Hamburg. Bürgerinitiativen: Zahl der Starts und Landungen nach 23 Uhr um 20 Prozent gestiegen. Es geht auch um Piloten-Tricks.

Die Hamburger Initiativen für den Fluglärmschutz haben die im April gestartete Pünktlichkeitsoffensive des Flughafens für gescheitert erklärt. Die Zahl der Flüge nach 23 Uhr sei im Vergleich zum Vorjahr sogar deutlich gestiegen, kritisieren sie.

Der Halbjahreswert bis Ende Juni lag 2015 bei 270 Flügen – am 23. Juni 2016 seien es schon 328 gewesen. „Damit ist der Vorjahreswert schon vor Ablauf des Monats um gut 20 Prozent übertroffen worden“, sagte der Sprecher der „BAW Bürgerinitiative für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein“, Martin Mosel.

Flughafen Hamburg: Mehr Nachtflüge

Besonders stark gestiegen ist die Zahl der Nachtflüge in den Monaten Mai und Juni – ausgerechnet kurz nach Beginn der Pünktlichkeitsoffensive. Anwohner aus den Walddörfern beklagten, dass es im gesamten Mai nur drei Nächte ohne Fluglärm nach 23 Uhr gegeben habe. Die Zahlen orientieren sich am flughafeneigenen Internetdienst Travis, der Flugrouten aufzeichnet, zählt und archiviert.

Der Vizechef der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Dennis Thering, sprach von „Rekordzahlen“ und warnte vor einer schwindenden Akzeptanz für den Flughafen Fuhlsbüttel. „Der Widerstand wächst, weil es nicht zu dem längst fälligen Interessenausgleich zwischen Anwohnern und Airlines kommt.“ Die Pünktlichkeitsoffensive sei „nur Show, weil nichts Verbindliches vereinbart wurde“.

Extreme Wetterlagen führen zu Flug-Verspätungen

Der Flughafen hielt dagegen. Vor allem die Monate Mai und Juni taugten aufgrund der extremen Wetterlage sowie diverser Streiks in Nachbarländern nicht zum Vergleich. Ähnlich äußerten sich die Fraktionschefs der rot-grünen Koalition, Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne). Im aktuellen Mai-Bericht des Flughafens stehen den 50 Verspätungen aus dem Vorjahres-Mai 72 in diesem Mai gegenüber. Im Juni 2015 gab es 61 Verspätungen, laut BAW und Travis waren es bis zum 23. Juni 2016 schon 110. Der Airport wollte keine aktuellen Juni-Zahlen nennen.

Alle Bürgerinitiativen fordern eine Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr, einige die Verlegung des Flughafens nach Kaltenkirchen. Neuere Forschungen haben gezeigt, dass Fluglärm zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen kann und Kinder in ihrer Entwicklung behindert.

Fluggesellschaften sollen so selten wie möglich Verspätungsregel nutzen

Laut Flughafen ist die Pünktlichkeitsoffensive auch keinesfalls gescheitert, wie Bürgerinitiativen behaupten. Die Selbstverpflichtung der Airlines, die Flüge nach 23 Uhr vermeiden helfen soll, sei nur noch nicht so erfolgreich wie erhofft. Ziel bleibe, dass „die Fluggesellschaften so selten wie möglich von der Verspätungsregel Gebrauch machen müssen“, sagte Flughafensprecherin Stefanie Harder.

Auch SPD-Fraktionschef Andreas Dressel sagte: „Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Pünktlichkeitsoffensive greifen wird. Einige Wochen reichen nicht, um aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen.“ Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks bescheinigte Flughafen und Airlines, „bemüht“ zu sein. Fuhlsbüttel hat eine Betriebsgenehmigung von 6 bis 23 Uhr. Als verspätet gelten Flugbewegungen ab 23 Uhr. Die moderaten Fluglärmschutzinitiativen, darunter die BAW, fordern die Einhaltung der gesetzlichen Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr, andere Anwohnerinitiativen, insbesondere aus Norderstedt und Langenhorn, die Verlegung des Flughafens nach Kaltenkirchen.

Fluglärm-Aktivisten sprechen von Tricks des Flughafens

Dressel und Tjarks sind maßgeblich am sogenannten 16-Punkte-Plan der Bürgerschaft beteiligt, der kurz vor der Bürgerschaftswahl im Februar 2015 verabschiedet worden war und in Zusammenarbeit mit Lärmbetroffenen, Flughafen und Behörden den Lärmschutz nachhaltig verbessern soll.

Die „BAW Bürgerinitiative für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein“ warf dem Flughafen vor, startenden Fliegern schon deutlich unterhalb der vorgeschriebenen Höhe von 5000 Fuß das Abdrehen in Richtung Süden zu erlauben und damit erhöhte Lärm- und Feinstaubbelastungen über der Stadt zuzulassen. Harder ging darauf nicht ein, sondern erläuterte auf Nachfrage lediglich die Vorschriften.

Dressel und Tjarks äußerten sich gar nicht. Der CDU-Fraktionsvize Dennis Thering dagegen sprach von einem „Riesenproblem, das verschwiegen und kleingeredet“ werde. Die verkürzten An- und Abflüge dürften nur als Einzelfreigabe in Ausnahmefällen erfolgen, würden aber regelmäßig erteilt. „Wer fragt, darf auch“, sagte Thering unter Berufung auf Auskünfte von Piloten.

Täglich Verstöße gegen die Bahnbenutzungsregel?

Weiter beklagen die Fluglärmschutzinitiativen praktisch tägliche Verstöße des Flughafens gegen die „Bahnbenutzungsregeln“. Sie sehen vor, dass von den vier Start- und Landebahnen nach 22 Uhr nur noch die in Richtung Norderstedt/Quickborn benutzt werden soll. Der Flughafen verwies auf die vielen zulässigen Ausnahmen. Auch dürfe Fuhlsbüttel Piloten und Deutscher Flugsicherung, die nach Maßgaben der Sicherheit vorgehen, keine Weisungen erteilen.

Sowohl Starts als auch Landungen erforderten Gegenwind. „Der Wind weht aber nicht jeden Tag falsch“, sagte BAW-Sprecher Martin Mosel. Thering sprach von „Bequemlichkeit. Es ist einfacher für die Flugsicherung, den Verkehr über zwei Bahnen abzuwickeln als über nur eine.“ Dressel und Tjarks äußerten sich nicht dazu.