Hamburg. Für Zigaretten-Hersteller sind Flüchtlinge wichtige Kunden. Was den Markt antreibt und wie die neuen Schockbilder auf Packungen wirken.

Wenn der Vorstandssprecher der Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH, Michael Kaib, 58, sein Büro betritt, fällt sein erster Blick auf das Flüchtlingsdorf, das direkt an das Gelände der Firma in Bahrenfeld grenzt. Der Anblick stört ihn nicht. Im Gegenteil: Flüchtlinge sind für Reemtsma wichtige Kunden. Darüber spricht Kaib, der seit März Reemtsma-Chef ist, im Abendblatt-Interview. Und über die neue EU-Tabakproduktrichtlinie, die von den Zigarettenherstellern Packungen mit Schockbildern verlangen.

Herr Kaib, haben Sie durch die neue Tabakverordnung schon Kunden verloren?

Michael Kaib raucht selbst nur gelegentlich, arbeitet aber seit 30 Jahren bei Reemtsma
Michael Kaib raucht selbst nur gelegentlich, arbeitet aber seit 30 Jahren bei Reemtsma © HA / Klaus Bodig | Klaus Bodig

Michael Kaib: Die neue Richtlinie ist ja erst seit dem 20. Mai in der Umsetzung. Zu diesem Tag musste die Produktion umgestellt werden. Deswegen spüren wir die Auswirkungen jetzt noch nicht. Die neuen Packungen kommen jetzt erst nach und nach in den Läden an.

Wie werden sich denn die Änderungen auf das Rauchverhalten auswirken?

Das ist ehrlich gesagt schwer vorauszusehen. Deutschland hat aber im Gegensatz zum Rest der Welt einen recht stabilen Tabakkonsum. Dazu haben die Zuwanderung und Flüchtlinge sowie die insgesamt gute konjunkturelle Lage mit steigenden verfügbaren Einkommen beigetragen. Deshalb rechnen wir im Grundsatz nicht mit signifikanten Auswirkungen der neuen Bestimmungen auf den Konsum.

Wird in den Herkunftsländern der Flüchtlinge denn mehr geraucht als woanders?

Teilweise. Aber der größte Teil sind junge, männliche Flüchtlinge, und da ist der Tabakkonsum stärker verbreitet.

Hebt also die Flüchtlingswelle eine mögliche Delle beim Verkauf wieder auf, die sich durch die neue Verordnung ergeben könnte?

Es sind wie gesagt nicht nur die Flüchtlinge. Wir haben auch seit Jahren einen Zuzug aus Zentral- und Osteuropa und sogenannte Arbeitsmigration. Kurz gesagt: Die Zahl der Konsumenten wächst aufgrund der Migration – und der Markt ist demzufolge stabil.

Was bedeutet das für Ihr Geschäft?

Da wir Teil der börsennotierten Imperial-Gruppe sind, können wir keinen Ausblick auf Geschäftszahlen geben. Insgesamt werden in Deutschland jährlich 80 Millionen Zigaretten verkauft. Unser Anteil daran beträgt knapp ein Viertel. Reemtsma ist die starke Nummer zwei in Deutschland, im Segment Tabakfeinschnitt sogar Marktführer.

Welche Auswirkungen wird die neue Tabakgesetzgebung auf die Entwicklung der einzelnen Marken haben?

Wenn die Werbung als Instrument zur Marktbeeinflussung und zur Kommunikation mit unseren Konsumenten wegfällt, dann rückt natürlich der Preis als kaufentscheidender Faktor wieder in den Vordergrund.

Wieso wieder?

Wir hatten eine Phase, in der Tabakkonsumenten sehr preisbewusst reagierten. Damals gewann der im Vergleich zu den fertig produzierten Zigaretten billigere Feinschnitt Marktanteile hinzu. Das hat sich aufgrund der Einkommensentwicklung und der Einführung des Mindestlohns in Deutschland geändert. Alle Tabaksegmente entwickeln sich gleich stabil.

Und das ändert sich durch das Gesetz?

Es könnte sein, dass preisgünstigere Marken profitieren. Sicher weiß das niemand. Ich sehe aber noch eine ganz andere Entwicklung auf uns zukommen.

Nämlich?

