Neustadt. Wiederholt Großeinsätze der Polizei an der Binnenalster. Vergangene Nacht gingen Jugendliche mit Flaschen aufeinander los.

Helles Pflaster, Bäume, Sitzgelegenheiten, Blick aufs Wasser – der Jungfernstieg ist seit seinem Umbau 2006 ein Prachtboulevard, der, so hieß es damals, „wieder zur Visitenkarte der City“ werden sollte. Doch jetzt ist aus der Flaniermeile ein Brennpunkt an der Binnenalster geworden. Abends bevölkern Drogendealer, Schläger sowie trinkende junge Erwachsene den Anleger. Und die Polizei ist im Dauereinsatz – zuletzt gegen einen mutmaßlichen Dealer, der auf der Flucht in die Binnenalster sprang, sowie gegen zwei Gruppen, die mit Flaschen aufeinander losgegangen waren.

Dabei ist das Grundproblem nicht neu, sagt ein Gastronom vom Jungfernstieg. „Dass sich hier spätabends Gruppen treffen und auch Alkohol konsumieren, ist schon seit zehn Jahren so“, sagt er. Nach 20 Uhr, wenn die Geschäfte geschlossen sind und die Touristen nicht mehr flanieren, sammeln sich dort die jungen Leute in kleinen Gruppen – auch deshalb, weil das Gratis-WLAN des nahen Apple Stores bis hierhin reicht.

Der Polizei ist die Situation bekannt

„Manchmal kommt es hier auch zu Schlägereien“, sagt der Gastronom. Dann versammelt sich schnell eine Gruppe Interessierter, die die Auseinandersetzung gebannt verfolgt. Nachts verschwindet die Szene wieder. Spätestens wenn die Sonne aufgeht, sieht man, dass es hoch hergegangen sein muss. Unzählige leere Flaschen bleiben als stumme Zeugen des nächtlichen Treibens auf den Treppen des Anlegers liegen. Der Polizei ist die Situation bekannt. „Der Alsteranleger ist seit Jahren ein Treffpunkt für Jugendliche und Heranwachsende“, sagt Polizeisprecher Timo Zill. Dabei handelt es sich um jüngere Leute „aus allen Stadtteilen und dem Umland“. Dazu kommt eine sogenannte Cruiser-Szene, die hier fast jeden Abend mit aufgemotzten Autos und ohrenbetäubend lauten Motoren ihre Runden dreht und dabei auch keine Rücksicht auf schlafende Anwohner in den Nebenstraßen nimmt. Deswegen hat die Polizei vor einem Jahr sogar zwei stationäre Blitzer aufgestellt, die Raser zumindest abschrecken sollen.

Polizeieinsatz am Jungfernstieg
Polizeieinsatz am Jungfernstieg © JOTO

Polizeisprecher Zill sagt über die Situation: „Wir können keine Verschärfung feststellen.“ Der Jungfernstieg sei aus Sicht der Hamburger Polizei kein Kriminalitätsschwerpunkt. Seit Anfang August seien lediglich vier Raubüber­fälle angezeigt worden. In diesem Jahr wurden jedoch schon rund 50 Körperverletzungsdelikte bekannt. „Oft untereinander“, sagt Zill. Dennoch hat man schon vor drei Jahren das „Binnen­alster-Konzept“ eingeführt, mit dem gegen die Auswüchse vorgegangen werden soll. Das Konzept basiert auf Präsenz: Die Polizei ist sichtbar vor Ort und greift ein, wenn sich Konflikte anbahnen. „Manchmal muss man klar zeigen, wer der Herr im Haus ist, und auch einzelnen Leuten auf die Füße treten“, sagt Zill. Der „Normal-Hamburger“ brauche keine Angst zu haben. „Man muss sich dort nicht unsicher fühlen“, sagt Zill.

