F.C. Gundlach hat ein halbes Jahrhundert die Fotografie mitgeprägt und manche Berühmtheit vor der Kamera gehabt.
Kürzlich ist ihm mal wieder bewusst geworden, dass er sein Leben allein lebt. Er möchte die Wohnung unter dem Dach vermieten. Dort, wo er bis vor zehn Jahren selbst wohnte. Wegen zunehmender Gehbeschwerden zog er damals ein Stockwerk tiefer. Nun ist der Mieter ausgezogen. Der mögliche Nachmieter kam, war angetan, bemängelte aber das Fehlen einer Gästetoilette. „Es ist eine Wohnung, die nur für eine Person zugeschnitten ist“, sagt Hamburgs Fotografen-Legende Franz Christian Gundlach, 89, den Freunde nur FC nennen und der mit seinem speziellen Blick durch die Linse die Welt der internationalen Mode, aber auch der Fotografie an sich mehr als 50 Jahre entscheidend geprägt hat.
Die Räume, die er seither bewohnt und die er wegen seiner angegriffenen Konstitution nur noch mit einem Treppenlift erreicht, sind ebenfalls für einen Single-Haushalt angelegt. Und obwohl ein Stockwerk darunter im Erdgeschoss die Büros seiner Stiftung liegen und die Mitarbeiter, wenn es nötig ist, auch zu ihm nach oben in die Wohnung kommen, scheint ihn in manchen Augenblicken die Erkenntnis heimzusuchen, dass er das letzte Wegstück seines Lebens allein geht. Die Frage, ob er einsam sei im Alter, bringt ihn ein bisschen aus dem Konzept. Aber nur kurz.
F. C. Gundlach, ein weißhaariger älterer Herr im dunkelblauen Anzug mit Goldknöpfen, passender Weste über dem blauen Hemd mit Manschettenknöpfen und einem Halstuch, weiß auch im hohen Alter, was er sagen möchte. Und er bringt es auf den Punkt. „Mit Menschen zusammen zu sein ist nicht wichtig“, sagt er nach einigem Nachdenken. „Ich brauchte zeitlebens Platz für mich allein. Und das Gefühl, jederzeit wieder wegfahren zu können.“ In seiner altersrauen Stimme schwingt ein Hauch Melancholie mit. Vielleicht auch, weil in diesem Lebensabschnitt jedes Gespräch Resümee-Charakter hat und letzte Fragen aufwirft. „Je älter ich werde, desto weniger weiß ich, wo ich zu Hause bin.“
Der Anflug von Schwermütigkeit vergeht, wenn er erzählt. Auf dem Ledersofa seines Wohnzimmers mit den Bildern, Büchern und Reiseandenken sitzt ein Grandseigneur, ein Weltreisender, dessen geschätzt 25.000 Fotos Zeugen des Zeitgeistes sind. „Nicht die Kamera ist wichtig, sondern der Mensch dahinter“, erklärt er. Modefotografie, das war für Gundlach das Vehikel, um die Menschen, aber auch deren Haltungen darzustellen, wie er sie wahrnahm. Regisseur Wim Wenders formulierte es in einer Laudatio so: „Man muss eine Kunst, ein Handwerk, ein Metier, ein Geschäft, ein Objekt der Begierde ... schon sehr lieben, wenn man sich dem mit seinem ganzen Leben so widmet wie du, mit Haut und Haaren ...“
Seine Karriere begann der gelernte Fotograf aus dem hessischen Heinebach mit abenteuerlichen Reportagen. Aus dem Tempel von Angkor Wat in Kambodscha, dem Privathaus des brasilianischen Star-Architekten Oscar Niemeyer im Urwald und aus Isfahan im Iran, wo die berühmte Blaue Moschee steht, schickte er seine Bilder an Zeitschriften und Zeitungen. Er war Hausfotograf der Lufthansa, lernte an Bord die Mächtigen und Reichen kennen – und ließ sich seinen Lohn für die Fotostrecken in Freiflügen bezahlen. Das gab ihm Freiheit, wie er sie mochte, und die Einsicht: „Neben Talent und Disziplin braucht man Fortune.“ Das Glück, die richtigen Menschen zu treffen, wenn es wichtig ist. „Paris, die kulturelle Hauptstadt damals, der Film noir, das war meine Zeit“, sagt er.
Die Begegnungen mit den großen Geistern dieser Zeit brachten ihn nicht nur als Fotografen voran. Jean-Paul Sartre, Jean Cocteau, der deutsche Regisseur Rainer Werner Fassbinder, aber auch die erste Garde des damaligen deutschen und internationalen Films – sie alle saßen ihm Modell. Manchmal, wie bei Nadja Tiller und ihrem inzwischen verstorbenen Mann Walter Giller, wurde Freundschaft daraus. „Nadja hat mich vor drei Wochen hier besucht“, erzählt er. „Ich kenne dich länger, als ich Walter kannte“, sagte die 87-Jährige beim Abschied.
