehr schweißtreibend Hand anlegen, verloren aber ihren Job. Und auch die alten auf Stückgut und Muskelarbeit ausgelegten Hafenanlagen hatten binnen Kurzem ausgedient und wichen modernen und immer weiter automatisierten Container-Terminals. Im Jahr 1980, als die elegante „Cap San Diego“ noch im Liniendienst zwischen Europa und Südamerika eingesetzt wurde, waren die revolutionären Blechkisten auch im Hamburger Hafen schon ein vertrauter Anblick.

In diesem Jahr wurden erstmals mehr als eine Million Containereinheiten in Hamburg umgeschlagen. Zwei Jahre später wurden die „Cap San Nicolas“ und die „Cap San Lorenzo“ verschrottet, die „Cap San Augustin“ traf es 1984, die „Cap San Marco“ 1985 und die „Cap San Antonio“ 1986.

Und die „Cap San Diego“? Deren Schicksal war eigentlich auch besiegelt, der Verkauf an einen Verschrotter längst beschlossen. Nur einer Verkettung glücklicher Umstände ist es zu danken, dass das Schiff dann doch nicht in einem chinesischen Hochofen endete. Viele Hamburger erinnerten sich Mitte der 1980er-Jahre noch mit Wehmut an die „Weißen Schwäne“, die früher mit schöner Regelmäßigkeit Woche für Woche im Hafen festgemacht hatten.

Und als es darum ging, den 800. Hafengeburtstag vorzubereiten, der im Mai 1989 ganz groß gefeiert werden sollte, eröffnete sich die Chance, das letzte noch verfügbare Exemplar als Museumsschiff für Hamburg zu sichern.

Viel Platz für Ladung
Viel Platz für Ladung © Michael Zapf | Zapf

Kein Wunder also, dass so viele Hamburger die Rückkehr der „Cap San Diego“ am 31. Oktober 1986 bejubelten. Schon am ersten Novemberwochenende hatten sie dann die Möglichkeit gehabt, ihr neues Museumsschiff, das nun an der Überseebrücke festgemacht hatte, zum ersten Mal zu besichtigen. Dort staute sich eine lange Menschenschlange, insgesamt mehr als 11.000 Besucher kamen zu dieser ersten Stippvisite an Bord. Aber während die organisatorischen Weichen für die Zukunft der „Cap San Diego“ als Museumsschiff gestellt wurden, blieb man an Bord nicht untätig.

Schon im August 1987 hatte das Schiff im Dock 15 der HDW gelegen, wo man eine Generalüberholung vornahm. Ziel war immer, die vollständige Funktionstüchtigkeit zu sichern. Das Museumsschiff sollte nicht „museal“ zur Schau gestellt werden, sondern fahrtüchtig sein. Und das Premierendatum stand mit dem 800. Hafengeburtstag fest: Im Mai 1989 sollte der „Weiße Schwan des Südatlantiks“ der Stargast sein.

Und so kam es auch: Wie immer gab es die Einlauf- und die Auslaufparade, das Schlepperballett und viele großartige Schiffe zu bestaunen. Aber die eigentliche Attraktion war nicht auf der „großen Bühne“ an den St. Pauli-Landungsbrücken zu sehen, sondern in Neumühlen.

Dort lag die „Cap San Diego“ und ließ sich von Tausenden bewundern, die glücklich darüber waren, dass dieses Schiff nicht wie die vielen anderen Gäste den Hafen wieder verlassen würde. Nein, das schönste Frachtschiff, das je in Hamburg gebaut wurde, war gekommen, um zu bleiben.

Das Museumsschiff Cap San Diego am 20.10.1986 in Cuxhaven
Das Museumsschiff Cap San Diego am 20.10.1986 in Cuxhaven © picture-alliance/ dpa | dpa Picture-Alliance / dpa Thomas Wattenberg

Ein Museum ist ein Museum, und ein Schiff ein Schiff. Um ein Schiff zum Museum zu machen, ohne seinen Charakter und seine Funktionstüchtigkeit zu beeinträchtigen, muss man sich eine Menge einfallen lassen. So entstanden Durchbrüche und Treppenaufgänge in den Ladeluken und Süßöltanks, die Mannschaftskammern auf der Steuerbordseite wurden zusammengefasst und in ein Bordrestaurant umgebaut. Diese und andere Arbeiten wurden von der Firma Ökotech e. V. durchgeführt, einer Beschäftigungsgesellschaft für arbeitslose Werftarbeiter.

„Leinen los“ hieß es am 30. September 1989, als die „Cap San Diego“ ihren alten Liegeplatz in Neumühlen verließ, um ein Stück elbaufwärts zu fahren. Mit 500 Gästen an Bord erreichte sie wenig später die Überseebrücke, wo sie zunächst an der Außenkante festmachte. Ein reichliches Jahr später wurde sie dann mit Dockschlössern ausgerüstet und an die mit extra gerammten Pfählen dafür vorbereitete Innenkante verholt, wo sie ihren endgültigen Liegeplatz erreicht hatte.

Seither gehört sie an dieser Stelle nicht nur zum Hamburger Hafen-, sondern auch zum Stadtpanorama. Als Museumsschiff ist sie an diesem Liegeplatz, bei dem es sich eigentlich um einen Logenplatz handelt, längst zur Attraktion geworden, und für viele Touristen, die auf der Suche nach maritimen Erlebnissen sind, gehört der Besuch auf dem eleganten Schnellfrachter zu den Höhepunkten ihres Hamburg-Besuchs.

