Hamburg . Mehr als 500.000 Einwohner in Hamburg leben in Einpersonenhaushalten – 80.000 mehr als vor 20 Jahren.

Sie kam vor vier Jahren nach Hamburg, vor allem für einen neuen Job – aber auch mit der Hoffnung, hier den Mann fürs Leben zu finden. So viele Bars und Clubs, Musik- und Kulturevents, so viele Gelegenheiten – müsste da nicht früher oder später ein Typ auftauchen, der ihren Vorstellungen entspricht? Ein Gentleman alter Schule, respektvoll, mit beiden Beinen im Leben stehend, ein „starker Mann“, wie sie sagt. Und müsste dann nicht früher oder später auch ihr das Glück widerfahren, dass es dann funkt zwischen ihr und einem solchen Mann?

Nun, nach mehr als einem Dutzend Dates, ist Anna ernüchtert. Ihre Arbeit als Führungskraft in einer Marketing­abteilung mache ihr viel Spaß, erzählt sie, ihr Privatleben sei abwechslungsreich, „aber mit der Liebe hat es nicht geklappt“. Das Problem aus ihrer Sicht: „Seitdem ich in Hamburg bin, treffe ich vor allem Männer, die sehr unentschlossen sind und keine feste Bindung eingehen wollen. Die genießen ihre Freiheit.“

Anna, die in Wahrheit anders heißt, genießt ihre Freiheit nur noch bedingt. „Natürlich ist es angenehm, dass ich jederzeit tun und lassen kann, was ich will, ohne auf jemanden Rücksicht nehmen zu müssen“, erzählt die 37-Jährige. „Trotzdem würde ich mein Leben lieber mit einem Partner teilen. Dem Alleinsein kann ich nicht mehr so viel abgewinnen.“

Man kann davon ausgehen, dass es vielen Hamburgern ähnlich geht wie Anna. Denn die Hansestadt gilt als Singlehochburg. Allerdings ist unklar, wie groß der Anteil der Singles tatsächlich ist. Nach Angaben des Statistikamts Nord gab es 2015 in Hamburg rund 560.000 Alleinstehende. Das sind nach der Definition der Statistiker Menschen, die ohne Ehe- oder eingetragenen Lebenspartner und ohne ledige Kinder in einem Haushalt leben, wobei es sich um ledige, verheiratet getrennt lebende, geschiedene oder verwitwete Personen handeln kann.

Wer alleinstehend ist, muss deshalb nicht zwangsläufig Single sein, sondern kann natürlich eine Beziehung haben. Von den insgesamt 1.759.000 Einwohnern machten die Alleinstehenden rund 32 Prozent aus. Die meisten aus dieser Gruppe – 505.000 Menschen – lebten allein, nicht etwa in einer WG. Damit machte diese Untergruppe rund 29 Prozent der Bevölkerung in Hamburg aus. Zum Vergleich: Im Bundesdurchschnitt lebten 2015 rund 20 Prozent der Menschen in Einpersonenhaushalten.

Im Jahr 1996 gab es in Hamburg nur 458.000 Alleinstehende – rund 423.000 davon lebten allein. Bei einer Bevölkerung von damals 1.691.000 Menschen entsprach dies einem Anteil von 27 bzw. 25 Prozent.

Die genannten Daten stammen aus dem Mikrozensus, einer repräsentativen Erhebung, die jährlich bei einem Prozent der Bevölkerung in Deutschland durchgeführt wird. In Hamburg betrifft dies etwa 9000 Haushalte. Die Ergebnisse werden hochgerechnet. Der Mikrozensus erfasst zwar den Familienstand, aber nicht, ob die Befragten eine Beziehung haben.

Anders ist dies beim Sozio-ökonomischen Panel (SOEP). Für diese repräsentative Langzeitstudie befragt das Institut TNS Infratest Sozialforschung seit 1984 jedes Jahr mehrere Tausend Menschen in Deutschland – unter anderem zu ihrem aktuellen Beziehungs­status. Den Daten zufolge ist der Anteil der Menschen ohne Partner im Alter bis zu 60 Jahren von 18 Prozent im Jahr 1993 auf 27 Prozent im Jahr 2014 gestiegen. Das ist der Bundesdurchschnitt – in einer Großstadt wie Hamburg dürfte der Singleanteil größer sein.

„Großstädte ziehen Singles an – Großstädte machen Menschen aber nicht zwangsläufig zu Singles“, sagt der Heidelberger Soziologe Jan Eckard. Er hatte 2014 auf Basis der SOEP-Daten nach Ursachen für die zunehmende Zahl der Singles gesucht.

