Hamburg. Schiffsspezialist Thomas Kunadt bietet bis zum Herbst ungewöhnliche Touren an. Einen festen Fahrplan oder Kurs gibt es nicht.

Eine Barkassenfahrt, die ist lustig, aber auch spannend. Vor allem, wenn man den dicken Pötten zum Greifen nahekommt – im wahrsten Sinn des Wortes. Schon wenige Minuten nach dem Ablegen der „Lütte Deern“ von der Überseebrücke begreift die Landratte den Unterschied zwischen einer herkömmlichen Hafenrundfahrt und dieser Expedition. Denn Käpt’n Michi Bruns dirigiert seine Barkasse spontan. Einen festen Fahrplan oder Kurs gibt es nicht; angesteuert wird nach aktueller Lage und sehenswerten Schiffen. Und zwar bordnah.

Die Hauptperson dieser individuellen Tour, die bis Herbst noch neunmal auf dem Programm steht, ist weiter entfernt von einem Schnackbären und „He Lücht“ als Altona von Kap Hoorn. Schiffsspezialist Thomas Kunadt aus Blankenese ist als „Shipspotter“ ein versierter Kenner des Hafens, ein maritimes Lexikon auf zwei Beinen, ein Profi in Sachen Heimathäfen, Ladung, Bruttoregistertonnen und Besonderheiten. Zweieinhalb Stunden serviert er Fakten statt Seemannsgarn.

Kaum sind die Leinen los, nimmt der Kahn Kurs auf Blohm + Voss. Gekonnt geht Michi mit seiner „Lütte Deern“ auf Tuchfühlung mit der alten „Europa“, die heute als „Saga Sapphire“ festgemacht hat. Weiter führt der Erkundungstörn gen Westen, der Tide entgegen.

Fast jeder der 35 Passagiere an Bord hat ein Smartphone oder eine Kamera im Anschlag. Wenige sind Meeresgiganten wie „CSCL Jupiter“ oder der kleineren, indes neugebauten „Nordisabella“ so nahgekommen wie jetzt. Und wenn Kommentator Kunadt einen Moment am Mikrofon innehält, greift er selbst zum Fotoapparat, einer Pentax K3. Man weiß ja nie, wann sich eine solche Gelegenheit wieder ergibt.

Der Mann, der 1991 aus Sachsen nach Hamburg kam, hat Geschichten fast ohne Ende zu erzählen, dabei ist er selber eine. Bereitwillig gibt er wissbegierigen Mitfahrern Auskunft über seinen Werdegang vom Studenten der Musikwissenschaften zum namhaften Schiffspotter, einem Schiffbeobachter. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Zwölf Bücher und Kalender zum Thema sowie 80.000 Dias in dicken Aktenordnern, noch aus Zeiten der analogen Fotografie. Mehr als eine halbe Million Bilder hat er gemacht. Etwa 320.000 davon sind auf seinem Rechner daheim im Blankeneser Treppenviertel archiviert. Zudem hat er Daten von rund 600.000 Schiffen gespeichert – von anno 1830 bis heute. Nur wenige in der Welt können Ähnliches bieten.

Unter dem Strich ergibt sich ein einmaliges Archiv der Schifffahrt. Es ist das Ergebnis von zwei Jahrzehnten intensiver Arbeit: in Hamburg, aber auch in 120 anderen Häfen – von Rio bis Shanghai, Hobart (Tasmanien) bis Mombasa, San Francisco bis Piräus.

Doch halt, am Kai hat Kunadt einen weiteren Ozeanriesen mit besonderer Geschichte entdeckt. Aufgeregt sprintet er vom Heck zur Kajüte, um den Käpt’n zur Kurskorrektur zu bewegen. Michi Bruns schwenkt seine 18 Meter lange und acht Meter breite „Lütte Deern“ backbords. Die Barkasse passiert die schwarz-rote Bordwand aus allernächster Nähe. Ein beeindruckendes Bild majestätischer Würde. „Es handelt sich um die ,Glory Amsterdam‘“, verrät Kunadt via Lautsprecher, „sie hat Sojabohnen aus New Orleans geladen.“ Der Frachter gehörte ursprünglich einer dänischen Reederei, fährt aktuell unter griechischer Flagge.

„Woher weißt du das, Thomas?“ An Bord sind heute alle per Du, ganz automatisch. Thomas Kunadt tippt an seine Stirn, lacht, verweist dann auf sein Handy, mit dem er Positionen, Bewegungen und angepeilte Häfen erkennen kann. In seiner Hand hält er eine Kladde mit Notizen, die er am Vormittag zusammengestellt hat.

Auf dem Weg nach Neumühlen berichtet Kunadt von seinem Dasein als freischaffender Künstler und Forscher mit Herzblut für die Seefahrt. Signalisiert ihm sein Computer zu Hause neue Ankünfte und Abfahrten auf der Elbe, eilt er mit der Kamera auf das Dach seiner Wohnung – oder direkt runter ans Ufer. Zwei Monitore zeigen Daten des Schiffsmeldedienstes und die Bilder dreier Webcams. Diese sind auf dem Dach des Hotel Louis C. Jacob, auf dem Leuchtturm Wittenbergen und – sogar drehbar – auf dem Restaurant „Zum Bäcker“ auf Empfang. Heute gibt er einen Teil seines Erfahrungsschatzes an die Passagiere weiter. Dafür gibt’s am Ende viel Beifall.

„Richtig Ruhe habe ich sehr selten, obwohl ich sie sehr mag“, sagt Thomas Kunadt, „aber man muss auch lernen, mal etwas zu verpassen.“

Der zwei- bis zweieinhalbstündige Törn kostet 35 Euro und wird in Zusammenarbeit mit Barkassen-Meyer organisiert. Tickets für Kinder (6-15 Jahre) kosten 15 Euro. Wer mag, bucht ein Lunchpaket dazu. Die nächste Shipspotting-Tour startet am Freitag (29. April) um 18.30 Uhr ab Überseebrücke inklusive Premiere der „Aidaprima“. Am 5. Mai geht es mit der Einlaufparade des Hafengeburtstags und am 18. Mai mit einer Annäherung an den U-Boot-Bunker in Finkenwerder weiter. Weitere Infos über www.hamburgparadies.de oder www.barkassen-meyer.de