Hamburg. Was die Sonne beim Hafengeburtstag überstrahlt: Wenn Seeleute mies behandelt werden, dann kommt Ulf Christiansen ins Spiel.
Dicht hinter dem Heck des riesigen Massengutfrachters parkt Ulf Christiansen seinen VW-Dienstwagen auf dem Kai, zieht sich die auffällig blau-grüne Jacke an und setzt sich einen Schutzhelm auf den Kopf. Seine Uniform, wenn man so will. So ist er leicht als ITF-Inspektor zu erkennen, als Hamburger Vertreter der internationalen Transportarbeiter-Föderation. „Da war schon seit einem Jahr kein ITF-Vertreter mehr an Bord, wird mal wieder Zeit“, sagt er.
Eine bräunliche Staubschicht bedeckt hier den Asphalt, die Kräne und selbst die Gebäude. Der Staub haftet an den Schuhen und an den Reifen und tüncht alles in einen gleichen, schmutzigen Farbton. Über dem Kopf rasseln mächtige Baggerschaufeln und greifen mit metallischem Poltern immer wieder in den Bauch des Schiffes, an dessen Heck eine Panama-Flagge weht. Obwohl nicht weit von den Landungsbrücken entfernt, hat der Hafen hier im Schatten der Köhlbrandbrücke wenig gemein mit dem maritim-romantischen Bild der Museumsschiffe, Barkassen und schmucken Windjammer, wie sie dort jetzt zum Hafengeburtstag die Kulisse der Stadt prägen.
"Seefahrt ist knallhartes Geschäft"
Aber für die Glitzerseite des Hafens ist der Pastorensohn und frühere Kapitän Christiansen auch nicht zuständig. Er schaut sich eher die dunklen Seiten an. Wenn Seeleuten die Heuer oder Heimreise verweigert wird, wenn sie hier stranden ohne Visum, Flugticket oder Geld. Wenn Schiffe kommen, die nicht den Mindestanforderungen an Sicherheit und Hygiene entsprechen. Viel hat Christiansen schon gesehen: durchgerostete Rohrleitungen, völlig verschmutzte sanitäre Anlagen, kaputte Heizungen im Winter, Kombüsen ohne ausreichend Proviant, Risse im Rumpf. Und immer wieder Seeleute, die vergeblich auf ihren Lohn warten. „Seefahrt ist nicht Romantik, Seefahrt ist knallhartes Geschäft“, sagt Christiansen.
Seit 25 Jahren schon macht er diesen Job als eine Art Anwalt der Seeleute, die heute meist aus Ländern wie Indien, der Ukraine oder den Philippinen kommen. Am Donnerstag bekam der Gewerkschafter daher von Wirtschaftssenator Frank Horch den Admiralitätsportugaleser in Silber verliehen: die Nachprägung einer historischen Münze, mit der in Hamburg besondere „Verdienste um den Hafen“ gewürdigt werden. „Die Admiralität“ in Hamburg war schon im 17. Jahrhundert eine Art Hafenverwaltung, die aber auch Hamburger Seeleute vor Piraten schützte.
Heute müsse er eben die Seeleute aus aller Welt vor vielen Ungerechtigkeiten schützen, sagt Christiansen und stiefelt mit schweren Schritt die steile Gangway hoch. Oben erwarten ihn zwei jüngere, philippinische Seeleute zur international vorgeschriebenen Sicherheitskontrolle an Bord: Wohin? Den Ausweis bitte? Ah, ITF! Die Gesichter der beiden jungen Seemänner werden offen. Christiansen fragt nach dem Proviant, ist er ausreichend? Wieviel wird als Heuer bezahlt?
Dann lässt er sich den Weg zum Kapitän zeigen. Im Treppenhaus geht es mehre Stockwerke hoch, Poster mit Hinweisen zur Sicherheit hängen an den frisch lackierten Wänden. Das Schiff ist kein Neubau, aber in Ordnung, meint Christiansen. „Man spürt das,“, sagt er und betritt dann die Kajüte des 63-jährigen philippinischen Kapitäns.
