Der Chef in den Asklepios Kliniken Altona und Hamburg im Abendblatt-Interview. Ein Blick über die Nabelschnur.

Stilltee oder Glückstee? Eine interessante Auswahl, die Professor Volker Ragosch in seinem Büro präsentiert, um dem Besucher sogleich die Entscheidung abzunehmen: „Stilltee schmeckt furchtbar, aber der andere ist super, der wurde von glücklichen Bäumen gepflückt.“ Beim Chef der Gynäkologie und Geburtshilfe in der Asklepios Klinik Altona sollen alle glücklich sein: die Patienten, die Mitarbeiter, die Teetrinker.

Der 53-Jährige, der seit 2001 auch die Abteilung für Geburtshilfe in der Asklepios Klinik Harburg leitet, verbreitet von null auf 100 gute Laune. Gäbe es mehr von seiner Sorte, hätte Deutschland keine Nachwuchssorgen mehr. Kinderleicht stellt man sich das Kinderkriegen unter seiner Obhut vor – bevor er im Gespräch seine Erlebnisse aus 25 Berufsjahren als Gynäkologe erzählt. Die Wahrheit kann wehtun.

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Hamburger Abendblatt: Die Geburt eines Kindes stellt einen der wichtigsten Momente im Leben vieler Menschen dar. Sie erleben das tagtäglich. Können Sie dieses „Wunder“ noch empfinden?

Professor Volker Ragosch: Natürlich! Nur weil wir Ärzte etwas permanent machen, wird es für uns nicht weniger besonders. Erst gestern hatte ich eine ganz wunderbare Geburt: Eine Patientin wusste gar nicht, dass das Wehen waren, was sie hatte. Sie wollte eigentlich zum Friseur, hatte aber so ein leichtes Unwohlsein und kam deshalb vorher bei uns rein. Wir haben sie untersucht und festgestellt, dass ihr Muttermund schon komplett geöffnet war. 15 Minuten später war das Baby da. Wenn man wie ich selbst Kinder hat, kann man eine Geburt auch noch ganz anders nachempfinden, diese Augenblicke sind wirklich sehr bewegend.

An den kleinen
Wundern kann sich
Volker Ragosch
selbst nach
25 Jahren
Berufserfahrung
nicht sattsehen
An den kleinen Wundern kann sich Volker Ragosch selbst nach 25 Jahren Berufserfahrung nicht sattsehen © HA | Andreas Laible

An wie viele Geburten erinnern Sie sich?

Ragosch : An viele. Am besten an die, bei denen es besser gelaufen ist, als ich erwartet hätte. Ich habe zum Beispiel Drillinge entbunden, bei denen wir Ärzte uns um eines der Kinder wirklich richtig Sorgen gemacht haben. Aber der kleine Mann hat es geschafft. Da bekomme ich nunmehr seit acht Jahren zu Weihnachten Post und kann sehen, wie die drei wachsen. Das freut mich natürlich. Es gibt nicht wenige Situationen, in denen es um Leben und Tod geht, und wenn die gut ausgehen, bleibt einem das in Erinnerung.

Dann wurde doch bestimmt schon mal ein Kind nach Ihnen benannt.

Ragosch : Noch nie, wie ärgerlich. Ich schreibe das mal meinem unattraktiven Vornamen zu, in der Hoffnung, meine Mutter liest das Interview nicht. Wobei sie gesagt hat, wenn ich dunkle Haare gehabt hätte, wäre ich Ludger genannt worden. Dann doch lieber Volker, das ist die gnädigere Variante.

Sind die Frauen, die heute in den Kreißsaal kommen, entspannter und aufgeklärter als früher?

Ragosch : Sie kommen leider mit gewissen Vorgaben, mit einer Leitlinie, wie es im Kreißsaal ihrer Ansicht nach zu laufen hat. Ich bin ein erklärter Gegner von diesen ganzen Internetforen, weil den Schwangeren dort suggeriert wird, wie eine gute und normale Geburt sein sollte. Ich glaube, dass manche dadurch eher verkrampfen. Sie haben zu hohe oder unrealistische Erwartungen.

Tendenziell werden Frauen heute später schwanger. Wirkt sich auch das Alter auf ihr Verhalten aus?

