Hamburg. Chef der SPD Mitte will bei Bundestagswahl 2017 auf die Landesliste. Dort könnte er Staatsministerin Özoguz Konkurrenz machen.

Wenn die 350 Delegierten des SPD-Landesparteitages am heutigen Sonnabend im Bürgerhaus Wilhelmsburg zusammenkommen, dann erwartet sie ein Programm, das, sagen wir mal, nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig ist. Die Wahlen zum Landesvorstand sind im Vorfeld zwischen den sieben Kreisverbänden sorgsam austariert worden, Gegenkandidaturen werden nicht erwartet.

Wie die Stimmung in der Partei ist, die einst für ihre Diskussionsfreude bekannt und von manchem SPD-Bürgermeister deswegen gefürchtet war, wird sich allenfalls an der Prozenthöhe der Wahlergebnisse ablesen lassen. Parteichef Olaf Scholz zum Beispiel erhielt vor zwei Jahren 94,8 Prozent. Der Erste Bürgermeister ist bekanntlich die unumstrittene Führungsfigur der Hamburger Sozialdemokraten. Deswegen würde es an Majestätsbeleidigung grenzen, wenn einer seiner drei Stellvertreter – Sozialsenatorin Melanie Leonhard, Inka Damerau vom ehemaligen linken Flügel und als Führungsnachwuchskraft Nils Weiland – ein besseres Ergebnis als er erzielen würde.

Ganz so reibungslos wie diese Vorstandswahlen verspricht ein anderes innerparteiliches Ausleseverfahren nicht zu werden: die Kür der Bundestagskandidaten für die Wahl 2017. Zwar ist es noch ein bisschen hin bis zur Entscheidung: Meldeschluss für potenzielle Kandidaten ist der 1. September, die Abstimmungen darüber, wer in den Wahlkreisen für die SPD antritt, sind für Ende des Jahres vorgesehen.

Aber der kluge Mann baut nun einmal vor. Und der einflussreiche Vorsitzende des SPD-Kreisverbandes Hamburg-Mitte und Bundestagsabgeordnete, Johannes Kahrs, zählt zu den besonders klugen Politikern. So ist es nicht überraschend, dass in der SPD derzeit lebhaft darüber diskutiert wird, dass der „Johannes“ diesmal auf der Landesliste für die Bundestagswahl kandidieren will, und zwar „ganz vorn“, wie etwas raunend hinzugefügt wird.

Nun gehört es ebenfalls zur politischen Klugheit und Erfahrung, dass der Betroffene zu eigenen Ambitionen zu einem so frühen Zeitpunkt schweigt. Es genügt ja, dass schon eifrig diskutiert wird. Mindestens aus zwei Gründen ist Kahrs’ Absicht brisant. Erstens ist „ganz vorn“ auf der Liste üblicherweise nicht viel Platz, und eigentlich ist der Rang eins mit Staatsministerin Aydan Özoguz schon besetzt, 2013 direkt im Wahlkreis Wandsbek gewählt. Das sieht nach Gerangel um den Spitzenplatz aus.

Zweitens hat Kahrs, einst eine Art Enfant terrible der Elb-SPD, seine eigene Geschichte mit der Partei. Vor mehr als 20 Jahren, als die Flügel in der SPD noch heftig schlugen, war der junge Kahrs einer der Protagonisten des Mitte-Rechts-Lagers. Für die Linken war der Mann aus Mitte ein rotes Tuch, auch weil er mit bisweilen recht hemdsärmeligen Methoden versuchte, innerparteiliche Gegner einzuschüchtern. Über Details soll an dieser Stelle geschwiegen werden, weil auch für Politiker das Resozialisierungsgebot gilt.

An Kahrs schieden sich seitdem die Geister. Und die Parteilinken waren nachtragend: Seit 1998, als Kahrs zum ersten Mal für den Bundestag kandidierte und den Wahlkreis direkt gewann, ist er auf den Nominierungsparteitagen für die Listenplätze immer durchgefallen. Zum Teil in mehreren Wahlgängen, was zu hitzigsten Wortgefechten der Kahrs-Anhänger und seiner Gegner führte. Zuletzt hat er gar nicht mehr kandidiert.

