Der Hamburger Staranwalt geht hart mit Satiriker Jan Böhmermann ins Gericht. Ein Strafverfahren hält er für selbstverständlich.

Die Satire ist ein untrennbarer Bestandteil lebendiger politischer Kultur. Genau deshalb ist die Frage nach ihren Grenzen so wichtig. Sind einem Menschen, der sich Satiriker nennt, Dinge erlaubt, die dem Normalbürger verboten sind? Die Antwort darauf muss selbstverständlich Nein lauten, da die Berufsbezeichnung Satiriker in keiner Weise geschützt ist. Jeder Mensch darf sich also Satiriker nennen, auch dann, wenn er, wie Böhmermann, Humor chronisch mit Beleidigung verwechselt und das Prinzip der Menschenverachtung tief verinnerlicht hat.

Dass solche Art angeblicher Satire natürlich ihren Zweck verfehlen muss, da sie den Menschen im Ergebnis nicht zu vertieftem Nachdenken anregt, sondern eher eine Art verbaler Lynchjustiz darstellt und der allgemeinen Schadenfreude das Wort redet, liegt auf der Hand.

In der Rechtsgeschichte, das zeigt insbesondere das Beispiel der Hexenprozesse, waren die Schmäher nicht weit von den Folterern entfernt. Sie waren Akteure, die einander zuarbeiteten und sich in einem einig waren: Die Würde des Menschen gilt nicht für jeden. Die Berechtigung des strafrechtlichen Ehrenschutzes ist seit Jahrzehnten umstritten. Ein von jener schmerzlichen geschichtlichen Erfahrung gespeister Rest lebt in der Strafbarkeit von Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung fort.

Strafverfahren gegen Böhmermann eine Selbstverständlichkeit

Ein persönlicher Geltungsanspruch kommt jedem Menschen zu. Niemand hat das Recht, einen anderen Menschen als minderwertig auszugrenzen und verächtlich zu machen. Das ist so selbstverständlich wie auch das Strafverfahren, das auf Jan Böhmermann wegen seines mit bewussten Verleumdungen gespickten Gedichts zukommen wird. Um an eine von Böhmermanns perversen Fantasien anzuknüpfen: Wir leben eben nicht in einer Ziegenfickerrepublik, sondern in einem Rechtsstaat.

Hierbei spielt es keinerlei Rolle, ob die Bundesregierung nun gemäß § 104a StGB eine Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt. Der hier ständig diskutierte § 103 StGB steht gar nicht im Mittelpunkt. Wird die Ermächtigung nicht erteilt, bleibt die Strafbarkeit wegen Beleidigung (§ 185 StGB) und wegen Verleumdung (§ 187 StGB), sobald Erdogan als Privatperson einen Strafantrag stellt (was er wohl auch inzwischen getan hat).

Kommentar: Merkels Fehler im Fall Böhmermann

Zwar kann dann die zuständige Staatsanwaltschaft immer noch das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung verneinen. Der durch Böhmermanns Gedicht ausgelöste öffentliche Klamauk jedoch wird jede Staatsanwaltschaft daran hindern, so zu verfahren.

Nun mag ein Mensch wie der 35-jährige Böhmermann, dem es schon in jungen Jahren geglückt ist, sich reichlich an den zwangsweise erhobenen Beitragsgeldern der öffentlich-rechtlichen Medien zu laben, ja dem verzeihlichen Irrtum erliegen, tatsächlich ein Genie und als solches unantastbar zu sein.

Dass er mehr und mehr der Versuchung erliegt, sich und die Nation auf Kosten anderer amüsieren zu wollen, stellt somit eine doppelsinnige Wahrheit dar. Ob Böhmermann sich allerdings je gefragt hat, wie hilfreich der größte Teil seiner Hervorbringungen für den Erhalt der politischen Kultur ist? Eine externe Erdung in Gestalt einer nennenswerten Redaktion jedenfalls scheint ihm zu fehlen. Ein Versäumnis, das man wohl eher dem ZDF anlasten muss als Böhmermann selbst.

Kann Böhmermann nur austeilen – und nicht einstecken?

Das alte Prinzip, dass auch einstecken können muss, wer tüchtig austeilt, scheint ebenfalls noch nicht zu dem Senkrechtstarter durchgedrungen zu sein. Diesen Eindruck jedenfalls erweckt Böhmermanns vor drei Wochen erfolgte Ankündigung auf Twitter, dem sozialen Netzwerk, dem er seit 2009 angehört, künftig den Rücken kehren zu wollen. Grund: Die Betreiber hatten es verpasst, Böhmermann anlässlich des zehnten Geburtstages von Twitter eine Schokoladentorte zukommen zu lassen, wodurch der erfolgsgewohnte Fernsehmann sich gegenüber anderen Twitter-Nutzern zurückgesetzt fühlte.

„Keine Hashtagkonferenz mehr. Wir verabschieden uns von Twitter. Warum, erzählen wir JETZT bei Facebook“, postete er beleidigt, ehe er für mehrere Tage entschwand. Erst der Hashtag #backenfuerboehmi, prominent gepusht von seinen Anhängern, konnte den Geschmähten umstimmen. Selbst Bundesjustizminister Maas schaltete sich ein und schrieb am 25. März: „Ja komm @janboehm mach keinen Quatsch, das @saarland_de braucht dich auch auf @TwitterDE! #Saarland #BackenfuerBoehmi.“

Nun hat Heiko Maas seinen Jan Böhmermann zurück. Nur sechs Tage nach dem aufmunternden Zuruf des Bundesjustizministers legte er die Latte im Niveaulimbo mit seiner „Schmähkritik“ atemberaubend tief: Seine Hy­bris hat ihm wohl einen Streich gespielt. Und es traf nicht nur das Saarland, sondern die ganze Republik. Die seitdem einsetzende Solidarität mit ihm als vermeintlichem Herold der Meinungsfreiheit überspielt nun alles, was wichtig ist.

Dieter Hildebrandt ist tot. Nun haben wir die Böhmermanns

Erst vor wenigen Tagen machten türkische Nationalisten als offensichtliche Ausleger der Erdogan-Regierung in Deutschland mobil. In Köln, Stuttgart und Hamburg kam es zu Zusammenstößen zwischen Türken und Kurden, mit teils massiven Ausschreitungen und zahlreichen Verletzten. Dass unsere Gesellschaft mehr durch die Causa Böhmermann bewegt ist, weniger hingegen durch die Frage, weshalb fremde Regierungen ihre inneren Konflikte auf deutsche Straßen verlegen und wie dies künftig verhindert werden könnte, ist ein Armutszeugnis für uns. Während wir mit aller Kraft versuchen, die Einlassungen eines offensichtlich in der Pubertät stecken gebliebenen Satirikers zu rechtfertigen, werden andernorts schmerzhafte Fakten geschaffen, die wir nur schwer werden korrigieren können, wenn wir uns endlich entschlossen haben, erwachsen zu werden. Wir müssen erkennen, dass unsere Prioritäten völlig ungeklärt sind.

Dieter Hildebrandt ist tot. Nun haben wir die Böhmermanns. Der Medienhype um ihn zeigt unsere Gesellschaft in einem Zustand geistiger und moralischer Verwahrlosung. Sie macht uns irgendwann unfähig, den Feinden des Abendlandes entschieden entgegenzutreten.