Hamburg. Philipp Westermeyer organisiert zum sechsten Mal das Online-Marketing-Rockstars-Festival, das alle vergleichbaren Events überholt hat.

Vielleicht ist es nur eine Tarnung, dass Philipp Westermeyer in diesem flusigen Pulli zwischen all den offenen Kartons und den überall herumliegenden frisch bedruckten T-Shirts herumstapft. Immerhin gehört der 36-Jährige zu den erfolgreichsten deutschen Medienleuten, früher wäre so einer vermutlich anders (und auch woanders) herumgelaufen, aber das war natürlich vor diesem Garagen-Image junger Digital-Unternehmen. Der gebürtige Essener hat nach einem Doppelabschluss in Betriebswirtschaftslehre an der Uni und zum Medienmanager an der Hamburg Media School und ein paar Jahren in New York und Paris vor gut zehn Jahren immerhin den begehrten Assistentenposten beim Bertelsmann- und Gruner+Jahr-Vorstandschef ergattert, damals war das Bernd Kundrun. Das ist ein Job, von dem aus man Megakarrieren in den deutschen Medien hinlegt, Springer-Boss Mathias Döpfner und andere Großkopferte haben dort angefangen.

Heute hat ein erfolgreicher Medienmensch sein Büro aber nicht mehr automatisch ganz oben in einer himmelwärts ragenden Konzernzentrale, sondern manchmal auch in einem von provisorischen Trennwänden durchzogenen und mit viel Krimskrams und kleinen Tischtennisplatten vollgestellten ersten Stockwerk in den Schanzenhöfen. Hier sitzt Ruhrpott-Kind Westermeyer dieser Tage mit seinem Zwei-drei-Wochen-Bart zwischen Dutzenden junger Leute mit Cappys und Ohrsteckern, die alle für ihn arbeiten, bastelt mit ihnen zusammen an der Zukunft einer ganzen Branche – und an ihrem derzeit größten Event, das morgen in den Hamburger Messehallen startet.

Dass es in Westermeyers Büroetage derzeit etwas chaotisch aussieht, hat also auch mit seinem Erfolg zu tun. Schon während seiner Gruner-Zeit hat er sich für etwas interessiert, das andere damals noch gar nicht richtig auf der Rechnung hatten: Werbung im Internet. Während die alten Medienleute damals noch stöhnten, im Internet ließen sich mit Werbung bestenfalls „lousy pennies“ verdienen, hatte der Siegeszug von Google und Facebook längst begonnen – zwei Unternehmen, die ausschließlich mit Werbung im Netz Geld verdienen, und zwar Milliarden und Abermilliarden. Es war also klar, dass es nur auf das Wie ankam.

Westermeyer gründete nach seiner Gruner-Zeit eigene Firmen, zunächst adyard für Bannerwerbung, die er 2011 verkaufte, ebenso wie das Online-Advertising-Unternehmen metrigo, das er 2015 gegen eine angeblich siebenstellige Summe an den Online-Händler Zalando abgab. Parallel rief er mit Ramp106, benannt nach seiner früheren Hausnummer und der Schanze, die Online Marketing Rockstars (OMR) ins Leben.

OMR sind größer als re:publica oder Münchner Medientage

Die Plattform, die er heute liebevoll altmodisch als eine Art „Fachverlag“ für Online-Werbung bezeichnet, organisiert mittlerweile das größte deutsche Festival für Internet-Werbung. Am Donnerstag und Freitag dieser Woche werden mehr als 10.000 Gäste zum bereits sechsten Online-Marketing-Rockstars-Festival in den Messehallen erwartet, einer Veranstaltung, mit der man sich längst auch im Hamburger Senat gerne schmückt – im ewigen Konkurrenzkampf mit Berlin. Zum Vergleich: Vor fünf Jahren kamen gerade einmal 200 Leute zum OMR-Festival. Entsprechend hektisch geht es angesichts der neuen Dimensionen bei den Organisatoren natürlich in den Tagen zuvor bei Ramp106 zu.