Seine Auswertung zeigt: Eine große Rolle spielen demografische Engpässe auf dem „Partnermarkt“. So kamen Mitte der 1960er-Jahre besonders viele Kinder zur Welt. Anschließend sanken die Geburtenzahlen so stark, dass in den nachfolgenden Jahrgängen bis zu 40 Prozent weniger Kinder geboren wurden.

Da sich Männer bei der Partner­suche meist auf zwei bis vier Jahre jüngere Frauen konzentrierten, Frauen hingegen auf zwei bis vier Jahre ältere Männer, könne dies dazu führen, dass Männer aus den geburtenstarken Jahrgängen um die wenigen Frauen aus den zahlenmäßig kleineren Jahrgängen konkurrieren, erläutert Eckard.

Auch gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen begünstigten das Singleleben. Ein Beispiel hierfür sei die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen. Die traditionelle Versorgungsfunktion einer Beziehung verliere an Bedeutung, sagt Eckard: „Beziehungen, die nicht funktionieren, werden nicht mehr wie früher aus rein finanziellen Gründen aufrechterhalten.“

Das weit verbreitete Bild, dass vor allem beruflich erfolgreiche „Karrierefrauen“ ohne Partner leben müssten, bestätigten die SOEP-Daten jedoch nicht. „Die Entscheidung für ein Singledasein ist unabhängig von der beruf­lichen Position der Frauen. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob Frauen überhaupt ein eigenes Einkommen haben“, sagt Eckard. Eine Frau ohne Job sei eher bereit, eine schlechte Beziehung aufrechtzuerhalten.

Dass Frauen immer öfter ohne Partner leben, liegt dem Soziologen zufolge teilweise auch an der immer häufigeren Erfahrung, als Kind einer alleinerziehenden Mutter aufzuwachsen. Dabei könnten Frau die Bewältigungsstrategien ihrer allein lebenden Mütter lernen und seien deshalb gut auf ein Leben ohne Partner vorbereitet.

Onlinedating verändert das Kennenlernverhalten

Als weitere Ursache für die Zunahme der Singles zumindest bis vor einiger Zeit sieht Eckard die zunehmende Arbeitslosigkeit ab Beginn der 1990er-Jahre. Die Zahl der Arbeitslosen stieg seit 1990 von unter 2,5 Millionen auf zeitweilig 4,5 Millionen in den Jahren 2003 bis 2006. In diesem Zeitraum erhöhte sich der Anteil der Singles im Alter zwischen 20 und 35 Jahren um zwölf Prozent. „Schlechte Arbeitsmarktchancen verlangen ein höheres Maß an Flexibilität und lassen eine gemeinsame Zukunftsplanung oft nicht zu“, erläutert Eckard.

Zuletzt hat sich die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt allerdings erheblich entspannt. Müsste sich das nicht positiv auf den „Partnermarkt“ auswirken? Ja, sagt Eckard: „Man kann durchaus annehmen, dass die Bereitschaft, eine stabile Partnerschaft einzugehen, zunehmen wird.“

Anna, die erfolgreiche Marketingfrau, würde sich freuen, wenn endlich ein passender Mann mit dieser Bereitschaft auftauchte. Weil sie viel arbeitet, sucht sie vor allem online nach der großen Liebe und nutzt dafür unter anderem das Datingportal Parship. Auch damit gehört sie zu einer großen Gruppe in Hamburg: Jeder sechste Hamburger schreibt online Kontaktanfragen, scrollt sich durch Profile, klickt sich durch Fotos. Das besagen zumindest Angaben der Onlinedating-Anbieter von 2014.

Durch das Onlinedating habe sich das Kennenlernverhalten verändert, es sei oberflächlicher geworden, sagt Anna. Männer würden sich oft mehrere Online-Bekanntschaften „warmhalten“ – sie hingegen wolle sich möglichst auf einen Mann konzentrieren. Deshalb hatte sie in den vergangenen sechs Monaten auch „nur“ noch vier Dates. Allerdings beobachte sie auch bei sich selbst eine gewisse Abstumpfung, erzählt Anna. „Ich fühle mich beim Onlinedating manchmal, als würde ich in einem Katalog bestellen – so entzündet sich natürlich keine Flamme.“

Trotz etlicher Tiefpunkte – Anna hat immer noch Hoffnung, dass sie „den einen“ irgendwann trifft. „Ich finde es wichtig, sich nicht zu verbiegen, sich treu zu bleiben“, sagt sie. Dann lieber keinen als irgendeinen.