Hamburg. Flughafen kündigt neue Verzögerung bei Gepäckabfertigung an. Für das Bodenpersonal ist jede Landung ein Kampf gegen die Zeit.
Sie erreichen ihr Ziel nach zwei Stunden und 34 Minuten. Dann stehen sie da – und warten. Starren ein bisschen. Und warten weiter. Erst als drei Kinderwagen vorbeiziehen, kommt Bewegung in die Gruppe. Doch dann wird schnell weitergewartet, kann ja jetzt nicht mehr lange dauern, bis die ersten Koffer auftauchen. Und als es so weit ist, werden 275 Urlauber sehr schnell sehr unruhig. Plätze werden erkämpft, Plätze werden verteidigt. Die üblichen Rituale am Gepäckband.
Soeben hat eine Boeing 757 die Mallorca-Urlauber nach Hamburg gebracht. Dorthin, wo eine halbe Stunde Gepäckwartezeit eher Ausnahme als Regel war, es gleichwohl schon immer Ausreißer nach oben oder unten gab. Knapp ein Prozent der Flugzeuge war im ersten Quartal 2016 etwa erst nach einer Stunde vollständig entladen.
Nun kündigt der Flughafen an, künftig nicht nur bei großen Fliegern wie der 757 eher eine halbe denn eine Viertelstunde für die Gepäckabfertigung zu brauchen. Bei 30.000 Gepäckstücken am Tag, einem immer dichter werdenden Flugplan, zunehmenden Verspätungen und einer steigenden Zahl lose verladener Koffer könne auch das aufgestockte Personal von 250 Leuten pro Schicht nicht mehr ausrichten.
Zu besichtigen war das am Urlauberjet aus Mallorca. Umgehend nach Erreichen der Parkposition wurden sechs Männer am Flieger tätig, haben die Luken geöffnet, sind hineingekrochen. Fast 300 lose verstaute Koffer haben sie aus dem nur 1,15 Meter hohen Bauch der Boeing gewuchtet. Nun, 20 Minuten später, liegt das erste Gepäckstück auf Band 5 im Ankunftsbereich. Zehn Minuten danach kann eigentlich durchgefeudelt werden, die Urlauber gehen – mal mehr, mal weniger zufrieden. „Alles im Rahmen“, sagt etwa Jutta Metzner aus Malente. „Eine halbe Stunde warten ist nicht dramatisch.“ Andere verlassen sichtlich genervt den Airport.
Einer, der das alles erklären kann und muss, ist Christian Noack, Direktor des Ground Handling. Der Mann ist 44 Jahre alt und hat „Kerosin im Blut“, wie er sagt. Im Grunde sind für ihn häufiger auftretende Wartezeiten nicht zu vermeiden. Für Noack und seine Mitarbeiter sei jede Landung (und jeder Start) ein Kampf gegen die Zeit. Der Turn-Around, also die Zeit, bis ein Flieger wieder einsatzfähig sein soll, betrage nur noch 25 Minuten. „Und wenn dann, besonders in den Spitzenzeiten, Flugzeuge im Minutentakt landen, wird es für uns richtig stressig.“
Spitzenzeiten sind in Hamburg die Sommer- und Herbstferien, sowie der Montagmorgen und die Abende an Freitagen und Sonntagen. Eigentlich werde es aber jeden späten Vormittag schon kritisch, dann könne man die morgendliche Einteilung der Teams schon über den Haufen werfen, weil die ersten Flieger verspätet sind. Streiks, Unwetter – irgendwas ist immer: Gerät die sorgsam geschmierte Maschine der Bodendienstleistungen mal aus dem Takt, bleibt sie das auch. „Bis um 10 Uhr kann man eigentlich jeden Tag planen – der Rest ist Leben in der Lage“, sagt Noack. 38 Prozent aller Ankünfte und Abflüge waren in Hamburg 2016 verspätet, weil zuvor verlorene Zeit nicht wieder aufgeholt werden konnte.
Zu wenig Personal für gestiegene Anforderungen in Spitzenzeiten
Jetzt, gegen 11 Uhr, könne man sich ja mal ansehen, was draußen auf dem Vorfeld los sei: Die „Platte“ ist voll, etliche Flieger haben an den Gates angedockt, absolute Hauptverkehrszeit am Flughafen. Unter den Tragflächen herrscht ständiges Gewusel. Sobald ein Jet tösend seine Parkposition erreicht und die Triebwerke abstellt, führt das Bodenpersonal eine eingeübte Choreografie auf: Tankwagen, Gepäckwagen, Servicewagen. Förderband davor, zwei Mann rein, alles raus, Förderband weg.
Mehr als 900 Menschen arbeiten als Bodenpersonal am Flughafen – etwas zu wenig für die gestiegenen Anforderungen in Spitzenzeiten. Verlässliche Mitarbeiter, sagt Noack, sind aber schwer zu bekommen. Angestellte im Ground Handling müssen kräftig sein, im Schichtdienst arbeiten, auch mal um 4 Uhr morgens anfangen – für einen Brutto-Einstiegslohn von 10,40 Euro pro Stunde ist das nicht das Paradies. Zumal Frauen nicht eingestellt werden dürfen und männliche Bewerber ein blütenweißes Führungszeugnis vorweisen müssen. Derzeit warten 60 Bewerber auf die Zuverlässigkeitsprüfung.
Beim Blick in den Bauch einer Maschine kommt Noack auf ein anderes Problem zu sprechen, das Zeitverzug produziert: Die zunehmende Verladung von Einzelgepäck. Fünf Minuten pro Maschine verlieren seine Leute, weil sie statt Containern jeden Koffer einzeln anfassen müssen. „Wegen gestiegener Kosteneffizienz hat sich die Zahl dieser Verladung um 60 Prozent in den vergangenen fünf Jahren erhöht.“ Container seien zu teuer, die Verladetechnik ebenfalls. Überhaupt: die Technik, sagt Noack. „In jedem Bereich des Flugzeugs wird an Innovationen gearbeitet, aber das Be- und Entladen funktioniert wie vor 30 Jahren.“
Erschwerend kommt beim Pünktlichkeitsstreben des Flughafens momentan hinzu, dass das Vorfeld 1 bis zum Jahr 2020 für 120 Millionen Euro saniert wird. Damit fallen günstige Parkpositionen weg, mehr Bustransfers sind nötig. „Wir haben extra neun neue Busse besorgt und zehn neue Fahrer eingestellt“, sagt Janet Niemeyer, Sprecherin des Airports. Mit einer Flotte von nunmehr 27 Bussen, sollen die Transferzeiten schmal gehalten werden.
Der Transfer, also der Übergang vom Flugzeug zum Flughafengebäude, ist ein grundsätzliches „Gefühlsproblem“ in Hamburg, sagt Ground-Handling-Chef Noack. Weil die Wege vergleichsweise kurz seien, erscheine vielen die reine Wartezeit am Gepäckband als zu lang. Kommt dann noch eine Zollkontrolle – zehn Prozent aller Koffer werden gefilzt – dazwischen, über die die Fluggäste nicht informiert werden dürfen, ist es aus mit der Geduld. 30 Minuten werden da schnell zur Ewigkeit.