Ragosch : Ich will es mal so sagen: Mit 20 fährt man eine Ente, also ein flippiges Auto ohne Airbag. Mit 40 entscheidet man sich lieber für einen Wagen mit hohem Sicherheitsstandard. Das Alter kann ein Faktor sein, unentspannter an eine Geburt ranzugehen. Hinzu kommt: Nicht selten kann – gerade bei etwas älteren Patientinnen – ein Kinderwunsch nur noch mit reproduktionsmedizinischen Methoden erfüllt werden. Das steigert den Druck zusätzlich. Wenn es nach vielen Versuchen endlich geklappt hat, dann muss es einfach gut gehen! Diese Frauen haben häufig mehr Angst.

Und die Väter? Bleiben die cool?

Ragosch : Ich finde die Entwicklung sehr schön, dass sich die Männer extrem einbringen, nicht nur im Kreißsaal. Die sitzen ja schon bei den Infoabenden im Krankenhaus dabei. Es ist wirklich auffallend, dass eine Geburt inzwischen eine partnerschaftliche Sache ist, nicht mehr nur das Ding der Frau. Die Väter wollen schon im Wochenbett intensiv dabei sein, was toll ist, weil sie dadurch eine schnellere und bessere Beziehung zum Kind bekommen. Mein Vater beispielsweise hatte den ersten Kontakt zu mir nach über einer Woche, als meine Mutter entlassen wurde. Heute läuft das wesentlich besser. Manche Männer lassen sich lustige Dinge einfallen, um ihre Partnerin zu unterstützen.

Entspannungsbad
gefällig? Hebamme
Monika Peters hat
bereits 2000 Babys
zur Welt gebracht
Entspannungsbad gefällig? Hebamme Monika Peters hat bereits 2000 Babys zur Welt gebracht © HA | Andreas Laible

Da würde ich gerne Beispiele hören.

Ragosch : Beliebt sind Musikuntermalungen bei der Geburt. Die Männer denken, sie könnten ihrer Frau was Gutes tun, und legen angeblich beruhigende Klänge auf. Mir und irgendwann auch der Frau geht das meistens auf die Nerven. Ich will das nicht gering schätzen, aber Meeresrauschen und psychedelische Klänge? Aber jeder definiert für sich, was er als Unterstützung mitbringt. Am Ende von zehn, zwölf Stunden Wehen wird allerdings meistens gar nichts mehr benutzt. Ich hatte mal ein Paar im Kreißsaal, da fuhr der Mann extra noch mal nach Hause, weil er seine Glückshose vergessen hatte. Ohne die würde es seine Frau bestimmt schwerer haben, dachte er. Toll fand ich auch den Informatiker, der mit einer Excel-Tabelle ankam, der die Wehen seiner Frau akribisch aufgelistet hatte, um den Median der Wehentätigkeit zu bestimmen und auszurechnen, wann genau die Geburt beginnt.

Hatte er denn recht?

Ragosch : Ja! Aber ich glaube, man hätte auch ohne Excel-Tabelle am Schreien der Frau gemerkt, dass es losgeht. Mit Tabelle war es allerdings amüsanter.

Sagen Sie mal ehrlich: Was schätzen Sie auf einer Skala von 1 bis 10, wie groß sind die Schmerzen bei einer Geburt?

Ragosch : Das ist ein heißes Thema. Ich schätze: 10! Pauschal kann man das aber so nicht sagen, es gibt Menschen, die sind weniger schmerzempfindlich als andere. Ich bin zum Beispiel ein bekennendes Weichei. Ich kann Schmerzen nicht ertragen, deshalb rate ich den Patienten, nicht auf Empfehlungen von anderen Leuten zu hören, denn es ist ihr Schmerz. Ich finde die Diskussion in Deutschland über die PDA extrem müßig, sie wird ja gerne wie ein Teufelswerkzeug abgelehnt. Beim Zahnarzt oder bei OPs ist es heute eine Selbstverständlichkeit, keine Schmerzen zu spüren, warum sollte man sie dann bei einer Geburt nicht lindern? Und nebenbei bemerkt: Diese Methode ist extrem sicher und wird zigtausendfach täglich auf der ganzen Welt angewandt. Gut die Hälfte der Frauen in Deutschland lassen sich eine PDA geben, der Prozentsatz ist in anderen Ländern viel höher.

