Hamburg. Das Abendblatt sprach mit Gästen der Barkasse, die mit dem Schlepper kollidierte – eine Seniorengruppe aus Flensburg.

Der Schreck sitzt tief bei Harald Mattern. Ihm selbst ist wenig passiert, nur eine Schürfwunde am rechten Arm. Aber andere Fahrgäste, die habe es „richtig schlimm erwischt“, sagt der 84-Jährige. Mattern gehört zu den Fahrgästen, die das Barkassen-Unglück am Dienstag relativ unbeschadet überstanden haben. Es war um kurz vor 15 Uhr, als auf Höhe des Docks 10 von Blohm+Voss der Hafenschlepper „Jörn“ und die Barkasse „Irma II“ kollidierten. Nach Angaben der Feuerwehr wurden 15 Menschen verletzt, neun von ihnen leicht, sie kamen in umliegende Krankenhäuser. „Sechs von ihnen wurden mittelschwer bis schwer verletzt. Schädel-Hirn-Traumata, Kopf- und Gesichtsverletzungen, Prellungen und Schürfwunden mussten von den Einsatzkräften versorgt werden“, sagt Feuerwehrsprecher Jan Ole Unger.

Harald Mattern steht jetzt auf dem Steg, der hinunter zum Ponton führt, wo die schwer beschädigte „Irma II“ festgemacht hat. Es ist drückend schwül, eine halbe Stunde nach der Kollision wirkt der Rentner noch etwas orientierungslos.

Mehrere verletzte Passagiere werden
auf Liegen abtransportiert
Mehrere verletzte Passagiere werden auf Liegen abtransportiert © HA | Michael Arning

Mit mehr als 30 ehemaligen Mitarbeitern der Stadtwerke Flensburg ist Mattern am Dienstagmorgen nach Hamburg aufgebrochen. Um 7.30 Uhr trifft der Bus mit den Rentnern in der Hansestadt ein. Bei bestem Wetter wollen sie sich einen entspannten Tag machen. Erst schauen sie sich den Friedhof Ohlsdorf an, dann kehren sie am Stadtpark ins Landhaus Walter ein. Nach dem Mittagessen ist eine Hafenrundfahrt geplant. Und schließlich – bevor es mit dem Bus zurückgeht nach Flensburg – Kaffee und Kuchen auf der „Rickmer Rickmers“. Auch für die 67 Jahre alte Hannelore Faust ist es der ultimative Höhepunkt der Kurzreise nach Hamburg. Doch es kommt alles ganz anders. Gegen 14.45 Uhr betritt die Gruppe die gecharterte Ausflugsbarkasse „Irma II“, in Sichtweite befindet sich die „Queen Mary 2“, die wollen sie alle aus nächster Nähe sehen. „Wir sind gestartet, dann leicht schräg rüber zur ,Queen Mary 2‘“, sagt Harald Mattern. Sie sind gerade fünf Minuten auf der Elbe unterwegs, da passiert es. „Ein Schlepper kommt auf uns zu, mit einer ordentlichen Geschwindigkeit. Mensch, dreh mal ab, denke ich, und rums, kracht es schon. Und alle Leute fallen aufeinander, Glas splittert, Bänke fliegen durch die Gegend“, sagt er. „Ich selbst hatte wohl Glück“, sagt Harald Mattern. „Ich saß in der Mitte.“ Ähnlich erlebt auch Rolf-Dieter Conrad, 67, den Aufprall. „Wir sitzen gemütlich auf dem Schiff, fahren mehr oder weniger geradeaus zur ,Queen Mary 2‘, in diesem Moment kommt der Schlepper und rammt uns seitlich“, erzählt Conrad. „Das ging alles blitzschnell.“ Hannelore Faust sieht mehrere verletzte Passagiere, mit „Blut an den Augen“, die sofort zuschwellen. Alle Scheiben der Barkasse seien zu Bruch gegangen. Möglicherweise ist es Hafenschlepper „Jörn“ selbst, der mit seinem Bug die Barkasse zu einem Hadag-Anleger am Fischmarkt drückt. Andere Zeugen berichten, dass die beteiligten Schiffe noch fahrtauglich gewesen seien und den Ponton aus eigener Kraft erreicht hätten. Sicher ist: Die Barkasse und der Schlepper sind beschädigt.

Auf dem Hadag-Anleger
versorgen
Feuerwehrleute die Verletzten
Auf dem Hadag-Anleger versorgen Feuerwehrleute die Verletzten © HA | Klaus Bodig

Der Rumpf des Schleppers ist verformt, die Barkasse mitschiffs an der Backbordseite „arg in Mitleidenschaft gezogen“, sagt ein Beamter der Wasserschutzpolizei. In kürzester Zeit wimmelt es nach dem Zusammenstoß auf dem Parkplatz an der Fischauktionshalle von Rettungswagen. Am Hadag-Fähr­anleger fährt die Barkasse „Lara“ längs, um weniger schlimm verletzte Fahrgäste von der „Irma II“ aufzunehmen und sicher an Land zu bringen. So bleibt mehr Platz für die Rettungssanitäter, die sich auf der „Irma II“ um die schwerer verletzten Patienten kümmern.

Feuerwehrleute – fast 100 sind im Einsatz – rollen teils benommene und durch Halskrausen stabilisierte Patienten auf Liegen zu den Rettungswagen. Ein Notfallseelsorger betreut die geschockten Fahrgäste. Wer noch sitzen kann, bekommt einen Platz im Großraumrettungswagen der Feuerwehr. Gleichzeitig prüfen Feuerwehrtaucher den Rumpf der Barkasse – ein Leck finden sie, wie anfangs vermutet, nicht.

Die Wasserschutzpolizei prüft nun, wer das Unglück verschuldet hat – ob etwa ein Schiff dem anderen die Vorfahrt genommen hat. Bisher gehen die Ermittler nicht von einem Defekt, beispielsweise einer defekten Ruderanlage, aus, sondern von einem Fahrfehler. Ob noch ein drittes Schiff in den Unfall verwickelt war, wie Zeugen aussagten, soll die Auswertung der Radarbilder zeigen.

Auf der Barkasse „Irma II“ sollen alle
Scheiben zu Bruch gegangen sein
Auf der Barkasse „Irma II“ sollen alle Scheiben zu Bruch gegangen sein © dpa

Die älteren Herrschaften, die mit einem leichten Schock davongekommen sind, steigen um 16.30 Uhr in den Bus, der sie zurück nach Flensburg bringt. Wenigstens seien die meisten aus ihrer Gruppe wohlauf, sagt Hannelore Faust. In Anspielung auf das erste Ziel der Flensburger, den Ohlsdorfer Friedhof, sagt die 67-Jährige: „So schnell wollten wir da ja nun nicht hin.“ Wer sich eine so gehörige Portion Galgenhumor bewahrt hat, den wirft auch ein Barkassenunfall nicht um.