Manche können es kaum erwarten. Pastor Kasemann sieht seine Aufgabe auch darin, einen leichtfertigen Glaubenswechsel zu verhindern.

Das Vaterunser: auswendig gelernt, Taufsprüche: ausgewählt, Bibel: gelesen. Aber auf eine Frage hat Amir einfach noch keine Antwort gefunden. Und das beschäftigt ihn jetzt. „Darf ich als Christ eigentlich rauchen?“, fragt er in die Runde. Muslimische Bekannte hätten ihm neulich erzählt, dass das verboten sei.

Jetzt blicken auch die anderen in Richtung von Pastor Manfred Kasemann. „Ja, natürlich“, sagt er. Die Frage scheint ihn nicht zu verwundern. „Du kannst sicher sein, dass Gott dich auch liebt, wenn du rauchst.“ Und schiebt dann hinterher: „Aber vielleicht sollte man nicht unbedingt beim Beten rauchen“, sagt Kasemann. Es sollte ein Witz werden. Niemand lacht. Aber vielleicht hat es der Dolmetscher auch nicht richtig übersetzt.

Elf Menschen sitzen hier mit Amir zusammen an einer Art Konferenztisch in einem Nebengebäude der Christuskirche in Altona zusammen. Frauen, Männer, alte und junge. Alle stammen sie aus Afghanistan und sind Muslime. Oder waren es mal. Wie man es nimmt. Denn sie wollen sich hier in der Gemeinde taufen lassen und damit zum Christentum konvertieren.

Die Motive sind nicht immer deutlich

Einige von ihnen kommen von weit her angereist. Einer lebt eigentlich in der Nähe von Stuttgart, andere in Rostock und Hannover. Nicht in jeder Kirche gibt es Dolmetscher, die zwischen zwei Welten und Religionen vermitteln können. Einig sind fast alle darin: Sie haben es eilig, endlich Christ zu sein. Nur weiß die Kirche nicht, ob sie es aus hehren Motiven wollen.

Die Luft ist zum Schneiden. Die Fenster sind geschlossen. Nur ein kleiner Lichtstrahl fällt durch die dicken Vorhänge in den Raum, in dem die Noch-Muslime sich auf ihr zukünftiges Leben als Christen vorbereiten. Die dunklen Gardinen sollen die Konvertiten vor neugierigen Blicken schützen. In der Vergangenheit hat es schon Drohbriefe gegeben, sagt Pastor Kasemann.

Jeden Sonntag trifft sich die Taufgruppe hier in dem Gemeinderaum der Baptistengemeinde zur Bibelstunde. An dem Tisch in der Mitte sitzen diejenigen, die beim nächsten Tauftermin dran sind. Die meisten haben eine Bibel vor sich auf dem Tisch liegen – in arabischer oder persischer Schrift. Einige haben die heilige Schrift auch als Holy-Bible-App auf ihrem Handy. Am Tisch­ende steht ein Holzkreuz. An den Rändern des Raumes haben rund 30 Menschen Platz genommen, die ebenfalls vorhaben zu konvertieren, oder die zumindest darüber nachdenken.

Schon seit 2002 kümmert sich in der Kirchengemeinde der Christuskirche eine Gruppe von afghanischen Christen zusammen mit Pastor Kasemann um Afghanen, die vom Islam zum Christentum konvertieren wollen. „Früher gab es einen Taufgottesdienst pro Jahr für Afghanen“, sagt Pastor Kasemann. Aber das wird nicht mehr reichen. Die Nachfrage wächst. Und einige machen richtig Druck. „Die waren noch keinmal da, wollen dann aber ganz schnell getauft werden“, sagt Kasemann. Aber so einfach ist das nicht. Und Massentaufen wird es sowieso nicht geben.

Das Glaubensbekenntnis ist eine intime Sache

Pastor Kasemann sagt, dass viele von ihrem alten Gott enttäuscht wurden und deshalb nun nach einem neuen Glauben suchen. Aber er weiß auch, dass die Eile in manchen Fällen andere Gründe hat. Er ahnt es zumindest. „Bei den meisten hier sind die Asylverfahren noch nicht abgeschlossen. Und sie glauben offenbar, dass sie die Chance auf ein Bleiberecht erhöhen, wenn sie nachweisen können, dass sie jetzt als Christen leben und deswegen im Afghanistan bedroht werden.“

Kasemanns Sorge: Das Glaubensbekenntnis, eine der vielleicht intimsten Angelegenheiten, könnte so zu einer Ware degradiert werden, einer statistischen Erhöhung der Chance, ein neues Leben anzufangen. Wenn es allzu offensichtlich ist, dass es nur um das Asylverfahren geht, lehnt Kasemann die Taufe ab. Schon häufiger hat er so entschieden. „Außerdem macht einen die Taufe ja nicht automatisch zum Christen“, sagt er. „Das ist doch keine Kopfschmerztablette, die sofort wirkt“, sagt er den Dränglern.