Die romantische Vorstellung von einer schönen, sanften Geburt, wie realistisch ist die überhaupt?

Ragosch : Eine Geburt ist echte körperliche Schwerstarbeit. Eine der letzten archaischen Sachen überhaupt! Man muss ein Kind durch sein Becken pressen. Die Natur hat das so vorgesehen, weil sich dieser Stress günstig auf das Kind auswirkt. Babys, die das geschafft haben, erreichen ihr Gewicht schneller, trinken besser. Natürlich wird häufig versucht, diese harte Arbeit mit euphemistischen Begriffen wie „sanfter Geburt“ zu umschreiben – reine Beschönigungen. Was für mich auf der anderen Seite aber immer wieder ein Phänomen darstellt: Trotz der extremen Belastung verschwindet der Schmerz sofort, sobald das Kind den ersten Schrei gemacht hat. Eine Blase der Glückseligkeit macht sich breit, da entsteht sofort eine Einheit zwischen Mutter und Kind. Die Unbedingtheit der Liebe zum Kind ist etwas Besonderes. Keinen Menschen lieben sie so sehr wie ihr eigenes Kind, auch nicht ihren Partner.

Julia Ebhardt
wurde vor einem
Tag zum dritten
Mal Mutter. Alle
Kinder kamen in
Altona zur Welt
Julia Ebhardt wurde vor einem Tag zum dritten Mal Mutter. Alle Kinder kamen in Altona zur Welt © HA | Andreas Laible

Während der Presswehen liebt man ihn eher weniger. Hören Sie viele partnerschaftliche Beleidigungen im Kreißsaal?

Ragosch : Die Männer müssen lernen, dass sich die Frauen in einer extremen Ausnahmesituation befinden, da gibt es schon mal Beschimpfungen oder den deutlichen Hinweis: „Lass mich in Ruhe!“ Da sollte man als Mann aber drüberstehen, denn es ist trotzdem für die Frauen sehr wichtig, dass ihr Partner dabei ist. Sie brauchen das Gefühl von Sicherheit und Gemeinsamkeit.

Kommt es auch zu Heiratsanträgen oder Liebesbekundungen?

Ragosch : Die meisten Beziehungsverhältnisse sind vorher geklärt, aber wir hatten auch schon Hochzeiten im Krankenhaus. Das kann man alles organisieren, dann besorgen wir einen Standesbeamten, und es wird „Ja!“ gesagt. Aber Gott sei Dank stellt Heiraten keine Voraussetzung zum Kinderkriegen dar.

Finden Sie das nicht auch komisch: Bei der schamvollsten Szene im Leben einer Frau sind so viele Menschen anwesend.

Ragosch : Das interessiert die meisten zum Glück nicht. Außerdem finde ich die Situation im Kreißsaal keineswegs ungemütlich; das ist so eine Mär. Letztens hat eine Hebamme in einem Interview behauptet, in Krankenhäusern müsste man zwischen Infusionsständern und CTGs entbinden. Das hört sich an, als ginge es bei uns nur um Technik. Dem möchte ich vehement widersprechen. Das Ziel eines jeden Krankenhauses, ob bei uns oder im UKE oder im Marienkrankenhaus oder wo immer, ist, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, keine Bahnhofshalle, wo 20 Leute schon warten, weil ein Baby einfährt. Das wird auf ein Minimum beschränkt. Es gibt natürlich Situationen, da muss schnell mehr Personal anwesend sein, weil es für das Kind oder die Mutter kritisch wird.

Wie gefährlich ist eine Geburt?

Ragosch : Ohne Panik machen zu wollen, aber eine Geburt kann lebensgefährlich sein. Weltweit ist die häufigste Todesursache bei Frauen unter 50 die Geburt eines Kindes. Deshalb müssen Geburten gut überwacht werden. Wir haben in den Industrienationen den Vorteil, dass wir auf Komplikationen schnell reagieren können. Es gibt Risiken, die schon während der Schwangerschaft erkannt werden, aber auch eine ganz normale Geburt kann zum Notfall werden, das wird häufig unterschätzt.

Überschätzt wird allerdings, was man selbst tun kann, um eine Geburt etwas angenehmer über die Bühne zu bringen. Wird den Schwangeren in den Vorbereitungskursen nicht eine Illusion verkauft, dass, wenn sie das Atmen üben, sich mit Dammöl massieren, ihre Vagina mit Heu bedampfen usw., sie die Geburt irgendwie beschleunigen können?

