Hamburg. Fast 62 Prozent der Unglücke, an denen Menschen über 65 Jahren beteiligt sind, wurden von ihnen selbst verursacht.

Es ist eine Bilanz mit Licht und Schatten. Die Zahl der Verkehrsunfalltoten in der Hansestadt ist auf einem historischen Tiefstand. 20 Menschen starben 2015 hier im Straßenverkehr, 18 weniger als im Vorjahr. Gleichzeitig ist die Zahl der Verkehrsunfälle insgesamt um 2,3 Prozent auf 67.197, die Zahl der Schwerverletzten um 8,4 Prozent gestiegen. Der Rückgang bei den Unfalltoten ist vor allem durch deutlich weniger tödlich verunglückte Motorradfahrer und Radfahrer begründet. Alarmierend: Fast jeder dritte Verkehrstote in Hamburg ist älter als 75 Jahre.

Überhaupt sind Senioren das „Sorgenkind“ der Verkehrsdirektion der Polizei. Sind sie in Verkehrsunfälle verwickelt, sind sie überproportional häufig auch Verursacher. 61,9 Prozent aller Verkehrsunfälle, an denen Menschen ab 65 Jahre beteiligt sind, sind von ihnen selbst verursacht. Damit hat diese Gruppe der Verkehrsteilnehmer die „jungen Erwachsenen“ überholt, die über Jahrzehnte als herausragende Problemgruppe bei Verkehrsunfällen galten. Bei ihnen liegt der Anteil der Unfallver­ursacher bei 59,4 Prozent.

„Bei den Senioren haben wir im vergangenen Jahr 516 Unfälle mehr als 2014 verzeichnet“, sagt der Leiter der Verkehrsdirektion, Polizeidirektor Ulf Schröder. „Das macht eine Steigerung von 4,4 Prozent aus.“ Schlimm sei, dass bei Senioren die Unfallfolgen auch schwerwiegender seien. „Ihre körperliche Konstitution ist einfach nicht mehr so robust wie bei Jüngeren“, sagt Schröder.

Negativer Trend zeichnet sich schon länger ab

Vor allem die Langzeitentwicklung bei den Unfällen mit Senioren ist alarmierend. Seit gut 15 Jahren gibt es einen negativen Trend. Die Zahl der Unfallverursacher im Alter von 65 bis 74 pendelte sich zwar auf rund 4000 ein. Die Zahl der Unfallverursacher ab 75 stieg aber rasant von 2083 im Jahr 2010 auf 3198 im vergangenen Jahr. Damit ist die komplette Steigerung der Seniorenunfälle fast allein auf diese Altersgruppe zurückzuführen.

„Gesundheitschecks sind absolut wichtig“, sagt Ulf Schröder. „Aber auch Beschulungen durch Fahrlehrer beispielsweise im Rahmen maßgeschneiderter Programme, die es auch in Hamburg seit Jahren gibt, sind Erfolg versprechend.“ Das Problem sei, dass viele Senioren sich nicht trauten diese Angebote in Anspruch zu nehmen. Dahinter, so vermutet der Polizeidirektor, stände oft die Angst, dass sie den Führerschein abgeben müssen, wenn sie schlecht abschneiden. „Darum geht es aber nicht“, beteuert Schröder. Man wolle Senioren fit für den Straßenverkehr halten.

Von verbindlichen Gesundheitschecks für Senioren hält auch der ADAC-Hansa nichts. Dort stuft man es als Diskriminierung einer Bevölkerungsgruppe ein und hält solche Tests nicht für wirksam. „Es gibt sie bereits in anderen europäischen Ländern“, sagt Sprecher Christian Hieff. Einen signifikanten Rückgang der Unfallzahlen mit Beteiligung von Senioren habe es dadurch nicht gegeben. Er sieht das soziale Umfeld in der Pflicht. „Beispielsweise Ärzte sollten Senioren beraten, wenn es um die Fahrtüchtigkeit geht.“ Der Verkehrsexperte geht davon aus, dass es auch in Zukunft Steigerungen bei den Verkehrsunfallzahlen durch diese Altersgruppe geben wird.

Technische Neuerungen als Hilfe für Senioren?

Allerdings weist Hieff auch darauf hin, dass die Zahl der Senioren nicht nur steigt, sondern dass sie auch deutlich länger fit bleiben. Zudem gebe es erstmals eine Seniorengeneration, die gleichzeitig Autofahrergeneration ist und nicht auf das Fahrzeug verzichten wolle. Experten setzen auf technische Neuerungen, beispielsweise Abbiege- oder Bremsassistenten, die einen Rückgang der Seniorenunfälle bewirken könnten. Das untermauert auch die Statistik. Bei Senioren sind es vor allem weit überproportional Fehler beim Wenden oder Rückwärtsfahren, die zu Unfällen führen.

Negativ ist auch die Entwicklung bei Verkehrsunfällen mit Kindern. Hier gab es eine Steigerung von 5,4 Prozent auf 568 Fälle. Die Zahl der schwer verletzten Kinder stieg von 70 auf 89. Hier spielen aber auch oft Erfassungskriterien eine Rolle. Als Schwerverletzte gelten die Verkehrsunfallopfer, die länger als 24 Stunden im Krankenhaus bleiben. Das passiere bei Kindern öfter, weil Ärzte und Eltern dazu neigten, lieber auf Nummer sicher zu gehen und verletzte Kinder zur Beobachtung im Krankenhaus lassen. „Dennoch ist dieser Anstieg auffällig“, sagt Schröder. „Das betrifft besonders die Fußgängerunfälle mit Kindern und bei in Autos mitfahrenden Kindern.“ Der Polizei­direktor setzt auch angesichts steigender Kinder- und Schülerzahlen auf mehr Prävention. „Wir müssen aber auch mehr Rücksicht auf Kinder nehmen und auch unsere Vorbildfunktion als Erwachsene mehr wahrnehmen.“

Positiv ist die Entwicklung der Radfahrunfälle. Die Unfallzahlen sind insgesamt zurückgegangen, und es gibt 82 verletzte Radfahrer weniger. „Wenn man bedenkt, dass der Anteil der Radfahrer in der Stadt steigt, dann ist das eine durchaus erfreuliche Entwicklung“, sagt Schröder. Die deutliche Abnahme der getöteten Radfahrer von elf auf zwei bestätige diesen Trend. Schröder macht dafür auch neue Regelungen und bauliche Maßnahmen verantwortlich. „Nach unseren Feststellungen benutzen Radfahrer zunehmend die Fahrbahn und Schutzstreifen. Das führt dazu, dass die Wahrnehmung von Radfahrern deutlich verbessert ist.“