„Die letzte ernsthafte Fotografie habe ich etwa vor 20 Jahren gemacht“, sagt Gundlach irgendwann. Wenn er etwas mache, dann richtig. Und dieses Kapitel habe er zuschlagen wollen. Doch schnell fesselt er als Erzähler wieder mit jener Spur, die Vergangenheit heißt. Beispielsweise mit der Anekdote, als er den großen Jean-Luc Godard fotografieren sollte. Der französische Kult-Regisseur erschien seinerzeit mit Sonnenbrille vor den Augen und gab ihm deutlich zu verstehen, dass er sowohl Termin als auch Fotografen für eher unwichtig hielt. Gundlach wollte, dass er sich auf einen hohen Stuhl setzte, der nur eine kleine Sitzfläche hatte. „Bitte, nehmen Sie Platz“, sagte er und machte dazu eine einladende Handbewegung. Der Regisseur gehorchte. „Es war ein Rollentausch. Er akzeptierte, dass ich die Anweisungen in diesem Job gab.“ Zwei Männer auf Augenhöhe. „Nur so funktioniert es.“
Oder das Shooting in Berlin mit Cary Grant. Zwei Stunden hatte Gundlach laut Vertrag mit dem Filmstar zur Verfügung. Der kam zwar pünktlich, wollte aber unbedingt noch eine Handtasche kaufen. „Ich sagte ihm, ich kenne mich aus in der Stadt. Lassen sie uns zusammen einkaufen gehen. Danach fotografieren wir.“ Gundlach übernahm das Dolmetschen mit den Verkäuferinnen. Grant entschied sich schnell. Kaufte. Danach war er vor der Kamera entspannt.
In zwei Monaten wird F. C. Gundlach 90 Jahre alt. Nein, Angst vor dem Tod hat er nicht, sagt er. Das Testament ist lange geschrieben, und für seine Stiftung, die sein künstlerisches Œuvre verwaltet, hat er wichtige Stützen eingezogen. Dort wird seit Jahren gesammelt, geordnet und digitalisiert, was der Fotograf, Galerist, Sammler, Hochschullehrer, Kurator und Stifter in den fünf Dekaden seines Schaffens an Fotografien und anderem angehäuft hat. Regale beherbergen jede Ausgabe der Zeitschriften, insbesondere der „Brigitte“, für die er Titeloptiken und Fotostrecken konzipiert hat.
Hier, in der Zentrale seiner zweiten Karriere, wurden und werden auch seine Ausstellungen organisiert, Fotos ausgesucht, aktuell „90 Jahre, 90 Fotos“, ab 25. Juni in Berlin zu sehen. Am liebsten würde er aber einen Koffer nehmen und einfach abhauen. Feiern, noch dazu den eigenen Ehrentag, mag er nicht. Doch die eingeschränkte Mobilität, seine angegriffene Gesundheit entlarven solche Pläne als Wunschträume. Zudem ist Hamburg stolz auf einen international erfolgreichen Künstler wie ihn, dessen Sammlungen und Ausstellungen weltweit Anerkennung genießen. Viele junge Fotografen verdanken ihm und seiner Förderung ihre Weiterentwicklung. Im Foyer der Deichtorhallen wird es ihm zu Ehren einen Brunch für geladene Gäste geben. „Jeder kann kommen, bleiben und gehen, wie er will“, sagt er. Das passt ihm mehr denn je. Unabhängigkeit ist ihm ein Leben lang das Wichtigste gewesen.
Verstehen kann man diesen Drang nach Freiheit, wenn man seine Lebensgeschichte kennt. Präziser: die seiner Kriegserlebnisse. Er wurde als Flakhelfer eingezogen, da war der Krieg fast schon zu Ende. Er wurde verletzt, kam ins Lazarett, versuchte zu fliehen, fiel den Amerikanern in die Hände, wurde nach Frankreich deportiert. In der Bretagne landete er im Gefangenenlager. Es regnete, die Männer lagen wie die Ölsardinen auf einer matschigen Wiese. Sie hatten Hunger. Sie hatten Durst. „Wenn sich einer drehen wollte, mussten sich alle drehen.“ Gundlach steckte sich an einem Mitgefangenen an, der Tuberkulose hatte. „Man konnte ja nicht ausweichen, wenn einer hustete.“ Mit einer Rippenfellentzündung wurde er ins amerikanische Lazarett nach Göppingen verlegt. „Mit 19 träumte ich davon, 40 Jahre alt zu werden.“
Ein letzter Blick in die bereitgelegten Unterlagen. F. C. Gundlach hatte sich vorbereitet auf das Gespräch. Ein wenig ist es ihm entglitten. Doch der Besuch soll nicht gehen, ohne zu lesen, was ihm noch wichtig ist, zu sagen. Auf einem Zettel hat er es handgeschrieben aufgelistet. Ganz oben steht ein Zitat von Hermann Hesse: „Seltsam im Nebel zu wandern. Leben ist Einsamkeit. Kein Mensch kennt den anderen. Jeder ist allein.“