Hamburg. In Deutschgrundkursen für Flüchtlinge werden nicht nur Sprachkenntnisse vermittelt. Auch der respektvolle Umgang wird geschult.
Langsam und konzentriert führt Mohamud Juber den Bleistift. Quasi in Millimeterarbeit entsteht so der Buchstabe „M“. Dabei bewegt der aus Eritrea stammende junge Mann lautlos die Lippen. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, bis er in sein Lehrbuch das Wort „Mein“ geschrieben hat. Doch Mohamud gibt nicht auf. Und nimmt sich das nächste Wort vor.
Christoph Butterberg ist zwischen seinen Schülern unterwegs. 18 Flüchtlinge – eine Frau und 17 Männer – sind es. Sie leben noch in der Erstaufnahme an der Schnackenburgallee und sind erst ein paar Monate in Deutschland. Niemand ist älter als 30 Jahre.
Bericht: Flüchtlingsklassen sind in Hamburg sehr ungleich verteilt
Jetzt sitzen sie in einem Klassenraum des gemeinnützigen Weiterbildungsunternehmens KOM und erlernen mühsam die deutsche Sprache. Der Lehrer bittet um Aufmerksamkeit und lässt seine Schüler ihre Schreibergebnisse vorlesen. Hin und wieder korrigiert er die Aussprache. Die Umlaute „ü“, „ä“ und „ö“ machen den Schülern besonders zu schaffen. Wenig später läuft Butterberg an die Tafel, schreibt ein Wort darauf und liest es laut vor.
„Wir vermitteln über das Erlernen der Sprache die Grundwerte unserer Gesellschaft“, sagt Jürgen Roßnagel, KOM-gGmbH-Geschäftsführer. „Für den Anfang ist es wichtig, die einfachen Dinge deutlich zu machen.“ Es gehe darum, „wie die Menschen hierzulande zusammenleben, wer wir sind, und was unsere Geschichte ausmacht“. Roßnagel spricht deshalb lieber von Sprach- und Kulturkursen, in denen es, „natürlich auch um Gleichberechtigung“ gehe. Frau Krüger beispielsweise tritt im Lehrbuch als Lehrerin oder Chefin auf und bildet die gesellschaftliche Realität hierzulande ab. Butterberg erklärt gerade die weibliche Form von Substantiven und lässt seine Schüler wiederholen: „Schülerin, Lehrerin, Chefin“.
Große Lernebreitschaft und der Wunsch nach etwas Eigenem
Auffällig seien die große Lernbereitschaft der jungen Flüchtlinge in den Kursen und das Interesse an dem, was Deutschland ausmacht, sagt Roßnagel. „Vielen von jenen, die kommen, möchten bleiben.“ Aber nicht, um Sozialhilfe zu erhalten, „sondern um sich etwas Eigenes aufzubauen“. Die Sprache lernen, Arbeit finden, Geld verdienen – das höre er oft, wenn er die überwiegend jungen Männer in den Kursen nach ihren Wünschen und Zielen fragt.
Draußen, auf der Kieler Straße, rollt pausenlos der Verkehr in Richtung Autobahn. Hier im Klassenraum ist nur ein leises Rauschen zu hören. Aus Eritrea, Syrien und dem Irak stammen die Schülerin und Schüler. Immer wieder helfen sie sich gegenseitig, stecken die Köpfe zusammen oder hören gespannt darauf, was der Lehrer ihnen sagt. „Es sind vor allem junge Männer, die an dem Unterricht teilnehmen“, sagt Roßnagel. Für sie bedeuten die fünf Stunden Unterricht außerhalb der Erstaufnahmeeinrichtung mehr als nur eine Abwechslung. Die deutsche Sprache sei wichtig, um eine Arbeit zu finden, sagt Mebrahtam Alem, der aus Eritrea stammt.
