Hamburg. Beim Parteitag der Grünen hält sich der Ärger über den Gipfel in Hamburg in Grenzen – die Parteiprominenz schweigt.
An dem ganz großen Krach mit der SPD hatten sie offensichtlich kein Interesse. Dennoch ließen sie es sich nicht nehmen, den Dissens mit dem Regierungspartner zumindest offiziell zu beschließen: „Wir Grüne haben zu keinem Zeitpunkt die Idee verfolgt, den G20-Gipfel nach Hamburg zu holen“, heißt es in dem Antrag, den die Mitgliederversammlung der Partei am Sonnabend mit großer Mehrheit beschlossen hat.
Fast sieben Stunden lang hatte es gedauert, bis nach zähen Debatten über Flüchtlingspolitik und Freihandelsabkommen der brisanteste Tagesordnungspunkt aufgerufen wurde – der Antrag „G20-Gipfel 2017 – Hamburg darf nicht zur Festung werden“. Den hatten der Landesvorstand der Partei und einige Bürgerschaftsabgeordnete kurzfristig verfasst, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor zehn Tagen „im Einvernehmen“ mit Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) verkündet hatte, dass das Treffen der führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) 2017 in Hamburg stattfinden solle. „Unser Gipfel ist das nicht“, hatte die Parteivorsitzende Anna Gallina schon unter der Woche klargestellt und der SPD ins Stammbuch geschrieben, dass sie mit der Einbindung ihrer Partei nicht einverstanden sei.
Am heftigsten kritisieren die Grünen, dass das Treffen mit 6000 Teilnehmern, 3000 Journalisten und 10.000 Sicherheitskräften voraussichtlich in den Messehallen steigen soll – also mitten in der Stadt und in unmittelbarer Nähe zu eher linksalternativen Wohnquartieren: „Die Messehallen sind praktisch im Wohnzimmer der Schanze, das ist für viele Menschen eine Provokation“, hatte Gallina vor dem Parteitag gesagt.
Viele interne Gespräche später war die Neigung, ein großes Fass aufzumachen, auf der Versammlung in der Beruflichen Medienschule in Wandsbek aber nur noch gering. Weder Gallina noch die drei Senatsmitglieder, noch Fraktionschef Anjes Tjarks ergriffen das Wort – was wohl auch daran gelegen haben dürfte, dass die Führungsriege in Sachen G20 nicht in allen Punkten einer Meinung ist und dass die interne Kommunikation nicht reibungslos funktioniert hat. Und so blieb es dem stellvertretenden Landesvorsitzenden Michael Gwosdz überlassen, den Ärger der Spät-Informierten Luft zu machen: „Wir sind total vom Stuhl gefallen, als wir in der Zeitung gelesen haben, dass der G20-Gipfel in Hamburg stattfinden soll“, sagte er mit Blick auf einen Abendblatt-Bericht.
Getreu dem Motto, dass man nur in Kämpfe ziehen soll, die man auch gewinnen kann, wollen die Grünen den Gipfel in Hamburg zwar nicht verhindern. Aber sie wollen die Planung sehr kritisch begleiten, wie Bürgerschafts-Vizepräsidentin Antje Möller betonte: „Man muss sich über diese Entscheidung ärgern, und man muss auch die nächsten Monate wütend bleiben“, sagte sie. Hinsichtlich der in dem Antrag formulierten Forderung, die Sicherheitsmaßnahmen und die Einschränkungen für die Bevölkerung in Grenzen zu halten, mache sie sich keine Illusionen, sagte Möller. Aber die Messehallen wolle sie als Austragungsort nicht akzeptieren: „Dieser Veranstaltungsort geht so nicht.“
Einzig Partei-Urgestein Jo Müller verteidigte öffentlich das Gipfeltreffen: „Besser die Leute reden miteinander als wenn sie aufeinander schießen. Und selbstverständlich hat die Stadt Hamburg das Recht, so eine Veranstaltung auszutragen.“ Dass der Bürgermeister den Gipfel scheinbar im Alleingang nach Hamburg geholt hat, sei aber eine „unglaubliche Sauerei“. Diesen Vorwurf griff außer Müller aber niemand auf – wohl auch, weil Scholz die Grünen in Wahrheit doch frühzeitiger über die Pläne informiert hatte. Zudem hatte die SPD bereits Entgegenkommen signalisiert. „Über Standorte und Konzepte wird noch zu reden sein“, hatte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel gesagt. Und die Forderung der Grünen nach einem „alternativen Gipfel“ parallel zum G20-Treffen finde er „gut“.
Im Zentrum des Parteitags stand zuvor die Flüchtlingspolitik. Scharf gingen die Grünen mit der Bundesregierung und insbesondere CSU-Chef Horst Seehofer ins Gericht, ihre Senatoren warben aber gleichzeitig für einen realistischen Blick auf Hamburg. „Das Asylpaket II ist genauso integrationsfeindlich wie der Horst selbst“, sagte die Landesvorsitzende Anna Gallina mit Blick auf das Ziel der Bundesregierung, auch Algerien, Tunesien und Marokko als „sichere Herkunftsstaaten“ zu deklarieren. Die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank nannte den Plan der Großen Koalition in Berlin, den Familiennachzug für Flüchtlinge einschzuränken, „eine Vollkatastrophe“. Die Bundesvorsitzende der Grünen, Simone Peter, sorgte als Gastrednerin für Heiterkeit, als sie sagte: „Wir Grüne stehen für Hetze – äh, Hilfe statt Hetze ...“
Fegebank verteidigte die Flüchtlingspolitik des rot-grünen Senats: „Wir planen Einrichtungen für Flüchtlinge so dezentral und klein wie möglich – mit der Betonung auf ,wie möglich.‘“ An vielen Stellen gelinge das auch, aber: „Der Maßstab kann nur sein, dass wir auf die Zahlen kommen, die wir brauchen.“ Ähnlich drückte es Fraktionschef Anjes Tjarks aus: Am Ende sei entscheidend, dass die Stadt in diesem Jahr 39.000 neue Plätze schaffen muss. Justizsenator Till Steffen rief den Parteifreunden ein anderes Reizwort für Grüne in Erinnerung: Abschiebung. Wenn man sich intensiv um Flüchtlinge mit Bleibeperspektive kümmern wolle, müsse man die ohne Perspektive zurück in die Heimat schicken. „Das ist kein schönes Thema“, so Steffen, „aber es gehört dazu.“