Schockbilder auf Zigarettenpackungen sind seit Kurzem auch in Deutschland Pflicht. Hier eine Schachtel der Marke „Lucky Strike“, auf der ein Schockfoto einer Lungenoperation und der Warnhinweis „Rauchen verursacht 9 von 10 Lungenkarzinomen“ aufgedruckt sind
Schockbilder auf Zigarettenpackungen sind seit Kurzem auch in Deutschland Pflicht. Hier eine Schachtel der Marke „Lucky Strike“, auf der ein Schockfoto einer Lungenoperation und der Warnhinweis „Rauchen verursacht 9 von 10 Lungenkarzinomen“ aufgedruckt sind © dpa | Daniel Bockwoldt

Über die neuen Bildwarnhinweise wird nur noch schockiert, es wird aber nicht mehr aufgeklärt und informiert. Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Bisher waren wir gesetzlich dazu verpflichtet, auf den Zigarettenpackungen den Nikotin- und Teergehalt des Produkts anzugeben, damit der Kunde selbst entscheiden konnte, welche Variante er kauft. Jetzt wird es gesetzlich verboten, diese Kennzeichnung dem Konsumenten mitzugeben. Wie gesagt: Es wird zunehmend schockiert statt informiert, und dem Konsumenten fehlt am Ende jegliche Orientierung zum Produkt. Und der Gesetzgeber verschlimmert das noch.

Inwiefern?

Na ja, die Große Koalition hat im Koalitionsvertrag festgelegt, dass sie die EU-Richtlinien eins zu eins umsetzen will. Sie geht aber darüber hinaus. Wir haben ja noch zwei weitere Regulierungsmaßnahmen vor uns. Einmal das sogenannte Änderungsgesetz, das zum ersten Mal die Tabakwerbung fast komplett verbieten würde. Und die Änderungsverordnung, welche die Zusatzstoffe, die wir unserem Tabak beimischen, noch über die EU-Richtlinie hinaus deutlich einschränken soll.

Was sind das für Stoffe?

Beispielsweise Koffein oder Extrakte der Kaffeebohne und Teepflanzen. Diese Verordnung könnte zum Ende des Jahres verabschiedet werden, wäre aber rückwirkend ab 20. Mai gültig. Das bedeutet, dass dann alle Zigaretten, die mit den Zusatzstoffen heute legal produziert werden, rückwirkend nicht mehr verkehrsfähig wären. Gegebenenfalls gäbe es einen Rückruf.

Warum lassen Sie die Zusatzstoffe nicht jetzt schon weg?

Die Änderungsverordnung gibt es derzeit nur im Entwurf. Der Punkt ist eher, dass in Deutschland noch immer gilt: „Keine Strafe ohne Gesetz“. Ein rückwirkendes Gesetz ist einfach verfassungswidrig. Das ist ja gerade so, als wenn Sie auf der Autobahn Tempo 150 fahren. Ein paar Wochen später wird die Höchstgeschwindigkeit auf 100 gedrosselt, und Sie bekommen nachträglich einen Strafzettel. Das geht nicht.

Sie beklagen zudem Wettbewerbsnachteile, weil sich andere Länder bei der Umsetzung der EU-Vorgaben länger Zeit lassen?

Neue Länder haben die Vorschriften noch nicht umgesetzt. Dazu gehört Polen. In Deutschland werden jährlich elf Milliarden Zigaretten konsumiert, die über den kleinen Grenzverkehr ins Land kommen. Die meisten davon stammen aus Polen, völlig legal. Wir werden also in Deutschland Packungen mit Schockbildern haben und welche ohne, die aus Polen kommen.

Reemtsma ist an Imperial übergegangen. Welche Rolle spielt die traditionelle Marke im Konzern überhaupt noch?

Eine sehr starke. Wir sind nach England der zweitgrößte Markt in der Gruppe. Bei Reemtsma in Bahrenfeld ist die weltweite Verantwortung für Produktion und Lieferkette sowie Forschung und Entwicklung für die gesamte Imperial-Gruppe angesiedelt. Unser Standort wurde in den vergangenen Jahren deutlich gestärkt. Wir sind von 750 auf mehr als 1000 Mitarbeiter gewachsen. Aber wir haben uns die Reemtsma-Kultur erhalten, etwa mit unserem starken sozialen Engagement. So werden die Mitarbeiter jedes Jahr einen Tag freigestellt, um sich in einem sozialen Projekt engagieren zu können.

Und was haben Sie an dem Tag gemacht?

Ich? Ich habe mit Flüchtlingen aus Eri­trea, Afghanistan und Syrien gekocht.

Rauchen ist in Hamburgs Büros und Amtsstuben inzwischen weitgehend verboten. Wie ist das bei Reemtsma?

In Einzelbüros darf geraucht werden. Ansonsten gibt es auf jedem Flur Raucherräume. Wir haben in der Belegschaft auch sicher etwas mehr Raucher als in anderen Unternehmen, einfach weil die Affinität zum Produkt höher ist. Es gibt auch viele Nichtraucher im Unternehmen. Der Umgang ist dabei sehr rücksichtsvoll.

Warum verkauft Reemtsma keine E-Zigaretten?

Wir haben in ausgewählten Ländern wie USA und England unter der Marke Blue ein Produkt am Markt. In Deutschland ist die E-Zigarette bisher nur ein Nischenprodukt. Wir beobachten hier den Markt und reagieren, wenn er eine interessante Größe erreicht. Langfristig wird aber auch hier die E-Zigarette an Bedeutung gewinnen.