Ragosch : Ach, in 25 Jahren als Arzt habe ich gelernt, dass es gut ist, ein paar Mythen zu pflegen. Ich habe schon so viele Sachen gehört, die angeblich helfen sollen. Wenn man dran glaubt, hilft es vielleicht sogar. Aber es schadet in keinem Fall. Eine Einstimmung auf die Geburt, und da gehört ein Vorbereitungskurs dazu, finde ich sinnvoll. Es muss doch nicht alles immer effizient sein.

Schade ist es für eine Frau aber schon, wenn sie den Mordsaufwand in der Schwangerschaft betreibt und nach 20 Stunden Wehen und Pressen doch einen Kaiserschnitt bekommt. Da fühlt man sich schnell wie eine Versagerin.

Die jungen
Mütter Sina
und Sarina beim
Kangatraining
im AK Altona
Die jungen Mütter Sina und Sarina beim Kangatraining im AK Altona © HA | Andreas Laible

Ragosch : Sehen Sie, da liegt der entscheidende Unterschied zwischen Mann und Frau. Eine Frau gibt immer sich die Schuld, ein Mann jemand anderem. Außerdem handelt es sich nicht um eine Schuldfrage. Was meiner Ansicht nach als Vorbereitung hilft: Beckenbodentraining und geburtsvorbereitende Akupunktur. Doch Garantien gibt es keine. Mit einer Yogaübung erturnt man sich keine Traumgeburt.

Sie bekommen wahrscheinlich sehr viele Fragen von ihren Patientinnen gestellt. Welches ist die häufigste?

Ragosch : In verschiedenen Varianten läuft es indirekt stets auf dasselbe hinaus: Schaffe ich das? Das Wichtigste für uns muss also sein, den Frauen deutlich zu machen, dass wir für sie da sind, ihnen Sicherheit zu geben. Die Angst vor dem Kontrollverlust ist das Entscheidende beim ersten Kind. Viele wollen auch wissen, wie sie spätestens zum errechneten Termin entbinden. Dabei schaffen das nur vier Prozent. Da muss ich die Damen enttäuschen. Es gibt nichts, womit sie die Wehentätigkeit anregen können. Ich habe schon Frauen zig Stockwerke hoch und runter laufen gesehen. Umsonst. Am schlimmsten finde ich jedoch den Tipp, ein Glas Rotwein zu trinken. Alkohol in der Schwangerschaft ist ein absolutes No-Go! Keineswegs akzeptabel, und zwar über den ganzen Zeitraum.

Sie betonen gerne den Wert einer guten Ernährung. Ist das denn wirklich ein Problem? Sollten wir nicht inzwischen wissen, wie es geht?

Ragosch : Sollten wir, tun wir aber leider nicht. Falsche Ernährung während der Schwangerschaft ist ein Riesen-Thema. Die Gynäkologen empfehlen gerne, ausgewogen zu essen, und das war es dann mit der Aufklärung. Aber was verstehe ich denn unter ausgewogen? Wir haben ein zunehmendes Problem mit Übergewicht in Deutschland, und die Fehlernährung beginnt häufig im Mutterleib. Wir essen immer ungesünder. Im Krankenhaus mussten wir schon neue OP-Tische anschaffen. Vorher hielten sie 120 Kilo, jetzt 150 Kilo.

Immer häufiger kommen Kinder mit einem Gewicht von mehr als 4000 Gramm auf die Welt. Ernähren wir uns zu gut, um noch natürlich zu gebären?

