Hamburg. Vor 150 Jahren legt die Freie und Hansestadt erstmals ein Seeschifffahrtsregister an. Segler und Dampfer bekamen damit eine Staatsangehörigkeit.
Josef Nyary
Die „Beausite“ ist eine Fregatte von 1400 BRT, getakelt wie ein Großsegler, wehrhaft und wendig wie ein kleines Kriegsschiff, gebaut wurde sie jedoch für wirtschaftliche Zwecke: Sie soll in der Südsee neue Märkte erkunden, Flagge zeigen und die Handelsinteressen ihrer Eigner sichern.
Seine Sonderstellung in der Geschichte der Freien und Hansestadt verdankt der schmucke Segler indes einem schlichten Verwaltungsakt: Die „Beausite“ ist das erste Schiff, das Hamburg offiziell als Heimathafen bekennt und seine Nationalität mit der Hamburger Flagge ausweist – am 1. Mai 1866, vor 150 Jahren.
An diesem Tag beginnt Hamburg, ein Verzeichnis anzulegen, das Ordnung in die heimische Flotte von 517 Segelschiffen und 22 Dampfern bringen soll: Das Seeschifffahrtsregister ist das Grundbuch des Ozeans, seine Schiffszertifikate sind die Fahrkarte in die Freiheit der Meere.
Wie so oft in der Seefahrt folgt Hamburg dabei einem britischen Beispiel: 1854 begründet das Vereinigte Königreich mit dem „Merchant Shipping Act“ das erste Schiffsregister der Welt. Andere Länder folgen, und Schiffe sind plötzlich Staatsangehörige mit Rechten und Pflichten.
Was sonst noch geschah
Hamburgs Reedereien und Handelshäuser sehen die Vorteile und machen Druck auf den Senat. Vor allem der erfolgreichste Kaufmann von ihnen, Johan Cesar VI. Godeffroy. Mit seinen damals 52 Jahren hat er es längst an die Spitze geschafft: Er ist Präses der Hamburger Handelskammer und Mitglied der Bürgerschaft, hat die Norddeutsche Bank und die Norddeutsche Versicherungsgesellschaft mitgegründet. Mehr noch: Seine „Joh. Ces. Godeffroy & Sohn“ ist eine Weltfirma. Zu ihr gehören auch eine Gold- und Silber-Affinerie – das Unternehmen heißt heute Aurubis –, ein Kupferwerk, eine Zuckersiederei für Zuckerrohr aus Kuba und die Reiherstiegwerft.
Godeffroys Schiffe fahren nach Nord- und Südamerika, bringen Auswanderer nach Südafrika und Australien. Seine Kokosplantagen auf Samoa bringt ihm den Titel „Südseekönig“ ein.
Sein bester Mann ist Kapitän Alfred Tetens. Der junge Hamburger wagt sich auf der „Vesta“ tief ins unerforschte Inselgewirr östlich der Sundasee.
Auch die anderen großen Hamburger Kaufleute wie Johannes Amsinck, Ferdinand Laeisz, Rudolf Roosen, Robert Miles Sloman oder Carl Woermann machen dem Senat Druck. Der hat ohnehin genug zu tun, denn die 1860er-Jahre sind eine Zeit revolutionärer Veränderungen. Das gemütliche Biedermeier sagt endgültig Tschüs, und das junge Industriezeitalter lässt kaum einen Stein auf dem anderen:
Seit 1860 setzt der spätere Wasserbaudirektor Johannes Dalmann einen Generalplan des Senats für den Ausbau des Hamburger Hafens um.
1861 wandeln sich auch die Geschäfte: Hamburgs letzter Walfänger kehrt von Grönland zurück, der Versicherungsmakler Edmund J. A. Siemers zieht dafür einen lukrativen Petroleumhandel auf.
1865 weicht die mittelalterliche Zunftordnung der modernen Gewerbefreiheit für jedermann. Die Einwohnerzahl steigt auf 225.000, überall wird gebaut. Altona, Wandsbek und Harburg gehören noch anderen Staaten.
1866 legen Segelschiffe nicht mehr an den Duckdalben im Strom an, sondern am neuen Sandtorkai. Eine Hafenbahn transportiert die angelandeten Waren direkt vom Hafenbecken in das Netz der Berlin-Hamburger Eisenbahn-Gesellschaft.
Technischer Fortschritt und wirtschaftlicher Erfolg machen die kleine alte Seerepublik an der Elbe zum Mittelpunkt eines internationalen Handelsimperiums mit Stützpunkten an den Sieben Meeren. Doch der Höhenflug kostet die Freiheit: Bismarck zwingt Hamburg in den Norddeutschen Bund und damit unter die Fuchtel Preußens.
279 Konsulate vertreten Hamburgs Interessen
Den Verlust der durch Jahrhunderte hindurch immer wieder tapfer verteidigten Souveränität können auch die wohlfeilen Worte des Bismarck-Stellvertreters Karl Friedrich von Savigny nicht versüßen, der triumphierend sagt: Der Norddeutsche Bund sei durch Preußen zur Großmacht geworden, durch den Hinzutritt der Hansestädte aber werde er „Weltgeltung gewinnen“.
Na wenn schon! Hamburg hat davon gar nichts, denn es genießt diese Geltung schon lange, und zwar aus eigener Kraft: Kein anderer der vielen deutschen Mittel- oder Kleinstaaten besitzt eine solche Anzahl von wichtigen Schifffahrts-, Handels- und Freundschaftsabkommen mit Mächten in allen Erdteilen. Der Kaiser von Brasilien ist ebenso dabei wie der Schah von Persien, der türkische Sultan oder der König der Hawaiianischen Inseln.
Nicht weniger als 279 Konsulate, die Hälfte davon in Übersee, vertreten dabei nicht nur Hamburgs Interessen, sondern auch die deutsche Außenpolitik. Doch alle Anstrengung nutzt nichts, die Preußen fackeln nicht lange. Als der Senat nicht gleich spurt, lässt Bismarck seine Generäle Pläne zur Besetzung der Stadt ausarbeiten.
1866 zogen Hamburger in den Krieg
Schon am 1. Juli 1867 muss Hamburg die stolze Flagge mit den drei Türmen auf den Schiffen seines neuen Registers streichen und stattdessen die Farben des Norddeutschen Bundes hissen. Bereits Ende Juli 1866 zogen hamburgische Infanteristen und Kavalleristen unter preußischem Oberbefehl in den Krieg: Mit der Mainarmee sollten sie in Nordbayern gegen süddeutsche Verbündete Österreichs kämpfen.
Das Register selbst aber mit seinen Zertifikaten überlebt die Eingliederung der Hansestädte ins Preußenreich, und mit ihm bleibt auch die zeitgleich erlassene Verfügung in Kraft, dass sich jeder Seemann künftig vor dem „Wasserschout“ auszuweisen habe. Diesen „Wasserschultheiß“ nach holländischem Vorbild gibt es zwar schon seit 1691, erst jetzt aber stellt er die Seefahrtsbücher aus, ohne die kein Matrose an Bord darf.
Berühmt wird auch auf diesem Posten nun der erst 33 Jahre alte Godeffroy-Käpt’n und Südsee-Pionier Alfred Tetens. Nach wagemutigen und gefährlichen Fahrten in die pazifische Inselwelt zerschmettert ihm eine Kugel aus der eigenen Flinte das linke Bein und macht den Invaliden für immer zur Landratte.