Hamburg. Bernd Baumann über das neue Parteiprogramm, den Islam, die Fehler der 68er und die kritischen Aussagen von Fraktionschef Jörn Kruse.

Seit Herbst 2015 ist der Ökonom Bernd Baumann Chef der Hamburger AfD. Im Gespräch mit dem Abendblatt erklärt der 58-Jährige, warum er die AfD für einen Teil einer historischen Bewegung hält, was seine Ziele in Hamburg sind – und was er über das neue Grundsatzprogramm der Alternative für Deutschland denkt. Darin hatte die Partei kürzlich festgeschrieben, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, es einen menschengemachten Klimawandel nicht gebe und deutsche Frauen mehr Kinder bekommen sollten, um massive Einwanderung unnötig zu machen.

Hamburger Abendblatt: Herr Baumann, Ihre Partei hat beschlossen, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört.Was bedeutet das für die mehr als 140.000 in Hamburg lebenden Muslime, von denen fast die Hälfte deutsche Staatsbürger sind?

Bernd Baumann: Die Aussage ist eine Replik auf den Satz des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland. Natürlich sind beide Aussagen als Überschriften holzschnittartig und können in dieser Totalität hinterfragt werden.

Tun Sie selbst das auch?

Baumann: Natürlich. Ich kann den Satz aber dennoch vertreten – weil er eine notwendige Debatte herbeiführt und im folgenden Programmtext auch differenziert wird. Man muss doch leider erkennen, dass es weltweit keine islamischen Gesellschaften gibt, in denen sich wirklich demokratisch-bürgerliche Systeme etabliert haben. Und dass der Islam auch bei uns das Entstehen von Parallelgesellschaften zu fördern droht.

Meinen Sie denn, dass Integration besser gelingt, wenn Sie mehr als 140.000 oftmals hier geborenen Hamburgern nun sagen: Ihr gehört nicht dazu?

Baumann: Natürlich gibt es viele Muslime, die längst anerkannte, ehrenwerte Mitglieder dieser Gesellschaft geworden sind. Uns geht es um etwas anderes: Wir wollen verhindern, dass unsere abendländischen Gesellschaften im Kern Schaden nehmen, weil sich Ausprägungen des Islams hier verwurzeln, die nicht zu unseren Werten passen und unsere Verhaltenskultur zu überlagern drohen.

Und das soll passieren, indem Minarette und Muezzinrufe verboten werden, während Kirchtürme und lautes Geläut erlaubt bleiben? Das wäre eine Einschränkung der im Grundgesetz festgeschriebenen Religionsfreiheit.

Baumann: Das ist eine schwierige Diskussion, in die wir uns jetzt mit einem Vorschlag einbringen. Im politischen Tagesgeschäft wird sich zeigen, wie konkrete vernünftige Lösungen aussehen. Wir wollen vor allem verhindern, dass sich bei uns radikal-islamische Strömungen weiter festsetzen und dominant werden – etwa durch Finanzierung von Moscheen oder durch Koranunterricht vonseiten sehr orthodox-islamischer ausländischer Regime, was dann keinerlei Kontrolle unterliegt. Ein Kernproblem des Islams, wie er weltweit überwiegend gelebt wird, ist ja, dass er säkulare Gesellschaften nicht akzeptiert. Letztlich verlangt er die Herrschaft über alle Lebens- und Gesellschaftsbereiche nach ganz anderen Mustern als den unsrigen. Deswegen ist es an uns allen, im Übrigen auch an den Kirchen, solchen Bestrebungen entgegenzutreten.

Die Kirchen haben Sie nun gerade nicht hinter sich. Der EKD-Vorsitzende Heinrich Bedford-Strohm hat das AfD-Programm massiv kritisiert.

Baumann: Die protestantische Kirche irritiert mich schon lange. Sie mischt sich zwar bei allen möglichen Themen ins politische Tagesgeschäft ein, aber wenn es um den Glauben und um die christliche Heilslehre geht, dann ist von ihr wenig zu hören.

Neben dem Islam scheint das zweite neue Feindbild der AfD die nun in Rente gehende Generation der 68er zu sein. Es ist da bei Ihnen immer die Rede von einem „links-grün versifften 68er-Deutschland“, von dem man weg wolle. Was wollen Sie uns damit sagen?

Baumann: Die 68er waren eine historische Bewegung, die auch entstanden ist als Reaktion auf das Grauen der Weltkriege und des Holocaust – und von hier aus einen Großteil ihrer Legitimation beziehen wollte. Sie hat den Fehler gemacht, dass sie bürgerliche Werte, Tugenden, Erziehung, historisches Selbstvertrauen und Gemeinsinn in einer Überreaktion als „Sekundärtugenden“, „spießige Zöpfe“ etc. weitgehend zerstört hat. Die bürgerliche Kernkultur des Westens wurde als „Bourgeoisie“ verteufelt, es sollte in antiautoritärer Erziehung keine Regeln für Kinder mehr geben. Der brave Schutzmann mutierte zum „Bullenschwein“, das man brutal angreifen durfte. Gucken Sie sich doch an, was auf unseren Straßen passiert, zuletzt am 1. Mai. Und, besonders schlimm, an vielen Schulen. Auch in der Einwanderungspolitik hat der linksliberale Spät-68er-Mainstream keinerlei Antenne für das Wesen von Kulturen und Kernunterschiede zwischen ihnen.