Das Schiff fahrtüchtig zu erhalten ist eine Daueraufgabe

Aber so ganz zufrieden waren die Freunde der „Cap San Diego“ trotzdem noch nicht, denn sie hatten, wie bereits erwähnt, von vornherein einen besonders hohen Anspruch: Das Schiff sollte nicht nur als Museum für Besucher erlebbar, sondern auch wieder auf Dauer fahrtüchtig sein. Es sollte der größte fahrtüchtige Museumsfrachter auf der ganzen Welt sein. Im November 1992 kamen die Spezialisten gleich mehrerer Firmen an Bord, um umfangreiche Arbeiten an der Maschine vorzunehmen.

Und da gab es eine Menge zu tun: Die Kolben der Hauptmaschine mussten gezogen und überholt, die Lenz-Ballastleitungen für die Doppelbodentanks mussten aufgearbeitet und teilweise erneuert werden. Im Herbst 1994 kamen schließlich die Rettungsboote, die die erfahrenen Mitarbeiter von Ökotech zuvor auf Finkenwerder repariert hatten, wieder an Bord.

Das alles muss bezahlt werden, und es kommen immer wieder neue Kosten hinzu. Denn weil das Schiff seine Klasse, also die Zulassung, erhalten soll, muss es alle fünf Jahre aus dem Wasser. Dann kommt es aufs Dock und wird auf Herz und Nieren untersucht. Eigentümerin ist die eigens dafür gegründete Stiftung Hamburger Admiralität, gemanagt wird die „Cap San Diego“ aber von einer Betriebsgesellschaft. „Wir müssen nicht nur kostendeckend arbeiten, sondern auch noch Geld für die Werftaufenthalte verdienen“, sagt Jens Weber, der Chef der Betriebsgesellschaft.

Ganz ist das nicht zu schaffen, an der letzten Generalüberholung im Frühjahr, die mit einer Million Euro zu Buche schlug, beteiligten sich einige Sponsoren und auch der Bund finanziell, der aus seinem Denkmalschutzprogramm 400.000 Euro beisteuerte. Aber einen großen Teil der Kosten erarbeitet die Betriebsgesellschaft. „Ohne die unermüdliche Arbeit der Ehrenamtlichen an Bord wäre das alles nicht zu leisten“, sagt Weber. 135 Ehrenamtliche, die meisten von ihnen frühere Seeleute, opfern einen großen Teil ihrer Freizeit und übernehmen vielfältige Aufgaben: vom Funkdienst über Maschine, Deck, Archiv bis hin zum Shop und zu Hilfsarbeiten im Büro.

Die Betriebsgesellschaft hat zudem 22 Mitarbeiter unter Vertrag. Zur Administration gehören neben dem Geschäftsführer das Bordmanagement und das Front-Office. Es gibt drei fest angestellte Matrosen, einen Maschinenwärter, einen Elektriker sowie auf Minijobbasis sechs Nachtwachen und sieben Kassierer.

364 Tage im Jahr hat das Museumsschiff geöffnet

65.000 bis 80.000 Menschen kommen jedes Jahr als Museumsbesucher auf das Schiff, das 364 Tage geöffnet hat, nur Heiligabend bleibt es geschlossen. Der Jahresumsatz beträgt 1,5 Millionen Euro. 20 Prozent bringt der Museumseintritt ein, weitere Einnahmen bringen Gastronomie, Vermietung, der Shop und der Hotelbetrieb. Auch die kulturellen Veranstaltungen, die Sabine Hanno-Weber regelmäßig organisiert, schlagen auf der Einnahmeseite positiv zu Buche.

Und 30 Prozent werden durch die jährlich bis zu zehn Fahrten erwirtschaftet. Das sind die Höhepunkte: Wenn die „Cap San Diego“ ihren Liegeplatz an der Überseebrücke verlässt, elbabwärts fährt und damit unter Beweis stellt, dass sie eben nicht zum alten Eisen gehört, sondern noch immer aus eigener Kraft fahren kann, dann treibt das selbst manchem alten Seebären die Tränen in die Augen.

Das Hamburger Museumsschiff
Das Hamburger Museumsschiff "Cap San Diego" passiert am 29.02.2016 zu einem Werftaufenthalt die Kaiserschleuse von Bremerhaven (c) dpa © dpa | Ingo Wagner

Bei den Gästefahrten nach Helgoland, Cuxhaven, Rendsburg oder Kiel sind nicht nur Besucher, die aus ganz Deutschland und manchmal sogar aus dem Ausland anreisen, sondern auch die Ehrenamtlichen aufgekratzt und freudig erregt. Für viele von ihnen ist es eine Rückkehr in die eigene Jugend, als sie noch selbst zur See fuhren.

500 Gäste sind Anfang August an Bord, als die „Cap San Diego“ elbabwärts Kurs auf Cuxhaven nimmt. Sie dürfen überall sein, in der Maschine, in der Funkbude, auf dem Peildeck und auf der Brücke. Wenn sie mal im Weg stehen, werden sie freundlich gebeten, Platz zu machen. Blankenese zieht vorbei, und auf Höhe von Wedel nähert sich ein riesiges Containerschiff einer chinesischen Reederei. Der Chinese grüßt mit dem Typhon. Die „Cap San Diego“ erwidert den Gruß. Hinsichtlich der Größe kann sie mit dem massigen Containerschiff nicht konkurrieren, in Sachen Schönheit – darüber sind sich an Bord des „Weißen Schwans“ alle einig – mühelos.