Hamburg . Bürgerinitiative sieht den Ausbau des Güterverkehrs auf der Fehmarnbeltstrecke kritisch. Transportieren Waggons gefährliche Güter?
Rollen bald 835 Meter lange Mega-Züge durch den Osten der Hansestadt und der Metropolregion Hamburg auf dem Weg zur Fehmarnbeltquerung? Das jedenfalls befürchtet die „Bürgerinitiative an der Bahnstrecke Hamburg–Lübeck“. Sie warnt vor „Lärm, Erschütterungen, Gefahren, Enteignungen“ – mitten in dicht besiedelten Wohngebieten wie im Bezirk Wandsbek und weiter in Ahrensburg und Bad Oldesloe.
Derzeit fahren auf der Eisenbahnstrecke zwischen Hamburg und Bad Oldesloe beziehungsweise Lübeck täglich nicht nur 90 Nahverkehrszüge in jede Richtung, sondern auch circa 18 Güterzüge. Mit dem geplanten Ausbau der S-Bahn-Linie S 4 und des transeuropäischen Netzes (TEN) könnte die Zahl nach Prognosen des Bundes auf 120 Güterzüge pro Tag ansteigen. Auch die Länge der Transporte wird wachsen – von 740 auf 835 Meter.
Doch damit nicht genug: Viele Waggons könnten gefährliche Güter transportieren – und das mitten durch eine Metropole, fürchten Mitglieder der Hamburger Bürgerinitiative. „Wir sind für die S 4, aber gegen den Güterverkehr auf dieser Trasse“, betont der Initiator des Vereins, Claus-Peter Schmidt.
Weil nach statistischen Angaben des Eisenbahn-Bundesamtes rund 17 Prozent der Schienenfracht Gefahrgüter sind, dürfte auch die Menge entzündbarer, flüssiger Stoffe deutlich zunehmen. Ole Buschhüter, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter aus Rahlstedt und Vorsitzender des Verkehrsausschusses, sagte auf Abendblatt-Anfrage: „Ich verstehe die Sorge. Aber es gehört zur Wahrheit dazu, dass eine entwickelte Industriegesellschaft auf Gefahrguttransporte angewiesen ist. Dieser Transport auf der Schiene ist statistisch gesehen 40-mal sicherer als auf der Straße.“
Der Hintergrund der Befürchtungen ist der Ausbau des transeuropäischen Schienennetzes von Skandinavien über den für 2024 geplanten Fehmarnbelttunnel via Hamburg bis nach Südeuropa. Erst Ende vergangener Woche hatte das dänische Parlament trotz Kostensteigerung und Verzögerung erneut grünes Licht für die milliardenteure Beltquerung gegeben. Gleichzeitig geht es um den Bau der S 4 in Hamburg: Ebenfalls von 2024 an sollen im Zehn- und 20-Minuten-Takt S-Bahn-Züge von der Hansestadt über Ahrensburg bis nach Bad Oldesloe rollen. Bislang verkehrt die Regionalbahn RB 81 lediglich im 30-Minuten-Rhythmus.
Beide Verkehrsprojekte sind strukturell und finanziell miteinander verwoben. Zusätzliche S-Bahn-Gleise auf dieser Trasse würden die Fernbahnstrecke von einem Großteil der Nahverkehrszüge entlasten. Das sei „Voraussetzung für die Ausweitung des internationalen Personenfern- und Güterverkehrs auf der Achse Hamburg–Kopenhagen“, heißt es in einer Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft.
Die Politiker machen der Bürgerinitiative wenig Hoffnung auf eine komplette Verlagerung der Trassenführung. Der schleswig-holsteinische CDU-Bundestagsabgeordnete Gero Storjohann widerspricht den Anwohnern, die erwarten, dass es einen Verzicht auf die Hamburger Route geben könnte. „Es wird auch ein bisschen über Hamburg gehen müssen.“
Ähnlich äußert sich die schleswig-holsteinische SPD-Bundestagsabgeordnete Bettina Hagedorn, die einen „West-Korridor und einen Ost-Korridor“ (Mecklenburg-Vorpommern) für wahrscheinlich hält.
Nach Abendblatt-Informationen steht im noch unveröffentlichten Bundesverkehrswegeplan neben der Hamburger Variante auch eine Trassenführung über Bad Kleinen (Mecklenburg-Vorpommern). Bereits im Sommer hatte der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) der Bahn den Auftrag erteilt, mit der Vorplanung zu beginnen, und hierfür das Geld zur Verfügung gestellt. Die Bahn nahm die Arbeiten entsprechend in Angriff.
Alternativen Strecken wie die über Bad Kleinen müssten geprüft werden, fordert der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Klimke. Auf die betroffenen Bürger sei Rücksicht zu nehmen – nicht zuletzt beim Lärmschutz. Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Buschhüter dämpft allerdings allzu große Erwartungen. „Diese Umleitungsstrecke heißt nämlich auch: Güterzüge würden unter anderem durch Schwerin und Ludwigslust fahren. Dort wohnen auch überall Menschen, und am Schweriner See ist es auch sehr schön.“
Man könne sich deshalb vorstellen, dass die Bürger im Nordosten nicht begeistert seien, wenn „wir hier sagen: bei uns nicht, schickt stattdessen alle Güterzüge nach Mecklenburg“. Mehr Güterverkehr werde es auch in Mecklenburg-Vorpommern geben müssen, aber eben keine Verlagerung des gesamten Güterverkehrs dorthin, so SPD-Politiker Buschhüter.
Die Bürgerinitiative kündigte derweil an, alle juristischen Möglichkeiten auszuschöpfen. Die Gesamtkosten für das Verkehrsprojekt liegen bei 915 Millionen Euro. „Die Kosten werden nicht nur durch den Bau der S-Bahn-Gleise ausgelöst, sondern sind auch dem Güter- und Fernverkehr zuzurechnen“, erklärte Buschhüter.
Für den Bau des 19 Kilometer Tunnels zwischen der dänischen Insel Lolland und Fehmarn werden 8,7 Milliarden Euro veranschlagt. Vorgesehen ist eine vierspurige Autobahn und eine zweispurige Eisenbahnlinie.