Hamburg . Rechtsanwalt stellt gegen sechs der neun Richter Befangenheitsanträge. AfD-Klage wegen Härtefallkommission zurückgewiesen.

Das gab es vermutlich noch nie: Rechtsanwalt Corvin Fischer hat gegen sechs der neun Richter des Hamburgischen Verfassungsgerichts Befangenheitsanträge gestellt – darunter auch Präsident Friedrich-Joachim Mehmel. Eigentlich wollte das höchste Hamburger Gericht am gestrigen Dienstag Fischers Beschwerde gegen die Bürgerschaftswahl 2015 mündlich verhandeln. Da die Befangenheitsanträge unmittelbar vor Sitzungsbeginn bei Gericht eingingen, setzten die Richter den Termin ab.

Jetzt müssen die Mitglieder des Gerichts zunächst einmal klären, in welcher Besetzung sie die Befangenheitsanträge jeweils beraten. Klar dürfte sein, dass Vizepräsident Christoph Schoenfeld den Vorsitz führt, wenn es um den Präsidenten Mehmel geht. Aufgrund der bevorstehenden Urlaubszeit wird mit Entscheidungen über die Befangenheitsanträge frühestens Ende August gerechnet.

Verfassungsgericht schließt Klaus David aus

Einen Erfolg hat Fischer bereits errungen: Das Verfassungsgericht schloss vor wenigen Tagen sein Mitglied Klaus David von dem Fischer-Verfahren wegen der Besorgnis der Befangenheit aus. Fischer hatte seinen Antrag damit begründet, dass der frühere Justiziar der Bürgerschaft und Verfassungsjurist der Senatskanzlei nicht unabhängig sei.

David ist zwar als Regierungsdirektor pensioniert, arbeitet aber als Geschäftsführer der „Hamburger Stiftung Rehabilitation und Integration“, die sich um Schwerbehinderte und Hinterbliebene von Kriegs- und Arbeitsopfern kümmert. Der Hauptsitz der Stiftung liegt in der Sozialbehörde, hier hat David auch ein Büro. Fischer schließt daraus, dass die Stiftung Teil der öffentlichen Verwaltung sei und David als Verfassungsrichter nicht unabhängig sein könne, weil der Senat in dem Wahlanfechtungsverfahren Beschwerdegegner Fischers ist.

In der Entscheidung des Verfassungsgerichts heißt es, dass Davids Tätigkeit als Geschäftsführer und die Nutzung der Räume „vernünftige Zweifel an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Verfassungsrichters wecken können“. Verfassungsexperten sehen in der Ablehnung Davids für das Verfahren eine sehr weite Auslegung des Begriffs der Befangenheit.

Befangenheitsanträge fußen auf SPD- oder AsJ-Mitgliedschaft

Anwalt Fischer geht nun einen Schritt weiter und behauptet, David sei aufgrund seiner Tätigkeit als Teil der Hamburger Verwaltung gar nicht wählbar für das Verfassungsgericht gewesen. Er habe das Gericht über seine Wählbarkeit „getäuscht“. Mehmel wiederum hätte als Gerichtspräsident um die Problemlage wissen müssen, weil es seine Aufgabe ist sicherzustellen, dass das Gericht ordnungsgemäß besetzt ist. Daher der Befangenheitsantrag gegen Mehmel.

Mehmel ist SPD-Mitglied und war viele Jahre lang Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ). Die weiteren Befangenheitsanträge Fischers fußen zum Teil auf der SPD- oder AsJ-Mitgliedschaft: Das gilt für die Verfassungsrichter Jörg Kuhbier, Ex-Umweltsenator, Marianne Schulze, Präsidentin des Sozialgerichts, sowie Michael Nesselhauf, Rechtsanwalt. Ein weiterer Antrag richtet sich gegen Verfassungsrichter Carsten Beckmann, dem Fischer Rechtsbeugung vorwirft, weil er als Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht angeblich keine Geschäftsverteilungspläne beschlossen hat.

Unmittelbarkeit der Wahl unzulässig beeinträchtigt?

Vor mehr als 20 Jahren geriet das Verfassungsgericht tatsächlich einmal in Personalnot. In dem Verfahren gegen die CDU wegen undemokratischer Listenaufstellung zur Bürgerschaftswahl 1991, das 1993 zur Wahlwiederholung führte, wurden zwei Verfassungsrichter, die CDU-Mitglieder waren, wegen Befangenheit ausgeschlossen. Ein weiterer Richter hatte sich von sich aus für befangen erklärt.

In der Verfassungsbeschwerde des Rechtsanwalts geht es unter anderem darum, dass bei der Bürgerschaftswahl am 15. Februar 2015 angeblich nicht in allen Fällen sichergestellt war, dass Wahlberechtigte die Auszählung der Stimmen verfolgen konnten. Dies habe die Unmittelbarkeit der Wahl unzulässig beeinträchtigt.

Verfassungsbeschwerde der AfD zurück­gewiesen

Wie erwartet hat das Gericht am gestrigen Dienstag die Verfassungsbeschwerde der AfD zurück­gewiesen. Deren Bürgerschaftsfraktion hatte geklagt, weil ihre Kandidaten bei der Wahl zur Härtefallkommission in der Bürgerschaft elfmal durchgefallen waren – aus Sicht der AfD ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. „Die Anträge werden als unzulässig verworfen“, sagte Gerichtspräsident Mehmel in der Urteilsbegründung.

Zentraler Punkt: Nach Auffassung des Gerichts – die Entscheidung fiel einstimmig – ist die Härtefallkommission kein parlamentarisches Gremium, weil deren Mitglieder vom Senat ernannt werden. Die Folge: Es handelt sich nicht um einen Organstreit zwischen Verfassungsorganen, und das Verfassungsgericht ist nicht zuständig.

„Ich kann die Entscheidung nicht nachvollziehen. Die Wahlen entsprechen nicht meinem Verständnis von demokratischer Gerechtigkeit“, sagte AfD-Fraktionschef Jörn Kruse. Die Fraktion überlege jetzt, das Verwaltungsgericht anzurufen.