Hamburg. In der Bäckerei „Zeit für Brot“ sind Brot, Brötchen und Kuchen noch pures Handwerk. Wer will, kann durch die Glasscheibe zugucken.
Hinter der Glasscheibe wird gearbeitet. Gerade hat Sascha Hänsel einen neuen Sauerteig angesetzt. „Der braucht jetzt 24 Stunden, bis er fertig ist“, sagt der Bäckermeister und guckt noch einmal prüfend in den großen Behälter, bevor er den Deckel schließt. Auf der Arbeitsplatte daneben streut Franziska Goeke Rhabarberstückchen auf ihren Teig. Wer will, kann zusehen, wie die Backenstubenleiterin daraus mit kräftigen Handgriffen eine Rolle formt und in einer Kastenform in den Ofen schiebt. Danach kommt die frische Hefeschnecke direkt in die Ladentheke.
„Wir backen so, wie Bäcker es traditionell immer gemacht haben. Rein handwerklich“, sagt Dirk Steiger. Der 44-Jährige ist Mitbegründer und Geschäftsführer der Bäckerei „Zeit für Brot“, die vor Kurzem einen Standort mit Café-Betrieb in Ottensen eröffnet hat. Der – etwas sperrige – Name ist Programm: „Wir nehmen uns Zeit, unsere Produkte gut herzustellen“, sagt Steiger. Gleichzeitig sei damit auch ein Denkanstoß an die Kunden verbunden, Brot wieder mehr zu genießen. Das Konzept geht auf. Der Hamburger Laden ist nach Frankfurt, Berlin und Köln schon der vierte in Deutschland.
Dabei setzen die Macher auf Purismus und Reduktion. Gerade mal sieben Brotsorten liegen im Regal. „Mehl, Wasser, Salz – der Rest ist Arbeit“, sagt Zeit-für-Brot-Chef Steiger. Außerdem umfasst das Angebot verschiedene Brötchen, Hefeschnecken und einige Snacks. Gebacken wird ab morgens um 3 Uhr in zwei Schichten. Vom Getreide bis zur Schokolade für die wirklich leckeren Schoko-Dinkel-Stangen ist alles Bio und aus der Region. Besonders stolz sind die Bäcker auf eine kleine Mühle im Keller, in der sie Vollkorngetreide frisch mahlen.
Bäckereien setzen auf weniger Produkte
Das Konzept geht auf. „Wir sehen die Tendenz, dass Bäckereien auf weniger Produkte setzen, die dafür aber sehr hochwertig und frisch sind“, sagt Stephanie Bienefeld, Trendscout bei den Ernährungs-Beratern food & more im nordrhein-westfälischen Kaarst. Zeit für Brot sei dafür ein gutes Beispiel. „Wenn Bäckereien sich neu ausrichten wollen, empfehlen wir ihnen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren“, sagt Bienefeld.
Hinten wird gebacken, vorn wird verkauft – was früher in Bäckereien der Normalfall war, ist inzwischen die Ausnahme. „In den vergangenen 30 Jahren ist vieles verloren gegangen“, sagt Heinz Essel, Geschäftsführer der Bäcker-Innung Hamburg. Jetzt sieht er eine leichte Tendenz „back to the roots“. Ähnlich die Einschätzung der Handwerkskammer. „Auch wenn der Trend zum Aufbackbrötchen im Supermarkt ungebrochen ist, werden regionale, gesunde, ursprüngliche Nahrungsmittel stark nachgefragt“, so Sprecherin Ute Kretschmann. In der Hamburger Handwerksrolle sind aktuell noch 73 Bäckerei-Betriebe eingetragen, darunter Traditionsbäcker, die schon immer vor Ort gebacken haben, wie etwa Körner in Blankenese, Heinz in Allermöhe oder Wulf in Eimsbüttel. Oder wie Bio-Bäcker Effenberger mit Stammsitz in der Rutschbahn, der das Prinzip mit seiner gläsernen Backstube im Dammtor Bahnhof weiterentwickelt hat.
Bäckereien in Frankfurt, Berlin, Köln und Hamburg
Die Entstehungsgeschichte von „Zeit für Brot“ hat mit einem persönlichen Neuanfang zu tun. Björn Schwind, neben Dirk Steiger der zweite Inhaber, wollte eigentlich den alteingesessenen Familienbetrieb mit mehreren Filialen in Darmstadt übernehmen. Als sich der Plan zerschlug, beschloss der Bäckermeister und studierte Betriebswirt, selbst eine Bäckerei zu gründen. 2009 eröffnete Schwind die erste „Zeit-für-Brot“-Filiale in Frankfurt. Zwei Jahre später kam Steiger über einen persönlichen Kontakt dazu.
Seitdem geht es Schlag auf Schlag: 2012 machten die beiden einen Laden in Berlin-Mitte auf, 2015 folgten Köln und Hamburg. Investitionsvolumen jeweils im sechsstelligen Euro-Bereich. Insgesamt hat das Unternehmen inzwischen 120 Mitarbeiter, davon 26 Bäcker. Als nächstes ist eine weitere Filiale in Berlin geplant. „Wir haben keine großen Investitionspläne, wir machen es so, wie es sich ergibt“, sagt Steiger. Konkrete Umsatzzahlen will er nicht nennen, aber klar ist: Die Läden laufen, obwohl „Zeit für Brot“ ohne Werbung auskommt.
Auch in Hamburg stehen die ersten Kunden schon frühmorgens um 7 Uhr vor dem Laden an der Ottenser Hauptstraße. „Es kommen auch viele Mütter mit kleinen Kindern“, sagt Filialleiter Florian Mohaupt. Renner sind etwa die Dinkelstangen mit Oliven oder Schokolade (jeweils 1,70 Euro), auch das Vollkorn-Saftkorn (5,80 Euro) und das Hausbrot, das im großen Laib gebacken und zum Kilopreis für 6,20 Euro angeboten wird, laufen gut, so Mohaupt. So beliebt, dass die Slow-Bäcker ihr Brot in Hamburg auch an die fünf Filialen der Bio-Supermarkt „Denn’s“ liefern.
„Wir machen kein Produkt, von dem wir nicht überzeugt sind“, sagt Bäckermeister Hänsel in der gläsernen Backstube. Der 34-Jährige arbeitet normalerweise im Frankfurter Urbetrieb und ist zum Einarbeiten und für die Qualitätskontrolle eine Woche nach Hamburg gekommen. Backstubenleiterin Goeke hat inzwischen längst die nächsten Hefeschnecken in den Ofen geschoben. Ihre Schicht geht noch bis 18 Uhr. „Es ist ein guter Arbeitsplatz“, sagt die junge Meisterin. Gerade weil es nicht so viele unterschiedliche Produkte gebe, könne man die wirklich gut machen. Und, für Bäckereien auch nicht selbstverständlich: „Es ist ein Arbeitsplatz mit Tageslicht.“