Hamburg. Je 60 Minuten begleitet das Abendblatt einen Hamburger an dessen Arbeitsplatz. Teil 12, 11–12 Uhr: Tobias Barta, Berater im Pik As.
Tobias Barta sitzt an seinem Schreibtisch in einem kleinen Zimmer. Hier kümmert sich der Fachkrankenpfleger für Sozialpsychiatrie als Sozialberater um die Ärmsten der Armen in dieser Stadt. Diejenigen, die auf der Straße leben, und wenn sie nachts ein Dach über dem Kopf haben wollen, hierherkommen: ins Pik As. Es ist mit 333 Betten Hamburgs größte Notunterkunft für obdachlose Männer.
Wer ein Bett für die Nacht braucht, kann sich ab 17 Uhr an der Rezeption registrieren lassen und erhält dann eine Bettkarte, auf der Zimmer- und Bettnummer vermerkt sind. Morgens bis 9 Uhr müssen diese Übernachtungsgäste das Haus wieder verlassen haben.
Saubere Wäsche wird angeliefert
Wer um 11 Uhr das Pik As betritt, hat schon im gefliesten Eingangsbereich den Eindruck großer Geschäftigkeit. Jetzt ist im ganzen Haus die Zeit des Aufräumens. In der Halle stehen Stapel von leeren Plastikkisten, in den Lebensmittelspenden angeliefert werden, mit denen sich die Bewohner selbst verpflegen können. Im ganzen Haus sind Reinigungskräfte unterwegs. Saubere Wäsche wird angeliefert. Es werden Betten von Personen geräumt, die nach einer Übernachtung in der zweiten Nacht nicht wieder aufgetaucht sind. Zu dieser Zeit läuft auch die Sozialarbeit auf Hochtouren. Neben Tobias Barta, der als Sozialberater eine Sozialpädagogenstelle hat, kümmern sich noch drei weitere Fachkräfte um die Anliegen der Bewohner.
Viele Bewohner sind psychisch krank
„Wir helfen ihnen bei der Klärung und Beantragung sozialer Hilfen, wie etwa Hartz IV, Arbeitslosengeld oder Rente. Viele sind auch psychisch krank, leiden unter Psychosen, Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen. Oft fehlt ihnen aber die Einsicht, dass sie krank sind. Wir versuchen dann behutsam, den Kontakt zu dem Psychiater herzustellen, der hier im Hause regelmäßig eine Sprechstunde abhält. Er geht auch mit uns auf die Zimmer, wenn wir bei einem Bewohner das Gefühl haben, dass er psychiatrische Hilfe benötigt“, sagt Barta, der seit zwölf Jahren in der Einrichtung arbeitet. Vorher hat er als Krankenpfleger verhaltensauffällige Demenzkranke in einer stationären Einrichtung betreut. „Aber dann wollte ich noch einmal etwas ganz anderes machen und habe diese Weiterbildung zum Fachpfleger gemacht. Damit verbunden war ein Praktikum hier im Haus, und nach der Ausbildung konnte ich dann hier anfangen“, erzählt Barta.
Sein Dienst beginnt morgens um 8.30 Uhr. Um 9 Uhr ist die Morgenbesprechung, in der es um besondere Vorkommnisse der Nacht geht und um die Termine, die für den Tag anstehen. Bis 11.45 Uhr ist Sprechstunde, die allen Bewohnern des Hauses offensteht.
Das sind nicht nur diejenigen, die hier übernachten. Rund 60 Menschen wohnen hier dauerhaft und können sich deshalb auch tagsüber in der Einrichtung aufhalten. Einer von ihnen ist Markus S.* Der 34-Jährige wohnt seit drei Monaten hier. Solange er seine Arbeit als Lagerist noch hatte, konnte er in Monteurswohnungen leben. Doch vor vier Monaten verlor er seinen Job – und damit auch seine Bleibe.
So oft es geht, fährt Markus S. zu seiner Frau und seinem vier Jahre alten Sohn, die gemeinsam in einer kleinen Wohnung in Rothenburgsort leben. Auf die Frage, warum er nicht bei seiner Familie wohne, sagt er nur: „Meine Frau wollte selbstständig bleiben, nicht in eine Abhängigkeit geraten, aber ich besuche sie regelmäßig.“
Jetzt sucht er eine Wohnung für sich allein, möglichst zentral in Hamburg – und einen neuen Job: „Ich möchte wieder eine Stelle als Lagerist finden. Das ist nicht so einfach. Aber ich habe eine abgeschlossene Ausbildung und möchte auch gern wieder in diesem Beruf arbeiten und nicht einen Job als Packer im Hafen annehmen.“
Eng ist es, für persönliche Dinge ist kein Platz
Doch für die nächste Zeit lebt er erst einmal hier, in einem Zimmer mit vier doppelstöckigen Betten. Jeder Bewohner hat zusätzlich noch einen Spind, die Wände sind kahl, in der Mitte des Raums stehen zwei aneinandergeschobene Tische, darauf ein Fernseher. Eng ist es, für persönliche Dinge ist kein Platz.
65 Zimmer gibt es im Pik As, verteilt auf vier Etagen, mit ein bis zwölf Betten pro Zimmer. Zwölf Menschen in einem Raum – führt das nicht zu Konflikten? „Ja sicher, man muss sich vor Augen führen, dass es sich um unfreiwillige Gemeinschaften handelt. Wir versuchen, die Zimmer so zu belegen, dass möglichst wenig Konflikte entstehen, aber ganz vermeiden lassen sie sich nicht“, sagt Barta. Oft entsteht der Streit spontan aus einer Situation heraus, zum Beispiel, wenn jemandem etwas gestohlen wird. Dabei kommt es auch zu körperlichen Auseinandersetzungen. „Wir haben etwa zweimal in der Woche einen Rettungswagen- und einen Polizeieinsatz. Das ist aber bei der Größe dieser Einrichtung nicht viel“, so Barta.
Er und seine Kollegen versuchen hier, den Menschen wieder eine Perspektive zu ermöglichen. Barta hat sich für diesen Beruf entschieden, um Menschen, die durch Schicksalsschläge in Grenzsituationen geraten, wieder zu einem normalen Leben zu verhelfen. „Das Schönste an meinem Beruf ist für mich, wenn es mir gelingt, einen Menschen zurück in die Gesellschaft zu bringen, mit einer Arbeit und einer eigenen Wohnung.“ Aber es gibt auch die anderen, diejenigen, die für alle Angebote unerreichbar sind. „Diese Hilflosigkeit, wenn jemand sich nicht helfen lassen will, obwohl er schon sehr krank ist, frustriert mich am meisten“, sagt Barta.
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Es ist keine leichte Aufgabe, die Barta zu bewältigen hat. Einen Ausgleich findet er bei seiner Familie. Mit seiner Ehefrau und dem zehn Jahre alten Sohn lebt er in einem kleinen Ort in Schleswig-Holstein. „Ich bin gern mit der Familie in der Natur unterwegs, mache Dinge, die mich im wahrsten Sinne des Wortes erden, etwa Gartenarbeit.“
* Name von der Redaktion geändert