Berlin/Hamburg. Per App und im Internetkönnen Kunden schnell die günstigste Tankstelle finden. Doch die Anbieter haben Gegenstrategien entwickelt.

Ein Blick auf die Benzinpreis-App reicht, und schon ist die billigste Tankstelle in der Nähe gefunden. 1,19 Euro kostet der Liter Superbenzin dort. Vier Cent mehr sind es beim teuersten Anbieter in der Umgebung. Es ist Freitagabend, 18.30 Uhr.

Zwölf Stunden später ist der Preisabstand zwischen der günstigsten und teuersten Tankstelle unverändert. Nur werden für den Liter Sprit nun wenigstens 1,27 Euro aufgerufen. Im Tagesverlauf wird sich der Preis noch häufig ändern und am Abend wieder auf niedrigem Niveau landen – doch nur bis etwa 22 Uhr. Dann schnellen die Preise für Benzin und Diesel wieder sehr deutlich in die Höhe.

Noch vor einigen Jahren war es weitgehend egal, zu welcher Tageszeit man tankte, die Preise veränderten sich selten. Die Unterschiede waren gering. Heute ist die nachlassende Konkurrenz unter den Tankstellen zum Abend hin einer der Gründe, warum die Preise am späteren Abend höher sind. Viele schließen gegen 22 Uhr, die verbleibenden Anbieter können also höhere Preise verlangen, ohne dass Kunden zu einer Billigkonkurrenz ausweichen könnten.

An sich war die Diskussion darüber, ob es zwischen den großen Mineralölfirmen möglicherweise Absprachen über den Zeitpunkt von Preiserhöhungen und -senkungen gebe, bereits eingeschlafen, seit sich jedermann rund um die Uhr im Netz oder per App über die aktuellen Preise an den Tankstellen informieren kann. Das ist einer Abteilung des Bundeskartellamts mit dem sperrigen Namen Markttransparenzstelle (MTS) zu verdanken.

Im September vor drei Jahren startete diese ihren Probebetrieb. Seither müssen alle Tankstellen jede Änderung ihrer Preise zeitnah melden. Die MTS stellt diese Daten dann privaten Diensten zur Verfügung, die sie veröffentlichen. 54 Informationsdienste verbreiten die Preisliste derzeit per Internet.

Doch die Meinungen über die Auswirkungen der MTS gehen weit aus­einander. „Der Wettbewerb hat sich intensiviert“, sagt Christian Küchen, Hauptgeschäftsführer des Mineralölwirtschaftsverbandes. Tankstellen mit höheren Preisen würden deutlich weniger häufig von Kunden angefahren. Auch spreche die Vielzahl der Preisänderungen im Verlauf eines Tages für große Konkurrenz unter den Anbietern.

Tatsächlich ist Benzin in den beiden letzten Jahren deutlich billiger geworden. „Dass die Preise gesunken sind, hat damit nichts zu tun“, sagt jedoch der Kraftstoffexperte des ADAC, Jürgen Albrecht, zur These der Ölfirmen. Er führt die Abwärtsbewegung vor allem auf den gesunkenen Ölpreis zurück, der den Einkauf von Benzin für die Tankstellenbetreiber billiger macht. Was schon kleinste Aufschläge beim Benzinpreis für die Betriebe ausmacht, verdeutliche eine Zahl. „Wenn ich am Jahresende einen Cent mehr beim Durchschnittspreis durchsetze“, rechnet Albrecht vor, „sind es 600 Millionen Euro mehr Umsatz.“

Der Ökonom Ralf Dewenter von der Universität Hamburg ist ebenfalls sehr skeptisch, was die Auswirkungen der größeren Preistransparenz angeht. „Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Preise möglicherweise gestiegen sind“, sagt der Forscher, der derzeit an einer Studie zu dem Thema arbeitet. Er sagt, die MTS habe auch in anderen Ländern keinen Einfluss auf den Preis.

Die Kartellbehörde beobachtet allerdings, dass die früher üblichen Preissprünge vor Feiertagen im vergangenen Jahr ausgeblieben sind und Kunden das Informationsangebot in den elektronischen Medien auch in größerem Umfang nutzen. Noch im Verlauf dieses Jahres will auch das Wirtschaftsministerium eine Auswertung vorlegen.

Experte sieht Gefahr einer Kartellbildung

Die Kartellbehörde stellt aber auch fest, dass die Mineralölanbieter die MTS-Daten für sich nutzen und neue Preisstrategien entwickelt haben. Dazu gehört etwa die Tiefpreisgarantie der Tankstellenkette HEM. Dabei arbeitet HEM mit der App „clever-tanken“ zusammen. Wer dort einen günstigeren Anbieter in der Umgebung findet, bekommt den jeweils besten Preis dann ebenfalls. „HEM-Tankstellen tragen mit der einfach zu verwendenden Tiefpreisgarantie auf dem Handy also zu höherer Preistransparenz und niedrigeren Preisen bei“, teilt eine Sprecherin des Unternehmens mit.

Der Konkurrent Shell konterte den Vorstoß. Inhaber einer Clubcard von Shell erhalten die Garantie, dass sie maximal zwei Cent mehr bezahlen als der billigste Anbieter in der Umgebung. Auch bietet Shell Pauschalangebote, mit denen das Tanken von Premiumkraftstoffen günstiger werden kann. „Wir haben allein seit Einführung der Shell-Clubsmart-Preisgarantie eine Million zusätzliche Clubsmart-Mitglieder“, sagt Shell-Sprecherin Cornelia Wolber.

Der Hamburger Ökonom Dewenter sieht in diesen Preisgarantien allerdings die Gefahr einer unausgesprochenen Kartellbildung. „Ist die Garantie wirksam, kann dieser Anbieter nicht mehr unterboten werden“, erläutert der Forscher. Denn jede Preissenkung wird umgehend vom Konkurrenten mitgemacht und der Wettbewerb so ausgehebelt. „Es könnte eine Situation wie im Kartell entstehen, ohne dass sich die Unternehmen absprechen“, warnt Dewenter.

Allein das Signal eines Wettbewerbers, jeden Preis mitzugehen, ohne ihn zu unterbieten, reicht demnach. „Die MTS erleichtert so ein Verhalten übrigens noch, da jede Tankstelle nun in Sekundenschnelle die Preise der Konkurrenz überprüfen und die eigenen Preise anpassen kann.“ Und das – dann allerdings zum Nachteil der Verbraucher – natürlich auch nach oben.