Hamburg. Naturschützer beklagen, dass nicht alle gerodeten Exemplare nachgepflanzt werden – bis zu 2024 Stück gehen in diesem Jahr verloren.

Seit 1925 steht die Winterlinde in Höhe des Schmuggelstiegs an der Langenhorner Chaussee. Dass ihre Gattung gerade zum Baum des Jahres 2016 gewählt wurde, kann sie auch nicht retten: Am kommenden Freitag soll sie gefällt werden. Sie gehört zu 22 Straßenbäumen, die dem fünfspurigen Ausbau der Langenhorner Chaussee zwischen der U-Bahn-Haltestelle Ochsenzoll und dem Schmuggelstieg zum Opfer fallen.

Der Erhalt der Bäume war zwar Bestandteil eines erfolgreichen Bürger­begehrens der Initiative Stockflethweg, das der Bezirk Hamburg-Nord im April vergangenen Jahres sogar übernommen hatte. Doch in den Planungen des Landesbetriebs Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) wurde diese Forderung kaum berücksichtigt. Er beharrt darauf, die Hauptverkehrsachse in diesem Bereich fünfspurig auszubauen – aus Sicherheitsgründen – und weil der Verkehr dort Prognosen zufolge im kommenden Jahrzehnt zunehmen wird. Nur die ursprünglich geplante Anzahl von 27 zu fällenden Bäumen wurde auf 22 gesenkt.

Für die Anwohner, die an jedem Baum ein Protestplakat befestigt haben, ist der Verlust groß. Gemessen an der Summe aller Bäume, die dieser Fällsaison zum Opfer gefallen sind, spielt ihre Zahl nur eine eher kleine Rolle: Bis Ende Februar werden 2718 Straßenbäume abgeholzt sein (Bäume auf Grünflächen und in öffentlichen Parks nicht mitgezählt).

Zu diesem Ergebnis kommt der Naturschutzbund (Nabu), der die Fäll-listen aller Bezirke ausgewertet hat. „Dabei ist uns erneut das große Missverhältnis zwischen Fällungen und Ersatzpflanzungen aufgefallen“, sagt Katharina Schmidt, Referentin für Stadt-Natur beim Nabu. Laut Angaben der Bezirke sollen nur 694 Bäume nachgepflanzt werden; wobei zu berücksichtigen sei, dass aus Altona noch keine Angaben über Ersatzpflanzungen vorliegen. Somit würde Hamburg bis zu 2024 Straßenbäume ersatzlos verlieren.

Für die Winterlinde und die übrigen Bäume in Langenhorn werden nach Auskunft des Bezirks Hamburg-Nord in unmittelbarer Nähe 15 Ersatzbäume gepflanzt. Damit erfüllt er zwar in keinster Weise die Forderung des Nabu, jeden gefällten Baum durch mindestens einen neuen zu ersetzen. Doch immerhin ist das Verhältnis mit 3:2 besser als der Hamburger Schnitt, der aktuell bei 4:1 liegt.

Mit 912 Bäumen wurden in Altona jetzt so viele wie in keinem anderen Bezirk gefällt. Schon in der Saison 2014/2015 lag Altona mit 702 gefällten Bäumen an der Spitze. 133 Bäume wurden dann nachgepflanzt. Das hatte Dora Heyenn, parteiloses Mitglied der Bürgerschaft, durch eine Kleine Anfrage im August 2015 erfahren. In der Antwort des Senats stand auch, dass Hamburg innerhalb eines Jahres 630 Straßenbäume verloren hatte: Der Bestand sank von 225.816 (2014) auf 225.186 (2015). 2008 waren es laut Umweltbehörde noch 230.000. „Hamburg hat in den letzten zehn Jahren kontinuierlich Bäume verloren, weil der Naturschutz zugunsten von Wohnungs- und Straßenbau gekippt wird“, sagt Heyenn. Es sei zu hoffen, dass der grüne Umwelt­senator diesen Trend stoppe.

Auch der Naturschutzrat macht sich Sorgen um Hamburgs Bäume. „Die Rahmenbedingungen für Stadtbäume werden immer schlechter“, heißt es in seinem letzten Bericht an die Bürgerschaft. Dabei übernähmen sie wichtige Funktionen: Sie beeinflussten das Stadtklima günstig, förderten die positive Identifizierung der Bewohner mit ihrem Quartier und unterstützten die biologische Vielfalt, in dem sie eine wichtige Rolle für die Ausbreitung von Tier- und Pflanzenarten spielten. Daher sollte es, fordert das Expertengremium, auch in der Innenstadt möglichst viele grüne Inseln geben.

Tatsächlich scheint die Sensibilität der Umweltbehörde für die Situation der Straßenbäume gestiegen zu sein. „Unser Ziel ist es, den Verlust an Straßenbäumen zu verringern“, sagt Behördensprecher Jan Dube. „Wir wollen deshalb schon in diesem Jahr rund dreimal mehr Geld für Nachpflanzungen zur Verfügung stellen als die 500.000 Euro, die bisher im Haushalt vorgesehen sind.“

Zudem läuft seit März 2015 das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Stadtbäume im Klimawandel“. Darin wird untersucht, welche Baumarten den zu erwartenden Veränderungen – mehr Stürme, mehr Starkregen, mehr heiße Tage – standhalten können und wie sie gepflegt werden müssen, damit sie robust genug für eine positive Auswirkung auf das Stadtklima sind.

„Wir betreiben einen gigantischen Aufwand, um Hamburg als grüne Stadt zu erhalten“, sagt Gerhard Doobe, Leiter des Stadtbaum-Managements bei der Umweltbehörde. Dazu gehöre unter anderem die Baumpflege, die auch mal das Fällen kranker Bäume beinhalte. Das gehe ebenfalls als Abgang in die Fällbilanz ein, sei aber ein geringerer Verlust, als wenn gesunde Straßenbäume Baumaßnahmen zum Opfer fallen würden. „Denn dabei verlieren wir nicht nur den Baum, sondern auch den Standort. Eine Nachpflanzung ist dann ausgeschlossen“, sagt Doobe.

Besonders schwer wiege der Verlust von Bäumen, die älter als 40 Jahre sind. „Erst dann kann ein Straßenbaum seine Funktion als Filter für Feinstaub und Schadstoffe erfüllen“, sagt Doobe. Nachgepflanzte Straßenbäume würden nur selten älter als 40 oder 50 Jahre. Schuld daran seien Bedingungen wie ein eingeengter Wurzelraum, Anfahr- und Streusalzschäden.

Dennoch sieht Doobe die Fällbilanz gelassen. „2718 Straßenbäume – das ist nur gut ein Prozent des gesamten Bestands und liegt unterhalb des Verlusts in einem natürlichen Wald.“ Zu den 225.000 Straßenbäumen kämen bis zu einer Million Bäume in öffentlichen Grünanlagen. Hamburg belege auf der Liste der baumreichsten Städte in Deutschland Platz zwei – hinter Berlin.