„Wir arbeiten als Plattform zwar das ganz Jahr über, bieten Seminare, eine Jobbörse, Studien oder Podcasts zum Thema Online Marketing“, sagt Westermeyer. „Aber das Festival ist das absolute Highlight. Da gibt es neben Podiumsdiskussionen, Seminaren und Netzwerk-Treffen auch Live-Bühnen mit prominenten Stars, DJs und jede Menge Inszenierungen.“

Längst sind die OMR größer als die Berliner Internet-Konferenz re:publica oder die traditionellen Münchner Medientage. Westermeyer gibt mittlerweile das Ziel aus, man wolle in die Dimension des Werbefestivals von Cannes aufsteigen. Dass der Vater von fast zweijährigen Zwillingen sich und seine Pläne nicht an kleinen Klitschen, sondern stets an den Größten misst, zeigt sich auch daran, wen er zu seinem persönlichen Vorbild gewählt hat: Leo Kirch, den einstigen Giganten der deutschen Fernsehbranche, der in seinen guten Zeiten so mächtig war, wie kaum ein anderer Medienunternehmer in diesem Land. Das habe ihn schon sehr fasziniert, wie Kirch sein Imperium aufgebaut habe und bei Bundeskanzler Kohl quasi ein und ausgegangen sei, sagt Westermeyer.

Überhaupt sei seine Nähe zu den klassischen Medien kein Zufall, immerhin habe er schon mit 15 nebenbei als Sport- und Lokalreporter im Ruhrpott angefangen, damals bei der „Neuen Ruhr Zeitung“, später dann auch bei Radio Essen. Es passt zu diesem Start-up-Überflieger, der so schnell redet, als habe er einfach keine Zeit, jedes Wort einzeln auszusprechen, dass er sein erstes Interview mit einem Mann führte, der heute auch ganz oben angekommen ist: Bob Hanning, mittlerweile Vizepräsident des Deutschen Handballbundes, war damals noch Trainer der A-Jugend bei Tusem Essen.

Dass das OMR-Festival so gewachsen ist, liegt aber wohl nicht nur an Westermeyers Ehrgeiz, seinem Gespür für Megatrends und auch nicht nur am Charme der Veranstaltung – es hat vor allem damit zu tun, dass die Online-Werbung immer wichtiger wird. Deswegen zahlen die Gäste der Konferenz am Freitag auch die satten 415 Euro Eintritt, um sich Vorträge von Werbegurus aus Deutschland (von Firmen wie Ströer oder Zalando) und aus aller Welt anzuhören. Zu Gast sind aber auch Weltstars wie Skateboarder Tony Hawk, der erzählen wird, wie er sich selbst im Netz als Marke eta­bliert hat. Auch bekannte You­Tuber und Instagram-Promis wie Angie oder Pamela Reif sind dabei und sollen erläutern, wie man über die Videoplattform oder den Bilderdienst Millionen Menschen erreichen und beeinflussen und dabei viel Geld verdienen kann. Für Partystimmung, spätestens bei der After-Show-Party in der Großen Freiheit 36, sorgen Jan Delay, die Beatsteaks, das Bo, Captain Jack und ein Dutzend weiterer Künstler. Wie wichtig das Online-Marketing mittlerweile ist, sieht man nicht nur an den Giganten Google oder Facebook. Angesichts des wachsenden Marktes investieren längst Unternehmen der klassischen Werbebranche wie etwa Ströer massiv in diesem Bereich.

Ob eine Marke dabei mit ihrer Werbung Erfolg hat, hängt laut Westermeyer (neben einem guten Produkt) vor allem von zwei Komponenten ab: der genauen Analyse von Kennzahlen und dem Storytelling. Bei der Analyse geht es darum, genau zu messen, auf welchen Kanälen das Feedback am größten und wo die generierten Kundenkontakte am wertvollsten sind.