Die Ereignisse vom Silvesterabend, als auch in Hamburg Frauen in größerer Zahl von mutmaßlichen Asylbewerbern sexuell belästigt wurden, spielten im Unterricht keine Rolle, sagt Roßnagel. Das mag daran liegen, dass man schon vorher sensibel und klar zugleich mit diesem Thema umgegangen sei.
Die Botschaft an die Flüchtlinge ist: „Wer respektvoll behandelt werden möchte, muss dem anderen Respekt entgegenbringen“, sagt Roßnagel und fügt hinzu: Wenn jemand sagt, er wolle sich nicht von einer Frau unterrichten lassen, dann kann er nicht am Unterricht teilnehmen.“ So einfach sei das.
Integrationskurse – der nächste Schritt
320 Unterrichtsstunden umfasst Grundkurs der deutschen Sprache
Deutsch ist eine schwierige Sprache. Gerade wenn es darum geht, den richtigen Artikel zu verwenden, steht manchem Schüler Ratlosigkeit in die Augen geschrieben. Vielen Menschen, die Deutsch als Muttersprache erlernt haben, ist nicht bewusst, dass es für den Gebrauch der Artikel „der, die das“ kaum Regeln gibt. „Da hilft nur Auswendiglernen“, sagt Butterberg und korrigiert mit freundlichem Ton.
Immer wieder rutscht den Flüchtlingen ein englisches Wort dazwischen. Butterberg reagiert sofort: „No english in my castle“, sagt er und erntet Lachen. Allerdings hat die Tatsache, dass seine Schüler zumindest rudimentär Englisch sprechen können, auch Vorteile. „Die Flüchtlinge sind latinisiert“, sagt Butterberg. Sie könnten Buchstaben lesen und sich Zugang zur Bedeutung eines Wortes verschaffen, es in ihre Muttersprache übersetzen.
Sechs Kurse mit jeweils bis zu 25 Teilnehmern bietet die KOM gmbH an. Das Gute an dem Angebot ist, dass es sich an Flüchtlinge richtet, über deren Antrag auf Asyl noch nicht entschieden ist. „Sie verlieren nach ihrer Ankunft keine Zeit und können rasch loslegen“, sagt Roßnagel. 320 Unterrichtsstunden umfasst so ein Grundkurs der deutschen Sprache – rund drei Monate.
Für Flüchtlinge wird es nicht einfach auf dem deutschen Arbeitsmarkt
Den Schülern würden dabei einfachste Dinge beigebracht. Roßnagel berichtet von einem „großen Interesse“ vieler Schüler an Deutschland. „Oftmals sind sie verwundert, warum wir ihnen helfen, und wollen wissen, was der Grund dafür ist.“ Der Geschäftsführer glaubt, dass ein Dach über dem Kopf allein nicht reicht, wenn die Menschen sich hier zurechtfinden sollen. „Mag sein, dass die Menschen nach ihrer Flucht physisch in Hamburg angekommen sind. Jetzt geht es darum, dass sie auch kulturell ankommen.“
Roßnagel ist seit mehr als 20 Jahren im Weiterbildungsgeschäft. Auch mit Migranten hat er schon viele Jahre zu tun. Das hat seinen kritischen Blick eher geschärft. „Für die nachhaltige Ausbildung von Flüchtlingen ist bislang zu wenig Geld da“, sagt Roßnagel. Integration erfolgt über Sprache und Qualifikation.“
Dass es für Flüchtlinge nicht leicht werde, sich auf eigene Füße zu stellen, habe mit dem hohen Entwicklungsstand der deutschen Industrie zu tun, sagt Roßnagel. „Helferberufe in der Industrie werden abgebaut.“ Und dort, wo es sie noch gebe, seien das die ersten Stellen, die wegfielen. „Alle wollen Fachkräfte.“ Eine gewisse Sorge angesichts der ungewissen Zukunft, ja, die gebe es. „Aber zugleich viel mehr Hoffnung, dass sie eine Chance für ein selbst bestimmtes Leben erhalten.“