Hamburg. Segelflugzeug Perlan 2 soll 27,4 Kilometer über der Erde gleiten. Konzernchef Enders will an diesem Wochenende selbst an Bord gehen.

Fliegen ist das Alltagsgeschäft von Airbus – doch dieses Projekt ist selbst für den europäischen Flugzeugbauer etwas ganz anderes als „business as usual“. Noch in diesem Sommer soll das Segelflugzeug Perlan 2 in eine Höhe von 90.000 Fuß (27,4 Kilometer) aufsteigen. Ohne Motor. An den Rand des Weltraums. Und höher als jemals ein Flugzeug zuvor. „Das Airbus-Projekt Perlan Mission 2 ist ein historisches Unterfangen ganz im Sinne der Luftfahrtpioniere der ersten Stunde“, sagt Tom Enders, Vorstandsvorsitzender der Airbus Group. Der Konzern erhofft sich neben der Bestmarke neue Erkenntnisse im Hinblick auf den Klimawandel, die Weltraumforschung – und für das Hauptgeschäft mit normalen Passagierjets.

Enders wird an diesem Wochenende selbst in das Basiscamp nach Minden in den US-Bundesstaat Nevada reisen. Voraussichtlich am Sonntag will er als Co-Pilot in den Segelflieger einsteigen. Falls das Wetter mitspielt. Denn das spielt bei der Mission die wichtigste Rolle – vor allem in diesem Sommer, wenn im argentinischen Winter der Rekordflug gelingen soll.

Ohne Motor wird Perlan 2 mehr als 640 Kilometer pro Stunde schnell werden

Die nördliche Halbkugel sei aus mehreren Gründen für die Mission ungeeignet, sagt Elizabeth Austin dem Abendblatt. Die Präsidentin des Wetterdienstes Weather Extreme ist die Chefmeteorologin des Projekts. Die Nordhalbkugel weist größere Landmassen auf, das mache die Wetterprognose schwieriger. Außerdem werde ein hohes Gebirge gebraucht wie die Anden mit Gipfeln von fast 7000 Metern.

Treffen Winde bei bestimmten Wetterlagen mit mindestens 27 Kilometern pro Stunde senkrecht auf das Gebirge, entstehen auf der Rückseite wellenförmige Strömungen – die nach oben gerichteten nutzen Segelflugzeuge und gleiten nach oben. Im Idealfall bis in die Stratosphäre. Das ist die zweite Schicht der Erdatmosphäre, die bis in 50 Kilometer Höhe reicht. Damit das gelingt, ist das Höhentief über der Antarktis von zentraler Bedeutung. Dieses ist im Winter der südlichen Halbkugel stark ausgeprägt und sorgt für große Temperaturunterschiede. „Die Polarwirbel im Zusammenspiel mit dem polaren Nachtjetstream mit Geschwindigkeiten von mehr als 480 Kilometern pro Stunde wirken wie ein Fahrstuhl für den Gleiter“, sagt Austin. „Wenn wir einen idealen Tag erwischen, können wir auf 90.000 Fuß kommen.“

Höher flogen laut Airbus-Angaben selbst die Militärflugzeuge Lockheed U-2 und SR71 nicht. Das Internetlexikon Wikipedia weist für die SR71 einen Höhenrekord für Düsenjets im Horizontalflug von 25.929 Metern auf. Den absoluten Höhenrekord hält demnach der russische Kampfjet Mig mit 37.650 Metern – allerdings im Parabelflug. Die bisherige Bestmarke für Segelflieger stammt aus 2006. Der mittlerweile verstorbene US-Milliardär und Abenteurer Steve Fossett schaffte zusammen mit Einar Enevoldson in dem Gleiter Perlan 1 eine Höhe von 50.772 Fuß. Passagierjets fliegen normalerweise auf maximal 13.000 Metern. Beim Nachfolgermodell Perlan 2 sitzt die Crew in einer Druckkabine und wird mit reinem Sauerstoff aus einem Kreislauftauchgerät versorgt, das vergleichbar ist mit einem von Astronauten im Weltall eingesetzten System. Auf der geplanten Rekordhöhe herrschen weniger als zwei Prozent der auf Meereshöhe vorhandenen Luftdichte. Obwohl er keinen eigenen Antrieb hat, wird der Zweisitzer mit einer wahren Fluggeschwindigkeit von mehr als 640 Kilometern pro Stunde dort oben fliegen.

