Hamburg. Großgläubiger erwirkt Haftbefehl. Gerüchteweise soll der Unternehmer daraufhin abgetaucht sein und zeigt sich dann doch öffentlich.
Öger – ein Opfer? „Ich bin ein Opfer von Putin und Erdogan“, beklagt Vural Öger, als die ausbleibenden russischen Touristen in der Türkei ihm das Geschäft vermasseln und seine Firmen in die Pleite rutschen. „Ich habe alles verloren“, sagt der 74-Jährige, als ihm vorgeworfen wird, Vermögenswerte verschleiert und verschoben zu haben. Öger spricht von sich als Leidtragendem, als Geschädigtem. Doch was ist seine wirkliche Rolle in dem dramatischen Verfall seiner Reisefirmen? Ist der einstige SPD-Europa-Abgeordnete und Reisepionier, der 2010 seine Öger Tours für 30 Millionen Euro an Thomas Cook verkaufte, aber fortan weiter mit Türkeitrips Geld verdiente, wirklich das Opfer?
Um über seine Lage zu sprechen, ist Vural Öger am Mittwochabend auf Einladung des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) in die Tanzenden Türme gekommen. Im taubenblauen Maßanzug, mit blaugrauer Krawatte sitzt er aufgeräumt auf dem Podium und erzählt aus seinem Leben. Vor den 120 Gästen soll er über seine Zeit bei der Vox-Sendung „In der Höhle des Löwen“ sprechen, in der er Start-up-Gründer lobte oder tadelte. Aber auch über sein Firmenimperium mit dem Reiseveranstalter V.Ö. Travel, der Charterfluggesellschaft Öger Türk Tur, der Hotelkette Majesty und der Incoming-Agentur Holiday Plan. So stand es in der Einladung, der gestern so viele Mitglieder des BVMW gefolgt waren, dass die Veranstaltung kurzfristig noch in größere Räume verlegt wurde.
Dass Öger kam, gilt als kleine Sensation
Schon dass der so ausführlich Angekündigte überhaupt erschien, galt manchem als kleine Sensation. Zuvor hatte sein größter Gläubiger, die Fluggesellschaft Sunexpress, noch behauptet, Öger sei untergetaucht. Es habe Forderungen aus einer Bürgschaft gegeben, die er der deutsch-türkischen Airline gegeben hatte. Er habe seinen Wohnort von Hamburg nach München verlegt und sei zuletzt auch dort nicht mehr anzutreffen gewesen. Ein Pfändungsversuch sei gescheitert.
Nach Informationen des Abendblatts hat der Fall jetzt einen neuen Höhepunkt erreicht: Gegen Öger liegt auch ein ziviler Haftbefehl vor. Bei der Veranstaltung gestern hätte auch ein Gerichtsvollzieher auftauchen und Öger ansprechen können. Aber es kommt nicht dazu, der Abend verläuft entspannt und sogar amüsant in Momenten, in denen Öger den ehemaligen bayerischen Landeschef Stoiber mit dessen bayerischem Akzent parodiert und Politikersprüche zitiert: „Wir haben kein Ausländerproblem, wir haben ein Türkenproblem.“ Der Saal lacht.
Dann aber wird Öger ernster, kommt auf seine aktuelle Situation zu sprechen und gibt zu: „Die Bürgschaft zu geben war ein großer Fehler.“ Immerhin geht es allein bei der Airline, mit der Öger seine Kunden in die Türkei fliegen ließ, um Schulden von gut 17 Millionen Euro. Sunexpress setzt nun alle Hebel in Bewegung, um Öger zur Zahlung zu bewegen. Der Haftbefehl hat zur Folge, dass der Schuldner gezwungen wird, eine eidesstattliche Versicherung abzugeben. Öger muss offenbaren, über welche Vermögenswerte er noch verfügt, zudem wird er für drei Jahre beim zuständigen Amtsgericht im Schuldnerverzeichnis geführt. Um die Aussage Ögers zu erzwingen, kann er auch in Beugehaft genommen werden, für maximal sechs Monate.
Der Fall des Geschäftsmanns, der mit der Idee, seine Landsleute in die Heimat zu fliegen, reich und bekannt wurde, kann noch tiefer gehen: Nur wenn sein Vermögen ausreicht, um die Millionen-Forderungen von Sunexpress zu decken, kommt er um eine persönliche Pleite herum. Ansonsten muss Öger auch Privatinsolvenz anmelden.
Der Einserschüler mit der brillanten Idee
Vor wenigen Monaten besaß der Selfmademillionär noch ein Vermögen. Doch dann veräußerte er sein Privathaus in Othmarschen, ein Bürogebäude an der Elbchaussee sowie Landbesitz in der Türkei. Sein Eigentum in Hamburg, aber auch die Oliven- und Zitronenfelder bei Bodrum verkaufte Öger offenbar unter Wert.
Öger selber sieht die Dinge anders. Der 1942 in Ankara geborene Sohn eines ehemaligen Generals der türkischen Armee, ein Mann, der nach Einser-Abitur, Ingenieurstudium und der Idee der Gastarbeiterflüge ein erfolgreiches Leben in Hamburg führte, sagt heute, er wolle seine „Ehre zurück. Alles andere interessiert mich nicht.“
Die wahren Hintergründe der Pleite liegen bis auf die aktuellen Probleme im Reisegeschäft weitgehend im Dunkeln. Öger argumentiert, dass die Krise in der Türkei ein Grund für seine finanzielle Schieflage war. Gleichwohl schreibt Öger Tours, also das Unternehmen, das er vor Jahren verkauft hat, auch heute noch schwarze Zahlen. Und das trotz der Zurückhaltung der Touristen nach dem Terror und den politischen Querelen in der Türkei. Die Erklärung für den Erfolg in der Krise: Öger Tours setzt auf Deutschtürken, die weitgehend unabhängig von Negativschlagzeilen in ihre Heimat fahren. Doch dieses verlässliche Geschäftsmodell nutzte Vural Öger auch in seinen neuen Firmen.
Bleiben die Differenzen mit Sunexpress, der Airline, die Öger für seine Kunden nutzte. Hatte der Urlaubsprofi früher von Traumkonditionen bei Sunexpress profitiert, weil er einen großen Kundenstamm versprach, verschlechterten sich diese Bedingungen zuletzt. Öger sieht sich auch hier als Opfer. Sunexpress habe ihn aus dem Markt drängen wollen. Nachdem er die Bürgschaft gegeben hatte, habe Sunexpress ihm die Möglichkeiten abgeschnitten, das Buchungssystem zu nutzen. „Sie haben mir eine Falle gestellt“, sagte er gestern und beantwortete dann die letzte Frage aus dem Publikum: „Was tun Sie jetzt, neu anfangen?“ Öger: „Der liebe Gott hat mir eine gute Gesundheit gegeben, ob es eine Reise nach Kathmandu ist oder in die Anden nach Chile, das sind noch meine Träume.“