„Es bringt nichts, sich auf eigene Vorstellungen zu verlassen, was ankommen könnte, da liegt man fast immer falsch“, sagt Westermeyer. „Man muss einfach alles genau durchmessen und gemäß der Ergebnisse handeln.“

Ein Produkt wird am besten über eine gute Geschichte verkauft

Wenn man also beispielsweise merkt, dass Bannerwerbung auf bestimmten Seiten nichts bringt oder Aktivitäten bei Twitter kaum Effekte erzielen, dann muss man sein Budget schnell auf andere Kanäle umverteilen – und so die ganze Zeit weiterexperimentieren. Das macht Westermeyer genau wie Google, das über den richtigen Blauton für sein Logo schließlich auch im Internet hat abstimmen lassen hat – exakte Messungen und Massenabstimmungen gehen immer über individuellen Geschmack oder Bauchgefühl. Die Zeiten in denen Bauchentscheidungen von Topmanagern oder Spitzenjournalisten für gute Geschäfte sorgten, sind passé. Heute geht es um exakte Daten, nicht um diffuse Gefühle. Besonders gut sei in diesem Bereich der Netz-Schuhverkäufer Zalando.

Der zweite Faktor, auf den es ankomme, sei das Storytelling. Ein Produkt werde immer auch über die Geschichte verkauft, die man mit ihm erzähle, sagt Wes­termeyer – und erwähnt als Beispiel Mymuesli, die Firma, bei der man im Netz individuell zusammengestellte Körnerkost bestellen kann. In deren Geschichte gehe es um große Werte wie Gesundheit und Individualität.

Bei all dem spielt aber natürlich oft auch etwas anderes eine Rolle: schiere Größe. Für gute Geschäfte sei fast immer eine große Masse an Kunden nötig. Und die erreiche man mittlerweile über das Netz bisweilen schneller und exakter als über manche andere Kanäle, so Wes­termeyer.

Dabei hat die Effektivität der Werbung, die über Banner oder Suchmaschinen oder etwa auf Facebook platziert wird, natürlich auch damit zu tun, was man alles über den potenziellen Kunden weiß. Je mehr Daten man über dessen bisherige Käufe, Hobbys, aufgesuchte Orte oder seine politische Einstellung zur Verfügung habe, umso exakter könne man die Produktwerbung auf ihn abpassen. Aber dabei stoße man vor allem in Deutschland sehr schnell an die Grenzen des Datenschutzes. Wie dieser Konflikt gelöst werde, sei letztlich eine Frage der Rechtsprechung, so Westermeyer – aber auch eine der gesellschaftlichen Entwicklung.

Bei allem Geschäftssinn ist Westermeyer aber eines so wichtig, dass er es im Laufe des Gesprächs immer wieder betont: Es gehe ihm in allererster Linie um Spaß, darum, etwas zu machen, auf das er „richtig Bock“ habe. Das sei der wahre Grund, warum er das OMG-Festival organisiere, „und nicht, dass ich denke, hey, damit kann man schnell ’ne Menge Geld verdienen“.

Trotz aller Digitalisierung sei das persönliche Zusammentreffen eben noch immer wichtig – vielleicht wichtiger als je zuvor. „Ich glaube an Events“, sagt Westermeyer. Man braucht keine großen Messreihen, um festzustellen, dass er auch damit wieder im Mainstream liegt. Schließlich, sagt er, gingen die Leute auch massenhaft zu den Karl-May-Festspielen, obwohl man die (bisweilen besseren) Filme gemütlich auf dem Sofa sehen könne. Dasselbe gelte für den Fußball. Trotz Sky seien die Stadien voll.

Er will in Hamburg bleiben. Ob das klappt, ist nicht ganz sicher

Seit zwölf Jahren ist Westermeyer nun schon in der Stadt. „Hamburg ist Teil unserer Story“, sagt er deswegen – das kann man natürlich auch als Aussage in Richtung der selbstbewussten Berliner Szene verstehen.

Wenn der Hype um sein Festival allerdings so weitergeht, und im kommenden Jahr womöglich mehr als 20.000 Leute kommen, könnte es bald zu eng werden für ihn und sein Event in den Messehallen. Deswegen hofft er auf frühzeitige und massive Unterstützung durch die Messe. Ohne die würde es nicht gehen. Dass er Hamburg den Rücken kehrt, ist trotzdem nicht sehr wahrscheinlich. Sonst hätte er wohl nicht gerade mit seiner Firma eine ganze Sporthalle im Portugiesenviertel am Hafen gepachtet, um mit den Kollegen regelmäßig beim Kicken die überschüssigen Energien abzubauen.

Was vermutlich nie ganz gelingt. Weil Philipp Westermeyer einfach zu viel davon hat.