Auch hier herrscht die nüchterne Atmosphäre eines Arbeitsschiffs: Ein alter Fernseher steht in der Ecke, daneben eine Sitzgarnitur, die wohl auch in den Achtzigern schon nicht stylish war, dicke Gardinen vor dem einzigen Fenster, Plastik-Wandverkleidung und Stapel mit vier, fünf zerfledderten englischen Taschenbuch-Romanen. „Ja“, bestätigt der Kapitän, auf dem Schiff einer japanischen Reederei gelte der ITF-Vertrag, rund 1363 US-Dollar bekomme ein Matrose im Monat. Christiansen lässt sich Vertrag und Crewliste zeigen, die der Kapitän bereitwillig aus einem Stapel Akten zieht.
Wenn Reedereien Seelenverkäufer auf die Reise schicken
Die „International Transport Workers‘ Federation“ (ITF) ist quasi ein Zusammenschluss vieler nationaler Gewerkschaften zur Betreuung von Seeleuten; in Deutschland ist Verdi Partner, wo Christiansen auch angestellt ist. Laufen Schiffe ohne ITF-Vertrag ein, der so etwas wie ein internationaler Mindestlohn ist, können die einzelnen Gewerkschaften Druck machen. Ebenso, wenn Reedereien einen Seelenverkäufer auf die Reise schicken oder Lohn ganz verweigern.
Dann kommt es schon einmal vor, dass Hafenarbeiter eine Pause einlegen, wenn das betroffene Schiffe beladen werden muss. Oder es wird komplett boykottiert, um den ITF-Vertrag durchzusetzen. Alles Dinge, die in der Branche, in der es immer um Zeit geht, viel Geld kosten. „Das regelt sich dann meist schnell“, sagt Christiansen, der sich aber auch von den Behörden und Hafenfirmen unterstützt weiß: „Es gibt diesen Punkt, da sagen alle bei uns im Hafen: bis hierhin und nicht weiter.“
Vor einigen Monaten erst gab es einen solchen Fall in Hamburg, als ein Düngemittelfrachter am Terminal erst beladen wurde, als ausstehende Heuer auf dem ITF-Konto gelandet war. „Eine deutsche Reederei war das, einer unserer Wiederholungstäter“, sagt Christiansen, der mit Beginn der großen Ausflaggungswelle vor 25 Jahren in die hauptamtliche Gewerkschaftsarbeit gewechselt war.
Reeperbahn zieht Seeleute weniger an
Hier auf dem Schiff scheint aber alles in Ordnung. Der Kapitän nickt, sechs Monate sind sie nun schon unterwegs. Hatten zuletzt Kohle in Australien geladen. Mit langsamer Fahrt, um Geld und Treibstoff zu sparen, ging es dann zwei lange Monate nach Europa. Nächstes Ziel ist nun Kanada, um Eisenerz für Japan zu laden. Dann endlich, nach neun Monaten, komme die Crew nach Hause, berichtet der Kapitän mit müden Augen. Hoffentlich: Denn immer wieder höre er jetzt Fälle von Kollegen, denen auch nach so vielen Monaten auf See keine Heimreise gebilligt werde und die nicht abgelöst werden. Angeblich, weil es keine Visa gebe.
„Ein beliebter Trick, um die Heimflüge zu verschieben und wieder Geld zu sparen“, sagt Christiansen. „Hier in Hamburg gibt es keine Visaprobleme“, versichert er dem Kapitän und holt dann noch eine Infoschrift vom nahen Seemannsclub Duckdalben vor. Zwei Tage bleibt die Crew jetzt in Hamburg: Allerdings nicht für einen Reeperbahn-Besuch. Die meisten der Matrosen sind nun damit beschäftigt, die Ladeluken zu reinigen oder frische Farbe zu pinseln, erklärt Christiansen. Die Reeperbahn ist eh viel zu teuer. Ganz andere Sorgen gibt es da an Bord, weiß er. Anders als in Häfen wie etwa in Kanada gibt es in Hamburg kein freies Internet am Kai, aber eben im Seemannsclub. Kurz online mit der Familien sprechen zu können, vielleicht sogar über Skype zu sehen, wie die Kinder gewachsen sind – das ist für viele an Bord jetzt die große Chance des kurzen Landstopps und viel wichtiger als die Partymeile wenige Kilometer weiter.