Hamburg . Ein neues Straßenjournal mit kopierten Texten aus dem Internet kursiert in Hamburg. „Hinz&Kunzt“ fürchtet um seine Verkaufsplätze.
Die Verkäufer des Straßenmagazins „Hinz&Kunzt“ gehören seit 23 Jahren zum Stadtbild von Hamburg. Dahinter steht ein Kooperationsprojekt von Obdachlosen und Journalisten, das wohnungslosen und sozial benachteiligten Menschen ein festes Einkommen und Anerkennung sichern soll. Doch neuerdings sieht das etablierte Magazin den sozialen Frieden auf der Straße bedroht. Grund dafür ist ein neues Straßenmagazin – hinter dem zweifelhafte Praktiken stecken.
Seit einigen Tagen bieten vor allem rumänische und bulgarische Straßenverkäufer das „Straßen Journal Deutschland“ an unterschiedlichen Orten in der Hansestadt zum Kauf an. Vor Supermärkten, an Bahnhöfen und Straßen. „Vollkommen legal und verkauft von Obdachlosen“, steht auf dem Titel des Magazins. 1,95 Euro kostet das Heft. Doch so „legal“, wie sich die Zeitung selbst gibt, ist sie nicht. Denn: Selbst geschrieben ist auf den 20 Seiten so gut wie nichts. Berichte zu vermeintlich aktuellen und historischen Themen aus Hamburg und der Welt, dazu Fotos, Gedichte und Rezepte kommen ohne jeglichen Autorenhinweis aus. Auch ein ordnungsgemäßes Impressum fehlt.
Die Texte und Bilder entpuppen sich als Kopien aus dem Internet. Von Wikipedia, Nachrichtenseiten und Blogs. Die Macher haben zudem mehrere Abendblatt-Artikel abgedruckt – ohne Absprache und Genehmigung. So etwa „Der große Betrug mit den HVV-Jahrestickets“ vom 1. April oder „Stadt sichert sich bei Zuschüssen für Elbphilharmonie ab“ vom 31. März. Die wenigen kurzen Eigentexte im Magazin sind – anders als die kopierten Artikel – gekennzeichnet von Rechtschreib- und Grammatikfehlern. So findet sich einer davon auch im Namen des Magazins selbst wieder. Heißt es auf dem Titelblatt noch „Straße Journal“, ist die Mailadresse korrekt mit „Straßen Journal“ angegeben.
„Hinz&Kunzt“ kritisert das Verhalten der Macher
Das könnte vor allem dem Ruf etablierter Straßenmagazine wie „Hinz&Kunzt“ schaden. Denn diese werden in der Regel von professionellen Journalisten geschrieben und gestaltet, so auch bei „Hinz&Kunzt“. Zwar kritisiert das Hamburger Stadtmagazin nicht die Inhalte des „Straßen Journals“. Wohl aber das Verhalten der Macher des Magazins. „Wir waren irritiert, dass sich die Verantwortlichen zum Start des neuen Magazins nicht mit uns in Verbindung gesetzt haben“, sagt Chefredakteurin Birgit Müller. „Hinz&Kunzt“ ist eines von 26 deutschsprachigen Straßenmagazinen, die Mitglied im weltweiten Netzwerk INSP (International Network of Street Papers) sind.
Das „Straßen Journal“ zählt nicht dazu. „Zwischen Straßenmagazinen gibt es einen Kodex über den Gebietsschutz“, sagt Müller. Doch an den hätten sich die Verantwortlichen des „Straßen Journals“ nicht gehalten – und so sei es zwischen Verkäufern beider Magazine bereits zu Konflikten gekommen. „Es darf auf keinen Fall dazu kommen, dass die Hinz&Künztler verdrängt werden“, so Müller. Sie befürchtet, dass der Streit auf der Straße eskalieren könnte. „Wir sind deshalb mit den Verantwortlichen und mit den Behörden im Gespräch, um die Situation zu klären.“
Die Plätze, an denen Straßenmagazine verkauft werden dürfen, sind streng reguliert. „Hinz&Kunzt“ besitzt für den Verkauf auf öffentlichen Wegen eine Ausnahmegenehmigung. Doch genau diese fehlt dem „Straßen Journal“ bisher. Die Abteilung für Sondernutzung des Bezirksamts Mitte prüft derzeit, ob das neue Magazin genehmigungsfähig ist. „Zu rein kommerziellen Zwecken würde es keine Erlaubnis geben“, sagt Sprecherin Sorina Weiland.
Hinter dem „Straßen Journal“ steht Martin Sjirkov. Er ist Vorsitzender des Vereins, den er Anfang April ins Vereinsregister des Amtsgerichts Hamburg hat eintragen lassen. Die Kontaktaufnahme: schwierig. Die angegebene Mailadresse funktioniert ebenso wenig wie die Internetadresse. Per Telefon will er keine Auskunft geben. Doch beim persönlichen Gespräch in seinem Geschäftsraum am Schiffbeker Weg erzählt er von seinen Plänen.
Das „Straßen Journal“ sei noch in der Testphase, werde aber bereits mit einer Auflage von etwa 8000 Stück verkauft. „Die Verkäufer arbeiten selbstständig“, sagt er. Er habe sie jedoch angewiesen, nur auf Privatgelände wie vor Supermärkten nach Absprache mit dem Management und nicht an Verkaufsstellen von „Hinz&Kunzt“ zu stehen. Ein Euro des Verkaufspreises gehe direkt an die Verkäufer. Der Rest des Geldes fließe in die Produktion des Magazins und komme Sozialprojekten zugute. Der Verein helfe bereits mehr als 150 Bedürftigen. Die Texte würden von Reportern vor Ort, also auch aus Hamburg, eingekauft, die Redaktion sitze in den Niederlanden. Von den kopierten Abendblatt-Artikeln hat Sjirkov angeblich nichts gewusst. Darüber wolle er mit der Redaktion in den Niederlanden sprechen.
Dort ist das Magazin bereits seit einigen Jahren auf dem Markt. Unter dem Namen „Straat Journaal Benelux“ wird es in Rotterdam gemacht. Auch hier füllen kopierte Texte von Wikipedia und Co. das Blatt. Brisant: In den Niederlanden gibt es das fast namensgleiche Straßenmagazin „Straatjournaal“, das hingegen Mitglied im Netzwerk INSP ist. Die Haarlemer Zeitung distanziert sich von der gleichnamigen Konkurrenz und kennzeichnet seine Verkäufer nach eigenen Angaben deshalb mit einer Weste, um Verwechslungen zu vermeiden.
Auch in anderen deutschen Bundesländern kursieren seit einigen Jahren ähnliche Magazine wie das „Straßen Journal“. In Nordrhein-Westfalen gilt unter etablierten Straßenmagazinen der „Straßenträumer“ als zweifelhaft. Auch der „Querkopf“ steht dort in der Kritik. In Dortmund etwa rät die Stadt Bürgern, die sich von Straßenverkäufern belästigt fühlen, sich an die Ordnungsämter zu wenden. In Hamburg sind den Behörden solche Fälle noch nicht bekannt. Das Hamburger Abendblatt will Strafanzeige wegen Urheberrechtsverletzung gegen das „Straßen Journal“ erstatten.