Hamburg . CDU, Grüne und Jüdische Gemeinde prangern an: Senat darf verfassungsfeindliche Aktivitäten der Vertragspartner nicht ignorieren.
Als erstes Bundesland schloss Hamburg 2012 einen Vertrag mit den Islamverbänden. Darin wurden gemeinsame Wertegrundlagen vereinbart, der Religionsunterricht geregelt und die Möglichkeit für Bestattungen nach muslimischem Glauben garantiert. Teile der CDU lehnten die Verträge ab, da als Partner auch radikale vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppen einbezogen wurden. In den vergangenen Wochen ist die Kritik an der Art, wie Hamburg und die Verbände mit der Vereinbarung umgehen, lauter geworden – und kommt jetzt auch von Grünen, von der jüdischen Gemeinde und der SPD.
Hintergrund ist zum einen die Entwicklung in der Türkei. Denn einer der drei Vertragspartner ist der türkisch-islamische Dachverband DITIB, der von der türkischen Regierung und Präsident Recep Tayyip Erdogan gesteuert wird – was dazu geführt hat, dass andere Bundesländer ihre Verhandlungen mit
DITIB auf Eis gelegt haben. Zum anderen gibt es Kritik am zweiten Vertragspartner, der Schura, dem Rat der Islamischen Gemeinschaften. Denn im Schura-Vorstand sitzt mit Mustafa Yoldas ein Mitstreiter der Bewegung Milli Görüs, deren „Fernziel“ laut aktuellem Verfassungsschutzbericht „die weltweite Einführung einer islamischen Staats- und Gesellschaftsordnung unter Führung der Türkei“ ist.
Vorstandsmitglied der Schura ist außerdem Ajatollah Reza Ramezani, Leiter des zur blauen Imam-Ali-Moschee an der Alster gehörenden Islamischen Zentrums Hamburg (IZH), das laut Verfassungsschutz aus dem Iran gesteuert wird. Erst im Juli beteiligten sich laut Verfassungsschutz erneut „Besucher und Funktionäre des IZH am israelfeindlichen ,Quds-Tag‘“. Das IZH verfolge „extremistische Bestrebungen“, so der Verfassungsschutz.
Stefan Hensel, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, wirft dem Senat jetzt vor, die Augen vor den verfassungsfeindlichen Aktivitäten seiner Vertragspartner zu verschließen. „Die Schura verniedlicht Terror, und die IZH ruft zur Vernichtung Israels auf“, sagte Hensel dem Abendblatt. „Ich verstehe nicht, wie der Senat bei seinen Vertragspartnern einfach darüber hinweggeht. Wenn rechtsstaatliche Normen einfach übergangen werden, ist das Futter für Rechtspopulisten und Gift für unsere Demokratie.“ Philipp Stricharz, Zweiter Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hamburg, ergänzt: „Es irritiert uns als Jüdische Gemeinde sehr, dass der Senat das Verhalten der IZH offenbar achselzuckend hinnimmt.“
Blick der Grünen auf das Thema scheint kritischer zu werden
Auf Unverständnis stieß auch die Tatsache, dass sich Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) kürzlich mit IZH-Chef Ramezani bei einer Veranstaltung eines privaten Vereins fotografieren ließ. Scholz agiere „geradezu naiv“, sagt der CDU-Landesvorsitzende Roland Heintze auch mit Blick auf die Fotos. „Daran, dass sich alle Vertragspartner zum Grundsatz der Neutralität des Staates bekennen und alle staatlichen Gesetze achten, gibt es begründete Zweifel.“ Daher müsse Scholz „zügig den kritischen Dialog suchen“, so Heintze. „Und die Verträge müssen meines Erachtens auf den Prüfstand.“ Auch bei DITIB sehe er „viele Fragezeichen“, so Heintze. „Ob wir wirklich anderen Staaten Einflussnahme auf unsere Lehrpläne geben wollen, möchte ich bezweifeln.“
Auch der Hamburger Grünen-Vorsitzende Michael Gwosdz nannte den Auftritt von Scholz mit dem Ajatollah „nicht glücklich“. Er finde es zudem „bedauerlich, dass die Gruppen, die den Staatsvertrag tragen und Vertreter der Stadt sich nicht regelmäßig austauschen“. Er habe „die Erwartung, dass man mit den Vertragspartnern auch Probleme offen anspricht“. Es sei „nicht hinnehmbar, dass das IZH als Teil der Schura wiederholt die Vernichtung Israels fordert“. Gleichwohl verteidigt Gwosdz den Vertrag. Dessen größter Vorteil sei „die Festlegung auf einen von den unterschiedlichen Glaubensrichtungen gemeinsamen gestalteten Religionsunterricht“, so der Grünen-Chef.
