Hamburg. Heutzutage werden Kohlbrandbrücke und die Autobahn A7 fast jeden Tag von Lkw verstopft, die in den Hafen wollen. Das soll sich ändern.
Lange Lkw-Schlangen vor den Zufahrten zu den Hafenterminals soll es bald nicht mehr geben. Auch die Rückstaus bis auf die Autobahn, die dadurch in der Vergangenheit für erhebliche Verkehrsbehinderungen gesorgt haben, sind dann passé. Im Hamburger Hafen wird derzeit die Einführung eines neuen Systems vorbereitet, mit dem die Lkw-Abfertigung an den Eingangstoren zu den Terminals massiv beschleunigt werden soll. Das System ist so innovativ, dass es die Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Vergleich deutlich verbessert.
Die Testphase in Hamburg läuft bereits seit Monaten
Vereinfacht gesagt, geht es um eine Umkehr bestehender Verhältnisse. Lkw sollen künftig nicht mehr zu den Terminals fahren, wenn ihr Spediteur sie losschickt, sondern dann wenn der Hafen sie anfordert. Ziel dieses Systems ist es, die ungeregelte Anfahrt vor den Toren in einen gleichmäßigen Durchfluss umzuwandeln. Lkw Appointment, also Terminabsprache, lautet das Fachwort. Viele Häfen suchen derzeit weltweit nach einer Lösung, den Lkw-Verkehr vor ihren Terminals zu entzerren, in Hamburg wird eine solche Lösung seit Monaten getestet. Jetzt soll sie in Betrieb gehen.
Da das neue System sowohl von den Terminals als auch von den Fuhrunternehmen erhebliche Umstellungen verlangt, wird es in zwei Stufen eingeführt: Zum Sommer wird eine allgemeine Voranmeldung an den Terminals Pflicht. Jeder Lkw, der auf das Gelände eines der vier großen Containerterminals zu Anlieferung oder Abholung von Seefracht fahren will, muss sich dann vorher angemeldet haben. Das kann auch kurzfristig geschehen, Zeit spielt in dieser Stufe noch keine Rolle. Wer allerdings unangemeldet erscheint, wird sanktioniert. Zwar werden keine Strafzahlungen fällig, wie sie beispielsweise schon von Terminals in Übersee eingetrieben werden. Aber wer unangemeldet vor dem Tor steht, muss sich hinten an der Schlange wieder anstellen und neu anmelden.
Slots sollen für eine schnellere Abfertigung sorgen
Gegen Ende 2016 soll dann die zweite Stufe des neuen Systems eingeführt werden: Sobald sich ein Lkw-Fahrer anmeldet, bekommt er vom Terminal einen Slot zugewiesen – also ein Zeitfenster, innerhalb dessen er an der Terminaleinfahrt erscheinen muss. Der Vorteil: Der Lkw wird mit höchster Priorität abgefertigt, bekommt eine eigene Spur und kann direkt zum Ladeplatz durchfahren. Das Zeitfenster beträgt eine Stunde mit einer Toleranz von jeweils 30 Minuten davor und danach.
Wer dieses Zeitfenster nur um eine Stunde überschreitet, wird noch nicht bestraft. Wenn die Auslastung es zulässt, wird er auch sofort abgefertigt oder nach einer kurzen Wartezeit. Bitter wird es für denjenigen, der sehr unpünktlich kommt. Er muss ein neues Zeitfenster buchen, innerhalb dessen er wiederkommen muss. Auch der Fall, dass ein Slot verfällt, weil ein Lkw im Stau steckt, ist vom System eingeplant. Der Fahrer kann dann einfach sein Zeitfenster stornieren und ein neues buchen. Anmeldung und Slotvergabe geschehen über einen Knotenpunkt im Computernetz zwischen den Fuhrunternehmen und den Terminals.
An diesem Knotenpunkt ist ein Computerprogramm installiert, dass die Vergabe der Slots regelt und darauf achtet, dass jeder gleich behandelt wird, und keine Zeitfenster an zu viele Trucks vergeben werden, sodass es wieder zu Staus kommt. Die Anmeldung kann auch von jedem Lkw-Fahrer selbst per App an seinem Handy vorgenommen werden.
Laut HHLA gibt es rund 1,8 Millionen Lkw-Fahrten im Jahr
Erfinder des drahtlosen Netzwerks zur Verkehrssteuerung an den Terminals ist der Hamburger Spezialist für Datenkommunikationssysteme Dakosy. Das Unternehmen ist einer der führenden Anbieter von Computerprogrammen für die Transportwirtschaft, hat ein Programm zur Frachtabfertigung an Deutschlands größtem Flughafen in Frankfurt geschrieben und betreibt die entscheidende Informationsplattform im Hafen, auf der sich Reeder und Terminals miteinander verständigen. Die IT-Experten haben das Slotbuchungssystem zusammen mit den beiden Terminalbetreibern HHLA und Eurogate aus der Taufe gehoben.
Mit gutem Grund: 43 Prozent aller Seegüter, die im Hafen umgeschlagen werden, kommen oder gehen per Lkw. Der HHLA zufolge bedeutet das 1,8 Millionen Lkw-Fahrten im Jahr. Zudem hat sich auf der Seeseite einiges verändert: Anstatt dreier kleinerer Schiffe, die über die Woche verteilt Ladung abholen oder bringen, kommt nun ein Großcontainerschiff, das innerhalb kürzester Zeit mit frischen Containern von den Lkw beliefert werden muss. Die Fuhrunternehmen sprechen sich aber nicht ab, wer wann losfährt.
Zwar haben die Terminals inzwischen längst reagiert und bieten seit Jahren eine Abfertigung rund um die Uhr an. Die Fuhrunternehmen kommen aber zu normalen Bürozeiten. In der Nacht werden etwa 20 Fuhren pro Stunde abgefertigt. Um 14:30 mittags kommen im Durchschnitt 230 Fuhren in der Stunde. Die Folge sind Rückstaus bis auf die Autobahn, die im Jahr 2014 für stundenlange Wartezeiten für alle Autofahrer gesorgt haben. Damit soll mit dem neuen System Schluss sein.
Neues System soll mehr Planungssicherheit für beide Seiten bringen
„Wir haben die Abfertigung der Lkw an unseren Terminals in den vergangenen Jahren bereits deutlich beschleunigt. Mit der Einführung von Slots bei der Lkw-Abfertigung werden wir für eine gleichmäßigere Verteilung der Verkehre über den Tag und noch mehr Planungssicherheit für Fuhrunternehmen und Terminals sorgen“, sagt Heinrich Goller, HHLA-Direktor Betrieb. Das reduziere die Spitzenbelastungen und senke die Staugefahr.
Der Verein Hamburger Spediteure begrüßt grundsätzlich das neue System: „Alles, was der Beschleunigung dient und die Wartezeiten verkürzt, wird von uns unterstützt“, sagt Vereinsgeschäftsführer Stefan Saß. „Voraussetzung dafür ist aber, dass die Lkw-Fahrer auch freien Zugang haben und nicht durch Staus, Verkehrskontrollen oder wegen sonstiger Störungen Probleme bekommen, weil sie ihren Slot verpassen“, so Saß.