Hamburg. Das Smartphone-Spiel verbindet die virtuelle mit der realen Welt – und hat nach wenigen Tagen einen weltweiten Hype ausgelöst.
Zwei Halbstarke haben natürlich den Durchblick. Kreuzen vor der Europa Passage auf – eine Hand am Fahrradlenker, eine Hand am Smartphone – und verkünden lauthals für alle Umstehenden: „Du spielst Pokémon! Du spielst Pokémon! Und du da, du spielst garantiert auch Pokémon!“
Dreimal richtig, muss man ihnen lassen. Die beiden Schlauberger fahren nicht nur die Sehenswürdigkeiten, die jetzt Pokestops heißen, clevererweise mit dem Rad ab, statt wie alle anderen zu gehen. Sie erkennen einen „Pokémon Go“-Spieler auch schon von Weitem. Denn anscheinend sind einige Menschen gerade noch verhaltensauffälliger unterwegs als sonst. Die neue Gattung des Smartphone-Zombies gleicht nämlich ständig Realität und Bildschirm ab. Kopf hoch, Kopf runter. Geht vor, zurück und wieder vor. Höchstwahrscheinlich auf der Suche nach der richtigen GPS-Position, höchstwahrscheinlich, um „Pokémon Go“ zu spielen, die digitale Schnitzeljagd der Stunde.
Auch die Ertappten an der Europa Passage schrecken kurz auf. Lächeln. Daumen hoch. Augen wieder runter. Denn irgendwo hier muss es doch stecken, dieses verdammte Pokémon, das Pocket Monster (Taschenmonster).
Unter den Entlarvten ist auch Daniel Pinkall, Gymnasiast aus Ohlstedt. „Ich finde das Spiel macht Spaß, ist aber manchmal anstrengend, da man viel laufen muss, um Pokémons zu bekommen.“ Er hat sich die App zum Deutschlandstart heruntergeladen und ist nun real in der Innenstadt, um virtuell kleine Monster zu fangen. Nur an ausgewählten Orten zu finden, nur durch die Handy-Kamera sichtbar.
Drei Taschenmonster nach 300 Metern
„Pokémon Go“ ist erst seit Mittwoch in Deutschland erhältlich, aber schon ein Hype. In Kiel haben 30 Jugendliche bereits einen Polizeieinsatz ausgelöst, weil sie – auf ihre Handys starrend – den Eingang eines Restaurants blockierten. In Spanien beklagen sich Kirchen, dass „Pokémon Go“-Spieler auf Monstersuche die Messe stören. Und selbst Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank twitterte: „Die nächste Stufe der Evolution live und in Farbe auf unseren Straßen. Blicke konzentriert aufs Smartphone gerichtet. Irre!“
Dabei handelt es sich beim großen Hype lediglich um eine erweiterte Form des Geocaching. An „echten“ Landmarken sind virtuelle Bälle, Monster, Eier oder Kampfarenen versteckt. Und da sich die Stationen, die sogenannten Pokestops, an Denkmälern, Inschriften und Sehenswürdigkeiten befinden oder Monster-Eier nur nach einer gewissen Laufleistung ausgebrütet werden, machen die Spieler zwischendurch ordentlich Meter. Oder Ärger; weil sie nicht auf den Verkehr achten. Je nachdem. Andererseits: Selbst extraharte Computerspieler kommen so mal vor die Tür.
Für Daniel, 14 Jahre alt, wartet das erste Monster direkt vor der Haspa am Großen Burstah, das nächste sitzt zwischen den steinernen Löwen am Seiteneingang des Rathauses, das dritte ist am Hygieia-Brunnen im Innenhof lokalisiert. Alle gut ersichtlich auf der Karte, die auf seinem Handy den Weg weist. Keine 300 Meter muss er gehen, um erste Erfolgserlebnisse zu feiern. „Geht gut los“, sagt der Schüler. Die Augen mehr auf dem Bildschirm als auf der Straße. Die Berliner Polizei twitterte zum Start der App wohl nicht grundlos an alle Pokémon-Jünger: „Schnappt sie ... aber nicht um jeden Preis.“
Als Jäger und Sammler der Moderne „muss man eine Kugel werfen, und das braucht anfangs Übung“, sagt Daniel. Mittlerweile ist er an den Alsterarkaden angekommen. „Die da spielt auch“, raunt er, als ein Mädchen ins Handy versunken den Weg kreuzt. Tatsächlich sieht man es den Leuten an. Zumal es an allen Ecken Stationen gibt, an denen man hilfreiche Gegenstände findet. Mancherorts, in den Arenen, können die gefangenen Monster auch gegen andere kämpfen.
So tappen Sie nicht in die Kostenfalle
Rund um die Alster und am Rathaus wimmelt es von Haltepunkten. Der Anreiz, das mal auszuprobieren und seinen Monsterstall laufend auszubauen, ist groß. Fraglich bleibt, ob das auch als Langzeitwirkung des Spiels vorgesehen ist. Denn am Ende des Tages mäandert man als Kollektor doch recht ziellos vor sich hin und fragt sich: Wohin führt das jetzt gleich noch mal? Daniel hat 1,3 Kilometer gemacht, elf Monster gefangen und ein bisschen von der Innenstadt gesehen. Morgen geht es weiter. Wahrscheinlich mit „Pokémon Go“.