Insgesamt scheint der Blick der Grünen auf das Thema kritischer zu werden. „Die Schura muss die IZH ausschließen“, forderte etwa das Hamburger Grünen-Mitglied Peter Schwanewilms, der auch in der „Iran-Solidarität Hamburg“ aktiv ist. „Wenn sie das nicht tut, kann die Schura nicht weiter Vertragspartner sein. Man muss sich mal vorstellen, was passieren würde, wenn Rechtsradikale solchen Hass gegen Israel schüren würden, dann wäre jeder Vertrag binnen Sekunden gekündigt.“
Die muslimischen Verbände seien „eher Teil des Problems, wenn es um die Einbürgerung des Islams gehe“, hatte Grünen-Bundeschef Cem Özdemir kürzlich zusammen mit dem israelisch-arabischen Autor Ahmad Mansour in einem Gastbeitrag für die F.A.S. geschrieben. „Die Verbände erfüllen derzeit nicht die vom Grundgesetz geforderten Erwartungen an eine Religionsgemeinschaft ... Staatliche Ebenen müssen ihre Partner in der Integrationsarbeit sorgfältiger auswählen.“
"Man hat vergessen, über die Scharia zu reden"
Scharfe, eher grundsätzliche Kritik an den Verträgen kommt vom Hamburger Grünen Paul Nellen, der zu den Mitbegründern des bundesweiten Arbeitskreises "Säkulare Grüne" gehört. "Es hat mit den Verbänden leider nie eine Diskussion über die Gültigkeit der Scharia und die verpflichtende Unterordnung des Islam unter das Säkularstaatsprinzip gegeben", so der Autor und Journalist. "Man hat sich lieber mit Lippenbekenntnissen zum Grundgesetz und zu den Menschenrechten zufrieden gegeben und sich auf 'gemeinsame Wertegrundlagen' festgelegt, aber vergessen zu fragen, wie es denn mit den in der Scharia niedergelegten nicht-gemeinsamen Wertegrundlagen bestellt ist."
Das lasse "interpretatorische Schlupflöcher offen, die zu dauernden Konflikten führen", so Nellen. "Dem Säkularstaatsprinzip ohne Wenn und Aber Geltung zu verschaffen und dabei keinerlei religiöse Ausnahmen zuzulassen wäre jetzt eine wichtige Aufgabe der Hamburger Politik. Gegenüber dem Islam, aber natürlich auch gegenüber allen anderen Religionen. Alle Arten von Sonderausnahmen gehören daher auf den Prüfstand."
Kritik kommt auch vom Hamburger SPD-Migrationspolitiker Kazim Abaci. „Es ist Sache der Schura, dafür zu sorgen, dass ihre Mitglieder sich an die Verfassung und damit auch an die Verträge mit der Stadt halten“, so Abaci. Der SPD-Politiker äußerte sich auch kritisch zu DITIB. „Grundsätzlich sehe ich die Einflussnahme aus dem Ausland auf die Verbände in Deutschland kritisch“, so Abaci. Das gelte auch für Einflüsse aus arabischen Staaten. „Die Verbände bei uns müssen sich entscheiden, ob sie Teil der europäischen und deutschen Gesellschaft sein wollen oder nicht.“
Schura-Vorsitzender Yoldas weist Kritik zurück
Mustafa Yoldas vom Vorstand der Schura wies die Kritik zurück. „Die Annahme, das IZH habe sich in diesem Jahr am Al Quds-Tag beteiligt, ist absolut nicht zutreffend“, so Yoldas. „Es mag sein. dass Einzelpersonen aus der IZH-Gemeinde oder deren Umfeld an der Demonstration teilgenommen haben. Dies mag ich als Schura-Vorsitzender bedauern, ist aber von unserem Vorstand letztlich nicht direkt beeinflussbar und auch nicht zu verantworten."
Und weiter: "Als Schura ist unsere inhaltliche Position unzweideutig: Dass der Quds-Tag aus seinem politischen Kontext heraus als antisemitisch wahrgenommen wird, ist für uns nachvollziehbar. Wenn auch die große Mehrheit der Muslime einen Migrationshintergrund hat, sehen wir als Religionsgemeinschaft in Deutschland auch eine Verantwortung in Bezug auf die Geschichte dieses Landes. Deshalb ist es für uns als Schura wesentlich, uns von jeder Art von Antisemitismus klar und eindeutig zu distanzieren. Dies ist meines Erachtens in der Vergangenheit auch in den öffentlichen Positionierungen von Schura deutlich geworden, auch wenn wir der Besatzungspolitik Israels kritisch gegenüber stehen wie die breite Masse der Deutschen." Es bestehe "kein Grund, den Staatsvertrag infrage zu stellen“, so Yoldas. "Das Bekenntnis der Schura zur Verfassung „war Grundlage des Staatsvertrages, und hieran hat sich nichts geändert“.
Senatssprecher Jörg Schmoll betonte, dass der Senat hinter den Verträgen stehe, „wenngleich wir die politischen Vorstellungen mancher für völlig falsch halten“. Die „übergroße Mehrheit“ der Vertragspartner verhalte sich verfassungskonform.
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