Aydan Özoguz (49)
gehört dem Bundestag
seit 2009 an
Aydan Özoguz (49) gehört dem Bundestag seit 2009 an © Getty Images

Damit soll jetzt Schluss sein. Kahrs selbst dürfte es als ein Stück Wiedergutmachung ansehen, wenn er erstmals auf einen Listenplatz gewählt wird und damit gewissermaßen in die Mitte der Partei zurückkehrt. Und richtig ist ja auch: Aus dem Haudegen von einst ist längst ein einflussreicher Berliner Politiker mit besten Kontakten geworden. Kahrs ist Vorsitzender des Seeheimer Kreises der Parteirechten, die einst als „Kanalarbeiter“ berüchtigt waren. Auf der anderen Seite sorgt er als Mitglied des Haushaltsausschusses zusammen mit seinem Hamburger CDU-Pendant Rüdiger Kruse dafür, dass etliche Millionen Euro nach Hamburg fließen. Das war so bei der umfangreichen Sanierung des Turmes von St. Nikolai am Hopfenmarkt. In noch größerem Maße war das so bei den geradezu spektakulären 120 Millionen Euro, mit denen das Hafenmuseum ausgebaut und die Viermast-Stahlbark „Peking“ der legendären Flying-P-Liner von New York nach Hamburg geholt und saniert werden sollen.

In der SPD werden diese Leistungen inzwischen anerkannt. „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Johannes Kahrs die Landesliste anführt“, sagt Matthias Petersen, Chef der Altonaer SPD und früherer Landesvorsitzender. „Kahrs hat in der laufenden Legislaturperiode die Hamburger Kultur in großartiger Weise unterstützt.“ Im Übrigen spreche für den Mitte-Mann auf Platz eins das Anciennitätsprinzip. Kahrs ist mit 18 Mandatsjahren der bei Weitem dienstälteste SPD-Abgeordnete.

Nun pflegt Kahrs kaum einem Streit aus dem Weg zu gehen und zählt zu den wenigen Sozialdemokraten, die Zampano Scholz auch mal ihre Meinung sagen. Die letzte deutliche Ansage des streitbaren „Johannes“ liegt erst wenige Monate zurück. Kahrs machte Scholz deutlich, dass er nach dem Rücktritt von Innensenator Michael Neumann (SPD Mitte) nur einen Nachfolger wiederum aus den Reihen seines Kreisverbandes akzeptieren werde. Innensenator wurde Andy Grote, SPD Hamburg-Mitte.

Trotzdem könnte es sein, dass sich Kahrs mit Platz zwei auf der Landesliste zufrieden gibt und Özoguz den Vortritt lässt. Dieses Signal des innerparteilichen Friedens kann seine Chancen auf eine erfolgreiche Wahl auf die Liste nur erhöhen. Kahrs ist in erster Linie Pragmatiker, und so wird in der SPD über seine Motivation diskutiert. Überfällige Anerkennung – schön und gut. Bislang jedenfalls war Kahrs das Lob der anderen nicht so wichtig. Der Blick auf die letzten Wahlergebnisse hilft weiter.

Der Wahlkreis Hamburg-Mitte gilt als sichere SPD-Bastion mit einstmals absoluten Mehrheiten. Aber 2013 holte Kahrs noch 39,2 Prozent – der Abstand zum weithin unbekannten CDU-Kandidaten Dirk Marx betrug immerhin elf Prozentpunkte. Im kommenden Jahr wird jedoch mit CDU-Kreischef Christoph de Vries vermutlich ein anderes Kaliber am Start sein. Der Bundestrend für die SPD ist zudem negativ. Und: Die AfD kann Kahrs Stimmen kosten – gerade in traditionellen SPD-geprägten, einstigen Arbeitervierteln finden rechtspopulistische Parteien Akzeptanz.

Vielleicht sucht Kahrs also mit einer möglichen Absicherung auf der Liste auch ein wenig mehr Schutz vor den Launen der Wäh­ler.