Hamburg. Früherer HSV-Star ist Gesellschafter bei Emotionum. Fans bewerten Taktik, Technik, Athletik und Charakter von Fußballspielern.

Sobald über den Volkssport Nummer eins gesprochen wird, kochen die Emotionen schnell hoch. Ob am Stammtisch, beim Grillen oder im Büro: Das Ergebnis des Lieblingsfußballclubs, umstrittene Schiedsrichterentscheidungen und die Leistung der Spieler führen schnell zu leidenschaftlichen Diskussionen – für die Einschätzung der Profis hat ein Hamburger Start-up jetzt eine neue Internetplattform auf den Markt gebracht.

Bei Emotionum können die Anhänger die Stars in 32 Kategorien beurteilen. „Wir wollen den Fans ein Sprachrohr geben“, sagt Christopher Stegemann, der zusammen mit Marco Schieve zu Jahresbeginn die Emotionum Fußball GmbH gegründet hat. Grundsätzlich würden beim Dialog zwischen Vereinen und Anhängern viele Emotionen frei. In Meinungsforen verläuft die Debatte nicht selten unter der Gürtellinie. Auf der neuen Webseite soll sie auf Basis von Zahlen und Einschätzungen erfolgen. „Emotionum hat zweifelsohne das Potenzial, eine der wenigen originär deutschen Erfolgsgeschichten im Internet zu werden“, sagt der Hamburger Wirtschaftsprofessor Michael Ceyp, dessen Studenten das Konzept untersuchten.

Horst Hrubesch fand die Idee gut, das machte Mut

Die ersten Gedankenspiele für das Produkt gab es vor gut fünf Jahren, als das heutige Geschäftsführer-Duo Horst Hrubesch kennenlernte, den früheren Bundesliga-Stürmer des Hamburger Sportvereins (HSV), der derzeit noch die deutsche U-21-Nationalmannschaft trainiert. Sie fragten ihn, ob er einen Nutzen darin sehe, aus mehreren Kanälen gebündelte Informationen über einen Spieler zu erhalten, in denen auch dessen Charakter erfasst werde. „Die Idee war, ein Produkt zu entwickeln, das auf gestützter Subjektivität beruht“, sagt Stegemann. Hrubesch bejahte.

Zwar werden für Fußballprofis längst wichtige Werte wie Zweikampfbilanz, Passgenauigkeit, Laufleistung, Anzahl der Sprints und Torschüsse ermittelt, aber Stegemann sagt: „Wir zählen nicht die Kopfballbilanz eines Spielers, sondern weisen die Einschätzung aus, ob er kopfballstark ist.“ Und Ex-HSV-Trainer Michael Oenning ergänzt: „Die ,weichen Daten‘ fehlten. Sie sind aber sehr wichtig.“ Er ist ebenso wie Hrubesch und dessen früherer HSV-Teamkollege Holger Hieronymus einer der fünf Gesellschafter des Unternehmens.

Seit einigen Wochen ist die Einschätzungsplattform nun live geschaltet. Nutzer können Spieler in vier Hauptgruppen beurteilen: Taktik, Technik, Athletik und Charakter. Darunter gibt es dann jeweils acht Untergruppen. Die Stärke wird im Bereich von null bis 100 Prozent angegeben.

Zum Beispiel bescheinigen die Absender dem Bayern-München- und National-Stürmer Thomas Müller im Bereich Charakter 100 Prozent bei vorbildlich und 80 Prozent bei lernfähig. Bei der Taktik erhält er für offensivstark 90 Prozent, für defensivstark nur 50 Prozent. Bei der Technik erhält er für seine Kopfballstärke 90, für seine Beidfüßigkeit nur 60 Prozent.

Alle Spieler aus der ersten und zweiten Bundesliga hat Emotionum mittlerweile eingepflegt, insgesamt sind es derzeit mehr als 1200 Fußballer. Darunter sind alle deutschen Nationalspieler und ausgewählte EM-Stars.

Perspektivisch ist das Ziel, dass auch Trainer und Scouts ihre Analysen in das System einpflegen. „Es gibt die Möglichkeit, die Nutzerdaten zu separieren“, sagt Hieronymus, der beim HSV Spieler, Sportdirektor und Interimscoach war und knapp sieben Jahre lang als Geschäftsführer für die Deutsche Fußball Liga (DFL) tätig war. So könnten beispielsweise die Daten nur von Mitarbeitern eines Vereins eingesehen werden. Oenning, der derzeit als Coach von Vasas Budapest in Ungarn tätig ist, sieht in dem System einen hohen Nutzen für Trainer, die sonst Probleme haben, Informationen über mögliche Neuverpflichtungen zu bekommen: „Wenn ich Daten aus meinem eigenen Netzwerk über einen Spieler erhielte, würde ich darauf in jedem Fall zurückgreifen.“ So könnte man auch gezielt nach gewünschten Eigenschaften von Profis suchen und filtern.

Doch nicht nur Fans und Funktionäre von Proficlubs sind Zielgruppe des Unternehmens, sondern auch Amateure und Jugendliche. Gerade die Nachwuchskicker sind den drei ehemaligen HSV-Größen ein Anliegen. Im Jugend­bereich würden Spieler, die im zweiten Halbjahr eines Jahres geboren werden, häufig allein aufgrund von körperlichen Nachteilen aus der Förderung fallen. Auch Spätentwickler blieben bisher auf der Strecke. Das möchte Schieve ändern, indem möglichst viele Vereine ihre Spieler registrieren und einschätzen: „Wir wollen Talent sichtbar machen. Mit dem Ziel, dass Talente möglichst lange in ihren Ausbildungsvereinen bleiben.“

Die Datenbank soll Spielernbei der Karriere helfen

Hieronymus, der laut eigener Aussage zusammen mit Hrubesch die Zertifizierung der Leistungszentren maßgeblich vorangetrieben hat, ergänzt: „In welchen Facetten die Spieler gut sind, konnte man nicht sagen. Emotionum ist der nächste logische Schritt.“ Langfristig soll sich von den Spielern eine Vita aufbauen und so ihre Entwicklung sichtbar werden. Schließlich gingen mit einem Trainerwechsel auch viele Informationen über einen Spieler verloren. Stegemann: „Emotionum soll Spielern langfristig helfen, sich bewerben zu können.“ Gerade beim schwierigen Übergang vom Jugend- in den Seniorenbereich könnte die Webseite helfen, dass nicht manche hoffnungsvolle Karriere in den tiefsten Klassen endet.

Das am Anfang seiner eigenen Karriere stehende Unternehmen hat drei Säulen als Geschäftsmodell ausgemacht. Erstens sollen Einnahmen aus der Vermarktung kommen. Vor allem für Markenhersteller aus der Sportartikelbranche biete Emotionum ein interessantes Umfeld, sagen Stegemann und Schieve, die über die Bürgschaftsgemeinschaft und die Haspa eine sechsstellige Summe investiert haben. Zweitens ist ein Lizenzmodell angedacht, bei dem die Nutzer für das System eine Gebühr zahlen. Drittens soll Geld durch App-Verkäufe fließen. Bestimmte Inhalte würden dann etwas kosten, wie zum Beispiel Spielereinschätzungen aus den Augen von Horst Hrubesch oder Daten über die Entwicklung eines Spielers.

Schieve ist sicher, dass sich das Angebot durchsetzen wird: „Ab dem vierten Quartal nach dem Start wollen wir operativ in schwarze Zahlen kommen.“