Hamburg/München. Prozess gegen Hamburgerin wegen Messerattacke beim Münchner Oktoberfest: Der Rechtsmediziner Klaus Püschel hält Notwehr für möglich.
Die Hände in Handschellen, an jeder Seite Polizeibeamte: Nachdem ein Entlastungszeuge im Prozess gegen eine Hamburger Millionärsgattin vor dem Münchner Landgericht wie ein Schwerverbrecher festgenommen wurde, sitzt der Mann nun weiterhin im Gefängnis. Das Amtsgericht hat am gestrigen Donnerstag Haftbefehl gegen den 31-Jährigen erlassen. Doch der Zeuge ließ sich nicht beirren: Er blieb bei seiner Aussage, laut derer die Angeklagte seinerzeit auf dem Oktoberfest an der Isar in Notwehr gehandelt haben könnte.
Die Angeklagte habe Angst um ihr Leben gehabt
Michaela S. (Name geändert) wird in dem Prozess versuchter Mord vorgeworfen. Die 34-Jährige hat eingeräumt, einen Mann am 19. September vergangenen Jahres auf der Wiesn mit einem Messer schwer verletzt zu haben, nach ihrer Darstellung in Notwehr. Denn sie sei in Panik gewesen, weil der Lkw-Fahrer sie im Rahmen einer Auseinandersetzung massiv bedroht und gepackt habe. Sie habe gedacht: „Der bringt mich um. Ich hatte nur noch Angst“, hatte die Verlobte eines Multimillionärs unter Tränen gesagt. „Ich wollte das wirklich nicht.“ Das spätere Opfer hatte vor dieser Konfrontation den ehemaligen Fußballnationalspieler Patrick Owomoyela, einen Bekannten der Frau, unter anderem als „Bimbo“ und „Neger“ beleidigt.
Kommentar: Zeugen-Festnahme ist ein Skandal
Auch darüber hinaus hatte der Lkw-Fahrer seinerzeit offenbar überaus aggressiv gewirkt. Mehrere Menschen im Prozess hatten ihn als furchterregend beschrieben. „Wie eine Dampfwalze“ sei der Mann dahergekommen, sagte einer. Owomoyela erinnerte sich: „Vor mir stand ein Mann, der mein Leben bedrohte.“
Eine außergewöhnliche Aggressivität, hervorgerufen durch halluzinogene Pilze? Der Lkw-Fahrer hatte laut Zeugen angegeben, „selbst gezüchtete Magic Mushrooms“ konsumiert zu haben. Die Wirkung dieser Pilze sei seit „Jahrtausenden bekannt“, sagte Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel, der in dem Prozess als Sachverständiger gehört wurde. Es gebe „etliche Geschichten“ über sogenannte Bad Trips, „regelrechte Horrorgeschichten“. Als Folgen würden unter anderem Rauschwirkung und eine Realitätsverkennung beschrieben. Die Schilderung von Zeugen, laut derer der Lkw-Fahrer „irr“ gewirkt habe und „total aggressiv“, seien auffällige Veränderungen, „die mit der Wirkung der Pilze sehr wohl in Einklang zu bringen sind“, so Püschel. Darüber hinaus berichtete der Hamburger Rechtsmediziner über experimentelle Untersuchungen zur Frage, mit welchem Kraftaufwand der Messerstich vermutlich ausgeführt wurde, der das Opfer an der Flanke getroffen und eine Notoperation erforderlich gemacht hatte.
Haben Fingernägel Verletzungen verursacht?
Die Staatsanwaltschaft hatte angenommen, dass der Stich „wuchtig“ gewesen sein müsse. Von ihm vorgenommene Untersuchungen hätten gezeigt, so Püschel, „dass eine vergleichsweise geringe Kraft erforderlich ist, kein wuchtiger Stich“, sagte der Experte. „Die Kraft bringen meine Enkelkinder auf, die unter zehn Jahre alt sind.“
Zudem erklärte Püschel, dass eine Halsverletzung, die das Opfer erlitt, nicht unbedingt mit einem Messer, sondern durchaus auch durch die Fingernägel von Michaela S. verursacht worden sein könnten. Die 34-Jährige hatte an jenem Abend lange, scharfe künstliche Nägel der Marke Stiletto. Experimentelle Untersuchungen hätten ergeben, dass solche Nägel entsprechende Wunden hervorrufen könnten, erläuterte Püschel. Dann wäre die Schlussfolgerung möglich, „dass es keine Angriffsverletzung war, sondern es wäre dann eine Abwehrverletzung – der Versuch, sich zu verteidigen.“
Ein zweiter Rechtsmediziner, Prof. Wolfgang Eisenmenger aus München, sagte, er halte es für weniger wahrscheinlich, dass die Verletzung durch den Fingernagel entstanden sein könnte. „Aber ausschließen kann ich das nicht.“ Der Prozess wird fortgesetzt.