Hamburg. Der Schwede Nils Landgren hat ein Album zu Ehren des Dirigenten und Komponisten aufgenommen. Er spielt am 19. März in der Laeiszhalle.
Der Doorman sperrt die Tür weit auf und eilt Nils Landgren zu Hilfe, als der schwer bepackt die Lobby im Hotel Reichshof betritt. Einen Rollkoffer hat Landgren immer dabei und natürlich auch seine rot glänzende Posaune. Der schwedische Jazzmusiker kommt gerade aus Münster, wo er am Abend zuvor gespielt hat, später hat er einen Fernsehauftritt beim NDR, am nächsten Tag fliegt er nach München, um einen Track für eine Geburtstagsplatte für Klaus Doldinger aufzunehmen. „Aber dann geht es für vier Tage nach Hause“, sagt er.
Der 60-Jährige gehört zu den erfolgreichsten Jazzmusikern Europas
Zusammen mit seiner Frau lebt Landgren in einem kleinen Fischerdorf in Süd-Schweden, „Wallander-Land“ nennt er die Gegend nach der berühmten Krimi-Figur aus Henning Mankells Romanen. Die meiste Zeit ist er außerhalb Schwedens auf Achse. Ungefähr 250 Termine pro Jahr stehen in seinem Terminkalender: Konzerte, Studioaufnahmen, Lehrveranstalten und Workshops, Fernsehauftritte, Charity-Veranstaltungen. Doch die vielen Reisen und das unstete Leben hat er akzeptiert: „Jeder Tag ist ein Geschenk“, sagt er und nippt an einer Tasse grünem Tee.
Landgren, gerade 60 Jahre alt geworden, gehört zu den erfolgreichsten Jazzmusikern Europas. 750.000 Alben hat er in seiner langen Karriere verkauft, die meisten für das Münchener ACT-Label, Konzerte mit seinen diversen Bands sind fast immer ausverkauft.
Dieser Erfolg ist erstaunlich, denn Landgren spielt Posaune. Sie besitzt zwar eine wichtige Position innerhalb von Bigbands und Bläsersektionen, doch die Strahlkraft ist geringer als bei Klavier, Saxofon oder Trompete. Seine Idole sind kein Posaunisten, sondern Trompeter wie Louis Armstrong und Miles Davis.
Landgren: „Mit 16 wusste ich, dass ich Posaunist werden wollte.“
„Als ich 1971 ,Miles At Fillmore‘ gehört habe, war das völlig neu für mich. Der totale Wahnsinn,“ sagt er in nahezu perfektem Deutsch. Nach Worten suchen muss Landgren nie, nur ein leichter Akzent und seine singende Sprachmelodie verraten, dass er in Schweden geboren wurde, genauer in Degersfors, einer Gemeinde in Mittelschweden mit einem Stahlwerk.
Landgrens Vater war Stahlarbeiter und auch Kornettist in einer Amateurband. Die Eltern hörten Jazz und klassische Musik, die älteren Brüder begeisterten sich in den 60er-Jahren für die Beatles und die Beach Boys. Alle trommelten im Spielmannszug. „Irgendwann stand bei uns im Flur eine Posaune. Ich fing an, mich dafür zu interessieren und mein Vater besorgte mir einen Lehrer. Und meine Mutter war froh, dass wenigstens einer ihrer Söhne kein Schlagzeuger werden wollte“, erzählt er.
Es macht Landgren offensichtlich Spaß, sich an seine unbeschwerte Teenagerzeit zu erinnern. Ausführlich erzählt er von seinem Moped, der ersten Zigarette mit elf, von Apfelwein und Freundinnen. Und er sagt auch noch: „Mit 16 wusste ich, dass ich Posaunist werden wollte.“
Knapp 40 Alben hat der Musiker mit unterschiedlichen Gruppen herausgebracht
Bis zu seinem internationalen Durchbruch ging aber natürlich eine ganze Zeit ins Land. Erst Mitte der 90er-Jahre nahm die Jazz-Szene außerhalb Schwedens Notiz von „Mr. Red Horn“. Der Mann mit der roten Posaune hatte sich nämlich in den Kopf gesetzt, Funk zu spielen, eine Domäne afroamerikanischer Musiker. „Eine Funkband aus Schweden? ,Vergiss es!‘, war die Reaktion. Wir haben dann eine Tour durch die Schweiz gemacht und viel Geld verloren. Dann hat Rainer Haarmann vom JazzBaltica Festival uns entdeckt. Das war der Durchbruch. Auch wer aus Schweden kommt, kann Funk spielen“, sagt Landgren. „Mit der Posaune kann man alles ausdrücken. Sie kann weich und balladesk klingen, aber auch laut trötend wie ein Elefant.“
Acht Alben hat der Posaunist mit der Funk Unit veröffentlicht, aber das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus seiner umtriebigen Arbeit als Musiker und Produzent. Annähernd 40 Alben hat Landgren mit unterschiedlichen Gruppen herausgebracht, außerdem produzierte er unter anderem Platten mit den Sängerinnen Viktoria Tolstoy, Ida Sand und Rigmor Gustafsson.
Bei seinem aktuellen Projekt „Some Other Time“ arbeitet Landgren mit der Sängerin Janis Siegel vom US-Ensemble Manhattan Transfer zusammen. Gemeinsam mit den Bochumer Symphonikern, dem Arrangeur Vince Mendoza und einer Allstar-Band interpretiert der skandinavische Jazzstar die Musik von Leonard Bernstein – als Posaunist und als Sänger.
Ab dem 2. März ist der Schwede wieder auf Tour
Seit 1993 und dem Album „Ballads“ benutzt Landgren auch seine Stimme als Ausdrucksmittel. „Die ,West Side Story‘ ist für mich das Musical überhaupt“, erzählt er. 1964 habe er das Stück zum ersten Mal im Fernsehen gesehen, auch andere Bernstein-Kompositionen beeindruckten ihn schon, als er noch Student war. Auf „Some Other Time“ interpretiert er unter anderem
„Somewhere“ als zarte Ballade, bei „Something’s Coming“ aus der „West Side Story“ knistert es zwischen ihm und Janis Siegel gewaltig, auch den Titelsong singen die beiden gemeinsam.
Wenn Landgren mit diesem Programm auf Tour geht, wird die Amerikanerin nicht dabei sein, weil sie Konzertverpflichtungen mit Manhattan Transfer hat. An ihrer Stelle wird Viktoria Tolstoy den weiblichen Part übernehmen. Am 2. März heißt es für Nils Landgren dann wieder Koffer packen und Abschied von seinem idyllischen Wohnort nehmen. „Aber das wollte ich ja so“, sagt er. „Sonst würde ich immer noch in Schweden stehen und den Kühen was vorspielen.“
Nils Landgren All Stars, Viktoria Tolstoy, Neue Philharmonie Frankfurt; Sa 19.3., 20 Uhr, Laeiszhalle, Karten ab 24,80