Hamburg . Schauspieler Peter Maertens steht seit 60 Jahren auf der Bühne, beim Thalia ist er der Dienstälteste – mit Hang zum Aberglauben.

Um den Hals trägt Peter Maertens ein Kettchen mit seinen Glücksbringern: einer 13, einem Davidstern und einem Nilpferd. „Am Theater ist Aberglaube ja sehr verbreitet“, sagt er. Einen anderen Talisman trägt er verdeckt: „Wenn ich einen Erfolg hatte, benutze ich bei den nächsten Aufführungen immer dieselbe Unterhose. Gewaschen natürlich“, erzählt er und muss selbst über diese Marotte schmunzeln.

Selbstironie gehört zu den Wesenszügen dieses kernigen Schauspielers. Sein letzter großer Erfolg liegt erst ein paar Monate zurück. Im Januar stand Maertens gemeinsam mit dem jungen Kollegen Sven Schelker in dem Kammerspiel „Besuch bei Mr. Green“ auf der Bühne in der Gaußstraße und erntete begeisterte Kritiken. „Kann der das denn noch?“, hatte Intendant Joachim Lux beim Regisseur Wolf-Dietrich Sprenger vorsichtig nachgehakt. Eine nicht abwegige Frage, denn Peter Maertens wird am Dienstag 85 Jahre alt. Ja, er kann es noch, bescheinigten ihm nach der Premiere Kritik und Publikum.

Theater ist sein Lebenselixier

Eigentlich könnte man mit 85 Jahren aufhören zu spielen, doch für Peter Maertens ist das Theater sein Lebenselixier. Das Alter sieht man ihm nicht an. Die Haltung kerzengerade, das Haar nur in der Stirn etwas schütter, die Stimme fest. Zum Interview kommt er in legeren Jeans ins Thalia. Im Haus am Alstertor ist wegen der Theaterferien noch nicht viel los. Aber die wenigen Techniker, die uns beim Gang durchs Haus begegnen, begrüßt Maertens alle freundlich beim Vornamen. Er kennt hier jeden. „Das erste Mal war ich im Alter von sechs Jahren hier. Mein Vater spielte damals ,Das tapfere Schneiderlein‘“, erinnert er sich. Das war 1938.

Willy Maertens gehörte in Vorkriegs- und Kriegszeit zu den beliebten Schauspielern am Thalia, nach Ende des Krieges wurde er der erste Intendant. „Willy, mach du es“, hatten ihn die Kollegen aufgefordert. Da seine Frau Jüdin war, er sich aber nicht hatte scheiden lassen und nicht mit den Nazis paktiert hatte, akzeptierten die britischen Besatzer Willy Maertens als Thalia-Intendanten.

18 Jahre lang leitete er die Geschicke am Alstertor. 1961 holte er seinen Sohn Peter in das Ensemble. Der kam mit besten Empfehlungen aus Göttingen zurück nach Hamburg, wo er die Schauspielschule besucht und dann ein paar Jahre außerhalb der Hansestadt seine ersten Bühnenerfahrungen gesammelt hatte.

Inzwischen gibt es am Thalia eine Maertens-Dynastie, denn auch Peter Maertens’ Kinder Kai, Michael und Miriam haben hier Theater gespielt. In der Ära von Ulrich Khuon standen sie anlässlich des 50. Bühnenjubiläums in „Die Lügen der Papageien“ sogar zu viert gemeinsam auf der Bühne. „Zugeraten habe ich ihnen nicht. Die Kinder haben ja das wechselhafte Leben mitbekommen. Aber es wurde zu Hause ja viel über Theater geredet, das hat sie alle drei fasziniert.“

Thalia Theater ist Peter Maertens’ Zuhause

Stolz berichtet Peter Maertens von dem Erfolg, den sein Sohn Michael bei den Salzburger Festspielen mit Becketts „Endspiel“ gefeiert hat. Der jüngere Sohn ist in Zürich und an der Wiener Burg engagiert, Schwester Miriam arbeitet ebenfalls am Züricher Schauspielhaus, Kai ist gerade aus Berlin nach Hamburg zurückgekehrt und verdient sein Geld überwiegend mit Fernsehrollen. „Nur meine Frau Christa hat mit Theater nichts zu tun. Sie ist die einzige Normale bei uns“, sagt Maertens mit einem Lächeln.

Das Thalia Theater ist Peter Maertens’ Zuhause. Seit er 1961 an das Haus kam, hat er es nur noch zweimal verlassen, ein paar Jahre in den 70ern und dann noch mal von 1991 bis 1994 in der Intendanz von Jürgen Flimm. „Ich bin als Schauspieldirektor ans Schleswig-Holsteinische Landestheater gegangen, weil ich dort selbst inszenieren und auch ein paar große Rollen wie den Nathan spielen konnte. Ich bin froh, dass ich diese Erfahrung gemacht habe. Aber ich war genauso froh, wieder nach Hamburg zurückkehren zu dürfen, weil Flimm mir meine Stelle frei gehalten hat“, erzählt er.

1963: Peter Maertens, damals 32, als
Julian Christoforous in „Geben Sie
acht“
1963: Peter Maertens, damals 32, als Julian Christoforous in „Geben Sie acht“ © picture alliance

Der Theater-Senior steckt voller Geschichten, Erinnerungen und Anekdoten. Man muss ihn nur anticken, und dann sprudelt es aus ihm heraus. Genauso gern wie über Theater spricht Maertens über Fußball. „Ich bin fußballverrückt“, gibt er zu. Als Jugendlicher hat er mit Dieter Seeler und Jochen Meinke in der Jugend des HSV gespielt, jetzt gehört sein Herz dem FC St. Pauli. „Meine Söhne haben mich vor vielen Jahren schon zu St. Pauli gelotst, weil die Atmosphäre dort so toll ist und man als Zuschauer wie in den englischen Stadien dichter am Spiel ist.“ Für die Heimpartien besitzt er eine Dauerkarte, die Auswärtsspiele schaut er mit einem Freund in einer Kneipe an der Langen Reihe nahe seiner Wohnung in St. Georg. Strahlend erzählt er auch von den Spielen um die Deutsche Theatermeisterschaft. Zweimal hat das Thalia gewonnen, und Maertens war natürlich mittenmang.

Maertens Vertrag am Thalia wurde nicht verlängert

Bis zur abgelaufenen Spielzeit hatte der Doyen des Thalia Theaters einen Vertrag mit dem Haus, der aber nicht verlängert worden ist. „Für ältere Schauspieler gibt es ja nur noch wenige Rollen, aber es ist schon gewöhnungsbedürftig, keinen Vertrag mehr zu haben“, sagt er. Als Gast wird er dem Haus auch mit 85 Jahren erhalten bleiben, denn „Warten auf Mr. Green“ läuft weiter, auch in Handkes „Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten“ steht er auf der Bühne. Aber so ganz kann sich dieser immer noch neugierige Schauspieler mit seinem Rentnerdasein nicht anfreunden: „Vielleicht schenken sie mir zum Geburtstag ja noch eine Rolle.“