Sofort wirkt die Taufe jedoch an anderer, durchaus zentraler Stelle: Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF, in Nürnberg. Die Mitarbeiter dort entscheiden über das Bleiberecht der Asylsteller. Auf Nachfrage heißt es dort: „Die Konversion eines Asylbewerbers wird im Asylverfahren berücksichtigt. Sie führt grundsätzlich zur Schutzgewährung, wenn dem Asylbewerber wegen seines Glaubensübertritts im Heimatland Verfolgung droht“, sagt Sprecherin Claudia Müller.

Die Sachbearbeiter prüfen jedoch auch die Umstände des Glaubenswechsels. Die Taufe würde zwar bestätigen, dass ein Glaubensübertritt stattgefunden habe, sage aber nichts darüber aus, wie der Antragsteller seinen neuen Glauben bei Rückkehr in sein Heimatland voraussichtlich leben werde und welche Gefahren sich daraus ergeben.

Fragen nach der Bedeutung der Taufe

Den Sachbearbeitern stehen für ihre Entscheidung auch Informationen zur Verfügung, aus denen die Gefährdungslage von Konvertiten konkret hervorgeht. „Bei der Befragung geht es jedoch keinesfalls um ein Glaubensexamen“, so Müller weiter. Vielmehr versuchen die Mitarbeiter nachzuvollziehen, warum die Person ihren Glauben gewechselt hat, wie wichtig ihr der neue Glaube ist, wie ihr Umfeld reagiert hat und was ihr an dem Glauben gefällt.

Pastor Manfred Kasemann sieht seine Aufgabe auch darin, den leichtfertigen Umgang mit dem Glaubenswechsel zu verhindern. Auch, weil er nicht in den zweifelhaften Ruf gelangen möchte, dass man in seiner Gemeinde in der Mittagspause mal eben zum Christ werden kann. Und deshalb stellt Kasemann den zukünftigen Christen viele Fragen, um herauszufinden, ob sie es ernst meinen. „Habt ihr euch mit den Tauffragen beschäftigt?“, fragt Kasemann. Nicken. Eine Frau rückt ihr Kopftuch zurecht. Ein anderer blättert in der Bibel. „Welche Bedeutung hat die Taufe für euch?“, legt Kasemann nach. Jetzt meldet sich Amir. Er gehört zu den wenigen hier, die schon ein bisschen Deutsch sprechen können. Seit acht Monaten lebt er mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Söhnen in der Flüchtlingsunterkunft am Rugenbarg. „Das ist ein Vertrag zwischen mir und Gott. Ich habe das Gefühl, dass Gott mich gefragt hat, und jetzt möchte ich Ja sagen.“ Ein anderer lässt über den Dolmetscher mitteilen: „Das ist ein riesiger Schritt für mich, der Beginn eines neuen Lebens ohne Angst.“

Die Frau mit Kopftuch sagt: „Ich fühle mich jetzt näher bei Gott. Ich glaube an dieses Buch.“ Pastor Kasemann nickt. Den Punkt hält er für wesentlich. „Wir glauben an einen Gott, der ganz nah an uns dran ist. Aus Misstrauen soll Vertrauen werden, und das Vertrauen besiegeln wir mit der Taufe.“ Die Taufgruppe nickt stumm, und Kasemann schaut zufrieden. Dennoch weiß er: Den Glauben zu prüfen ist im Grunde nicht möglich. Ob man die Zahl der Tage zwischen Ostern und Pfingsten weiß oder Psalme rezitieren kann – was heißt das schon?

Und so zählt für Kasemann eher, dass man sich aktiv beteiligt, seine Gedanken äußert, Fragen stellt, sich für die Gemeinde engagiert.

Das Christentum: eine große Umnstellung

Deutschlandweit ist das Thema der Konversion vom Islam zum Christentum auch bei den großen Kirchen ein Thema. Schon 2013 hat die evangelische Kirche eine Handreichung mit dem Titel „Zum Umgang mit Taufbegehren von Asylsuchenden“ herausgegeben. Darin spielt die Zeit, die sich der Taufbewerber und Kirchengemeinde füreinander nehmen sollen, eine große Rolle. Auch wird darauf hingewiesen, dass mit dem Konvertiten besprochen werden muss, dass ihm durch seine Entscheidung unter Umständen schwerwiegende Folgen in seinem Heimatland drohen, wenn man dort von der Taufe erfahren sollte. In einem weiteren Positionspapier hat sich die evangelische Kirche im vergangenen Jahr zudem ablehnend gegenüber jeder Art von Bekehrungsversuchen geäußert.