Und nun, wo die 68er nach einem erfolgreichen Marsch durch die Institutionen in Rente gehen, führt uns die AfD-Bewegung zurück in die gute alte Adenauer-Zeit mit Sitte, Anstand, der heilen Bürgerfamilie und Staatssekretären mit Nazi-Vergangenheit?

Baumann: Nein, wir wollen mit Deutschland und der ganzen westlichen Welt nach vorn. Restauration kann nie gelingen. Die Ideale des Gemeinsinns und der bürgerlichen Gemeinschaft sind zeitlos genial – vom Hanseatentum Hamburgs bis zur altgriechischen „Polis“ – und deshalb immer modern. Die AfD ist Teil einer großen Bewegung, im Grunde des ganzen Westens, in der es darum geht, bestimmte seit Ende der 60er-Jahre durch links-grüne Ideologie zerstörte Grundlagen abendländischer Gesellschaften wieder zum Leben zu erwecken.

Was heißt das in der Praxis? Sollen Schüler aufstehen, wenn der Lehrer hereinkommt? Wollen Sie möglichst viele Frauen zurück an den Herd schicken und Homosexualität wieder verbieten?

Baumann: Nein, das ist doch Quatsch. Minderheiten haben all ihre Rechte, aber Politik muss sich auch auf verbindliche Regeln und Zusammenhalt richten. Schüler sollen Respekt vor Lehrern haben und keine Waffen mit an Schulen bringen. Werte wie Respekt, Disziplin und Leistung müssen als Teamfähigkeit wieder zählen.

Wenn Sie von einer Bewegung sprechen, handelt es sich dann womöglich um eine Bewegung mit faschistoiden, antisemitischen Zügen? Oder wie sollen wir die Zusammenarbeit von AfD-Europaabgeordneten mit dem französischen Front National deuten?

Baumann: Ich musste dabei auch schlucken. Der Front National hat sich unter Marine Le Pen zwar geändert, und der Antisemitismus spielt dort Gott sei Dank keine Rolle mehr. Aber die Parteien in Europa haben jeweils ihre deutlichen nationalen Eigenheiten. Da gibt es große Unterschiede, die man im Blick behalten muss.

Sie selbst sind promovierter Ökonom. Was empfinden Sie, wenn Sie hasserfüllte AfD-Anhänger bei Demonstrationen Galgen tragen sehen, an denen Spitzenpolitiker hängen? Muss man da nicht Angst um die Demokratie bekommen?

Baumann: Ich finde solche Dinge unsäglich. So etwas gibt es von links seit Jahrzehnten. Historische Bewegungen haben leider immer auch polarisierende Ränder, an denen Leute mit einem gewissen Aggressionspotenzial drohen. Gucken Sie sich doch mal an, was Ende der 60er passierte, und was es bis heute bei linksradikalen Demonstrationen für Gewalt gibt, gerade wieder in Hamburg am 1. Mai.

Die Debatte über Zuwanderung hat derweil zu vielen Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte geführt, die wohl eher der politischen Rechten zuzuordnen sind.

Baumann: Das ist doch das Grauen schlechthin. Das sind Kriminelle.

Viele empfinden das als das Biedermann-und-die-Brandstifter-Spiel. Sie heizen eine Stimmung gegen Flüchtlinge an, wollen gar auf sie schießen lassen – aber mit der Eskalation wollen Sie dann nichts zu tun haben.

Baumann: Wir heizen gar nichts an. Die völlige Grenzöffnung und so nie dagewesene rasante Zuwanderung von 1,5 Millionen Menschen aus Orient und Afrika kann dramatische Folgen haben, auf die wir aufmerksam machen. Damit geben wir jenen vielen Millionen Bürgern eine Stimme, die bisher von der Politik schlicht ignoriert wurden.

Kommen wir zu Hamburg: Was sind hier die Kernanliegen der AfD?

Baumann: Zentrales Thema Hamburgs bleibt die Flüchtlingspolitik. Wir treten dafür ein, dass all diejenigen Menschen, die hier keine Schutzrechte genießen, schnell in ihre Heimatländer zurückkehren. Das wird der größte Teil sein. Und wir sind gegen die von Rot-Grün geplanten Riesen-Unterbringungen. Als weiteres Thema fordern wir weit mehr Anstrengungen beim Thema Innere Sicherheit und bei der Bildung – und wir plädieren für eine Verkehrspolitik, die nicht unentwegt Autofahrer schikaniert. Außerdem arbeiten wir uns als noch sehr junge Partei und Fraktion weiter intensiv in alle anderen Themen der Stadt ein. Wir wollen regierungsfähig sein.

Ihren früheren Abgeordneten Ludwig Flocken wollen Sie, auch wegen seiner islamfeindlichen Äußerungen in der Bürgerschaft, aus der Partei ausschließen. Muss auch Fraktionschef Jörn Kruse den Ausschluss fürchten?

Baumann: Nein.

Er hat Teile des neuen AfD-Grundsatzprogramms in einem Interview als „töricht“ und „unpräzise“ bezeichnet – und den Passus zur Familienpolitik sogar als „kompletten Schwachsinn“. Ist das nicht parteischädigend?

Baumann: Ich sehe die Dinge anders als Jörn Kruse. Das Programm ist noch nicht perfekt. Aber es ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer neuen umfassenden Volkspartei – einer regierungsfähigen Alternative zu den Altparteien – welche unser Land so dringend braucht wie kaum irgendwas sonst. Ich habe mit Jörn Kruse gesprochen, und er hat mir versichert, dass er seine Wortwahl bedauert.