Die Kanzlerin zeigt im Umgang mit Recep Erdogan der Türkei Nerven

Ein mäßig lustiges Schmähgedicht führt zur Staatskrise zwischen Deutschland und der Türkei. Doch es geht nicht mehr nur um Geschmacksfragen oder um Jan Böhmermann.

Es geht darum, wie leidenschaftlich die Politik für uneingeschränkte Meinungsfreiheit kämpfen will. Dabei ist es völlig unerheblich, ob man Böhmermanns Gedicht lustig oder daneben findet. Es ist das Wesen der Satire, dass sie Betroffene verletzt oder dass sie bis ins Absurde übertreibt.

Es geht auch nicht um geschmacklos oder geschmackssicher. Schließlich gelten Presse- und Meinungsfreiheit für alle – für die Guten wie die Schlechten. Es wäre schlimm, wenn nur Autoren und Künstler Schutz genießen, deren Werke mehrheitlich akzeptiert werden. Es geht im Kern um die Frage, wie weit das Recht auf freie Meinungsäußerung wirklich gehen darf.

Und da liegt das Problem, das Merkel mit ihrer Kritik an Böhmermann geschaffen hat. Indem die Kanzlerin eine inhaltliche Wertung vornahm, suggeriert sie, Böhmermann sei schuld. Die Kanzlerin hat der Meinungsfreiheit und auch der eigenen Regierung mit ihrer Einschätzung, Böhmermanns Beitrag sei „bewusst verletzend“, keinen Gefallen getan.

Angela Merkel hat den Fehler bemerkt und lässt jetzt betonen, dass die im Grundgesetz verankerte Meinungsfreiheit „selbstverständlich höchstes Gut“ sei, sie sei „weder nach innen noch nach außen verhandelbar“. Doch die Erkenntnis kommt zu spät. Der maximale Schaden ist eingetreten, und die Regierung muss über das Ersuchen der Türkei entscheiden, gegen Böhmermann vorzugehen.

Die Frage lautet jetzt: Wie viel Einfluss auf unsere Werte gestatten wir der Türkei? Die regierungsamtliche Prüfung, die nach der türkischen Intervention jetzt beginnt, ist beispiellos heikel und verkehrt unerträglich die politischen Wahrheiten. Denn es ist nicht an Präsident Erdogan, unsere wichtigsten Werte infrage zu stellen. Die Türkei braucht mehr Meinungsfreiheit und weniger staatliche Pressezensur. Das sollte die Bundesregierung mutig – trotz Flüchtlingskrise – anmahnen. Beim Thema Freiheit darf es keinen Kuschelkurs geben.