Kasemann fühlt sich von Letzterem nicht angesprochen. „Zu missionieren ist keinesfalls unser Ziel. Die Leute kommen ja von alleine zu uns.“ Viele auch einfach aus Interesse. „Wenn ein Muslim sich mit uns austauschen möchte, machen wir das natürlich sehr gern“, so Kasemann. „Und wenn dabei herauskommen sollte, dass er konvertieren möchte, dann schicke ich ihn doch nicht weg.“

Amir sieht sich schon jetzt als Christ. Auch wenn er noch nicht getauft ist. „Das passiert doch im Kopf“, sagt der 36-Jährige. Er sticht aus der Taufgruppe hervor, stellt viele Fragen und hat einen wachen Blick. Seine Frage mit dem Rauchen steht stellvertretend für einen Aspekt, der in dieser Runde immer wieder eine Rolle spielt. „Der Islam ist viel strenger an bestimmte Pflichten, Verbote und Tagesabläufe geknüpft als das Christentum“, sagt Pastor Kasemann. Auch deswegen würden die künftigen Konvertiten häufig ganz konkret danach fragen, was sie nun genau beachten müssen. Kasemanns Antworten erzählen von einem Gott, der seine Liebe nicht an Bedingungen knüpft, von einem Gott, der Schwäche zulässt, von einem nahbaren Gott. Für viele sei das eine große Umstellung.

Es fühle sich freier an, Christ zu sein

Amir sagt, dass das für ihn ein ganz wesentlicher Grund gewesen sei. „Im Islam hatte ich so viele Fragen, die mir niemand beantworten konnte oder wollte. Und ich hatte den Eindruck, dass es einem als Muslim nicht zusteht, Fragen zu stellen“ sagt Amir. Und so behielt er seine Fragen für sich, fing aber an, die Dinge, die er nicht verstand, für sich zu notieren. Durch sein wackeliges Deutsch und Englisch fällt es ihm schwer, die Punkte ganz genau zu erklären. Aber zusammenfassend sagt er: „Ich mochte nicht, dass es so viele Regeln gibt, die keiner erklären kann und die die Menschen unglücklich machen.“ Er sagt, dass das Christentum sich für ihn freier anfühlt. „Hier ist auch mal ein ‘ich weiß es nicht’ als Antwort erlaubt.“ Er findet, dass das glaubwürdiger ist. Während Amir über seinen neuen Glauben spricht, läuft ein Kleinkind durch die Reihen und knistert mit einer Chipstüte und ruft immer wieder laut „Hallo“. Zwischendurch klingeln Handys mit Tönen arabischer Musik.

Angst, dass er von anderen Muslimen beschimpft oder gar angegriffen wird, hat Amir nicht. Von der Attacke auf einen Konvertiten am Hörgensweg im vergangenen Jahr hat er noch nicht gehört. „Angst habe ich nur vor meinem Vater in Afghanistan“, sagt er. „Wenn er von der Konversion hört, wird er enttäuscht sein. „Aber Deutschland, das ist doch ein freies Land, hier kann ich glauben, was ich möchte.“ Seine Frau möchte nicht konvertieren. Die gemeinsamen Kinder sollen später für sich selbst entscheiden, was sie glauben möchten. „Wir wollen modern sein“, sagt Amir. Andere in seiner Taufgruppe haben auch in Deutschland Angst. Einer sagt, dass er fürchtet, angefeindet zu werden.

Manfred Kasemann kennt das Thema. „Das beschäftigt hier viele.“ Die meisten Afghanen leben ja in ihren Communities hier, und da kommt so eine Konversion nicht immer gut an“, so der 62-Jährige. Neulich zum Beispiel sei ein 16-Jähriger Afghane da gewesen, der „nur mal schauen wollte.“ Bekannte hätten ihm danach gesagt: „In Afghanistan wärst du dafür einen Kopf kürzer gemacht worden“. Keiner wisse, ob das ein Scherz war oder nicht. Namen der Konvertiten sollen deshalb nicht veröffentlicht werden. Auch Amir heißt eigentlich anders.

Und dann bittet Kasemann die Konvertiten, aufzustehen. Er möchte gemeinsam mit ihnen beten, um Gott auch von der Angst zu berichten. Kasemann sagt vorweg, dass es egal sei, ob sie jedes Wort verstehen. Die Frauen und Männer falten die Hände und lauschen seinen Worten. Kasemann schließt mit: „Lieber Gott, wir haben Angst, wenn wir zeigen, dass wir Christen sind. Wir bitten dich, uns Kraft und Halt zu geben. Amen.“ Jetzt stehen alle auf und verlassen den Raum. Um Kasemann bildet sich wieder eine Menschentraube. Sie fragen, warum es nicht schneller geht, wann sie endlich dran sind.

Amir packt in Ruhe seine Sachen zusammen. Sein Tauftermin steht schon fest. In wenigen Wochen ist es so weit. Nach der Bibelstunde verlässt er schnell den Raum. Frische Luft schnappen – und eine rauchen.