"Es geht ums Trinken und um Frauen"

Bei den vor Ort eingesetzten Polizisten ist der Jungfernstieg dagegen berüchtigt. Sie kommen zu einer eigenen Einschätzung der Lage. Die junge „Szene“, 200 bis 300, manchmal sogar 400 Personen, besteht zu fast 85 Prozent aus Männern, die mittlerweile „zu einem großen Teil aus Ländern rund um das Mittelmeer“ kommen. Sie stehen in kleinen Gruppen von fünf bis zehn Personen, oft nach Herkunft aufgeteilt, an den Bänken, auf denen Alkoholika wie auf Bartresen aufgereiht werden. „Jugendliche finde man kaum. Es sind Heranwachsende oder Erwachsene, mit denen wir es zu tun haben“, sagt ein Beamter. Der weibliche Teil der Besucher sei gemischt. „Es sind junge Frauen, häufig aus bildungsfernen Schichten, die sich hier die Bestätigung für ihre Attraktivität holen.“ Zusammengefasst: „Dort geht es fast ausschließlich ums Trinken – und um Frauen.“

Das birgt Konfliktpotenzial. Besonders auffällig seien dabei Nordafrikaner wegen ihrer hohen Aggressivität. Kommt die Polizei, solidarisiert man sich schnell untereinander.

So wie am Mittwochabend. Da hatte die Polizei einen Syrer (27) im Zusammenhang mit einem Drogendelikt festnehmen wollen. Der war angesichts der anrückenden Beamten in die Alster gesprungen. Die Beamten mussten auch gegen einen Iraker vorgehen, der die Umstehenden aufwiegeln und den Polizeieinsatz unterbinden wollte. Neun Streifenwagenbesatzungen waren nötig, um die Lage kontrollieren zu können.

„Drogendelikte waren eigentlich bislang kein Thema“, sagt der Beamte. „Wir haben es hier mit niederschwelliger Kriminalität zu tun, die durch spontan entstandene Konfliktsituationen zustande kommt.“ Zwar würden am Jungfernstieg auch Drogen konsumiert. „Das riecht man“, sagt der Polizist. „Es war aber bislang lediglich ein Konsum, der in der Menschenmenge kaum jemandem zuzuordnen ist.“

Polizei sucht Zeugen nach Massenschlägerei

Auch am Donnerstagabend kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen. Dabei sollen sie mit abgebrochenen Flaschen aufeinander losgegangen sein. Ein 25-Jähriger wurde unterhalb eines Auges verletzt. Er wurde in der Hochbahn-Wache am Jungfernstieg erstversorgt. Die Polizei war mit einem größeren Aufgebot vor Ort und überprüfte mehrere Personen. Die Beamten suchen nun nach einem Mann zwischen 25 und 30 Jahren, der ungefährt 1,70 bis 1,75 Meter groß sein und ein südländisches Aussehen haben soll. Zur Tatzeit trug er einen dunkelblauen Pullover und eine schwarze Hose. Hinweise zum Täter nimmt die Verbindungsstelle im Landeskriminalamt unter der Rufnummer 4286-56789 entgegen.

Polizei versucht zu beschwichtigen

Brenzlig war es für die Polizei zuvor schon am Dienstag, als die Beamten zwei 19 und 20 Jahre alte Ägypter am Jungfernstieg festnahm. Auch bei diesem Einsatz war ein Großaufgebot nötig, um die Aktion durchführen zu können. Sie richtete sich vor allem gegen den 20-Jährigen, einen bereits als Intensivtäter geführten Mann, gegen den ein Haftbefehl wegen mehrerer schwerer Körperverletzungen und Bedrohungen vorlag. Er wird sich lediglich vor einem Jugendgericht verantworten müssen. Ob der Mann, der als Flüchtling nach Hamburg kam und bereits seit drei Jahren wegen Straftaten immer wieder mit der Polizei zu tun hat, auch abgeschoben werden kann, müssen die Behörden nun prüfen.

„Es läuft uns dort nicht aus dem Ruder“, versichert Polizeisprecher Zill. Es sei aus seiner Sicht kein Brennpunkt, „aber ein Ort, an dem wir präsent sein müssen und es auch sind“. Dagegen sagt ein Beamter vor Ort: „Wir haben fast immer zu wenig Kräfte, weil es zu viele andere Prioritäten gibt.“ Das Abendblatt wird die Lage weiter beobachten.