An Bord des leer 573 Kilogramm wiegenden Leichtgewichts mit einer Spannweite von 25,60 Metern sollen wissenschaftliche Instrumente Daten aus der Atmosphäre sammeln. Denn Perlan 2 hat als unmotorisierter Gleiter, der bis an den Rand des Weltraums vordringt, einen weiteren Vorteil. „Wir können Luftproben aus der oberen Atmosphäre nehmen, ohne diese zu verschmutzen“, sagt Ken McKenzie dem Abendblatt. Der Manager der Airbus Group ist verantwortlich für Konzernstrategie und Unternehmensentwicklung in den USA. Der Konzern erhofft sich neue Erkenntnisse über die Dicke der Ozonschicht und den Klimawandel (zu dem auch die Emissionen der Luftfahrt kräftig beitragen) sowie ein besseres Verständnis für Wetterphänomene – die in großer Höhe maßgeblich Leistung und Sicherheit von Jets beeinflussen. „Wir werden lernen, wie sich ein Flugzeug in immer größeren Höhen verhält“, sagt McKenzie. „All diese naturwissenschaftlichen Erkenntnisse können uns eines Tages helfen, die Höhen zu steigern, in denen kommerzielle Fluglinien fliegen.“ Und schließlich sei die Atmosphäre auf 90.000 Fuß ziemlich ähnlich mit der auf dem Mars. Das ist für die Raumfahrtsparte interessant, die ferngesteuerte Fahrzeuge für den Planeten entwickelt und baut. Und kann Aufschluss geben, wie Flugzeuge über der Marsoberfläche eingesetzt werden könnten.

Airbus unterstützt wie andere Firmen das von Freiwilligen getragene, gemeinnützige Perlan-Projekt mit dem Rat der Ingenieure, stellt Technik zur Verfügung und ist vor allem für die Sicherheitsaspekte verantwortlich. Zudem gibt der MDAX-Konzern finanzielle Unterstützung. Als man von dem Projekt erfahren habe, sei der Einstieg zwangsläufig gewesen, sagt McKenzie: „Unser Unternehmen basiert auf den Schultern von Luftfahrtpionieren, die zu ihren Zeiten Grenzen überschritten haben: höher, weiter, schneller.“ Aus der Zusammenarbeit mit dem Perlan-Team wolle man Innovationen in der Luftfahrt vorantreiben und die nächste Generation von Designern, Entwicklern und Piloten inspirieren. McKenzie: „Wir wollen mit Perlan jungen Leuten zeigen, dass unmöglich erscheinende Ideen Wirklichkeit werden können.“

Den Trip nach Nevada kennt Enders übrigens schon. Im März war er in Minden, wenige Tage nachdem die Piloten in der Luft erstmals mit Sauerstoff versorgt wurden. Enders zeigte sich tief beeindruckt: „Wir sind stolz, ein Programm zu unterstützen, das perfekt den Pioniergeist von Airbus verkörpert.“ Mit Chefpilot Jim Payne abheben konnte er damals allerdings nicht. Das Wetter verhinderte es. Wenn es an diesem Wochenende klappt, wollen die beiden die Sauerstoffversorgung checken. Dem Praxistest soll ein neues Versiegelungsmaterial der Kabine unterzogen werden, das besser auf die kalten Temperaturen in großen Höhen ausgelegt ist. Mehr als 15.000 Fuß Höhe sind laut Wettervorhersage wohl nicht drin. Für das Team ist derzeit aber jeder Flug wichtig. Nach dem Erstflug im September muss zudem schrittweise die Flughöhe bis zur Stratosphäre erhöht werden, um Daten über das Flugverhalten des Segelfliegers in jeder Höhe zu sammeln.

Bedingungen für den Rekord sind von Juni bis September in Argentinien gut

Ob der Rekord wirklich schon in diesem Jahr fällt, ist aber offen. Schließlich müssen die Bedingungen exakt passen. Grundsätzlich sei der Zeitraum Juni bis September in Argentinien für den Höhenflug zwar gut geeignet, aber für die Bestmarke müssen sie perfekt sein, sagt Chefmeteorologin Austin: „Wir werden in jeder Saison maximal eine Handvoll Möglichkeiten dafür haben. Vielleicht wird es zwei bis drei Jahre dauern, bis wir unser Ziel von 90.000 Fuß erreicht haben.“