Ragosch : Das Durchschnittsgewicht steigt, das stimmt. Aber auch ein Vier-Kilo-Kind kann problemlos geboren werden. Jetzt fragen Sie sicher gleich, woher die gestiegenen Kaiserschnittraten denn sonst kommen. Tja, bei dem Thema muss ich mich ereifern. Gerne wird ja behauptet, es gebe mehr Kaiserschnitte, weil das Krankenhaus mehr damit verdienen würde. Das ist eine Unverschämtheit! Das sage ich in aller Schärfe. Bei einer Kaiserschnittgeburt kommen wir sicher auf keinen Gewinn. Und leider sehe ich als Geburtshelfer in einer Klinik die Patientinnen erst, wenn sie ihre Entscheidung bereits gefällt haben. Viele Frauen denken, nach einem Kaiserschnitt müsste das nächste Kind auch mit einem Kaiserschnitt geholt werden. Quatsch. Da sind wunderbare Spontangeburten möglich. Gestern wiederum kam eine Schwangere, die hatte bereits zwei Spontangeburten und wollte jetzt beim Dritten einen Kaiserschnitt, weil sie nach der letzten Geburt lange Probleme hatte. Ich habe versucht, ihr diesen Wunsch auszureden, weil es für die Patientin nach zwei Spontangeburten besser wäre, normal zu entbinden. Aber sie wollte nicht.

Osteopathin Bettina Neidhardt
behandelt ein zwei Tage altes Baby
Osteopathin Bettina Neidhardt behandelt ein zwei Tage altes Baby © HA | Andreas Laible

Hört sich an, als seien Sie kein Freund von Kaiserschnitten.

Ragosch : Am Ende bin ich ein Dienstleister. Bei der Geburtshilfe wird oft vergessen, wer eigentlich der Kunde ist, was mich sehr ärgert. Ich möchte für das Paar ein positives Erlebnis schaffen. Ich empfinde es als Anmaßung, meine Vorstellung einer Geburt anderen als „den richtigen Weg“ aufzudrücken. Wichtig ist aber ein vorgeburtliches Gespräch am besten zusammen mit einer Hebamme, um Ängste zu nehmen und Selbstvertrauen zu schaffen. Die meisten Frauen, die sich für einen Kaiserschnitt entscheiden, haben gute Gründe. Außerdem ist ein Kaiserschnitt genauso wenig wie eine PDA Teufelszeug. Als Fachmann kann man sich ja oft amüsieren. Letztens habe ich einen Bericht gelesen, in dem jemand erklärte, wie sich ein Kind bei einem Kaiserschnitt fühle. Das sei so, als komme nachts jemand ins Schlafzimmer herein und werfe einen vom ersten Stock in einen kalten Pool. Wir haben uns hier kaputtgelacht. Keiner weiß, wie sich ein Baby bei einem Kaiserschnitt oder bei einer normalen Geburt fühlt!

Wie groß ist der Spagat zwischen Sicherheit und Natürlichkeit? Gibt es zwischen Ärzten und Hebammen da Diskussionen?

Ragosch : Wer immer auf einer Wellenlänge ist, der macht etwas falsch. Aber ich halte nichts davon, als Arzt irgendwo reinzukommen und Anweisungen zu geben, ohne mit der Hebamme gesprochen zu haben. Das ist eine Rambo-Mentalität, die in modernen Kreißsälen nichts zu suchen hat. Ich nehme für meine Abteilung in Anspruch, dass ich wirklich auf Teamarbeit setze. Die alte Schiene, hier die Ärzte und dort die Hebammen, das ist Schnee von gestern. Wäre doch auch blöd, nicht alle Erfahrungen, die im Raum sind, zu nutzen. Es müssen nur die medizinischen Voraussetzungen erfüllt sein. Wir stehen in einer enormen juristischen Verantwortung, deshalb machen wir keine Experimente. Die medizinischen Leitlinien sind wichtig und dienen ausschließlich der Sicherheit von Mutter und Kind.

Allerdings sind die Versicherungsprämien für Hebammen enorm gestiegen ...

Ragosch : Diese unsägliche Diskussion! Angeblich bangen alle Hebammen um ihre Existenz, ein nationales Drama. Wie oft das schon falsch verbreitet wurde. Wovon reden wir denn? Wir haben in Deutschland 21.800 Hebammen, davon sind die allerwenigsten geburtshilflich freiberuflich tätig. Es gibt nur 1,4 Prozent Hausgeburten. Die meisten Hebammen sind fest angestellt und zahlen deshalb keine Berufshaftpflicht von knapp 6000 Euro im Monat. Es geht also nicht den Bach runter mit den Hebammen in Deutschland, bitte die Kirche im Dorf lassen. Nur für Beleghebammen und außerklinisch tätige Hebammen, für die wird es zugegebenermaßen deutlich schwieriger. Und hier halte ich es für dringend erforderlich, sinnvolle Lösungen zu finden.

Da wir schon beim Geld sind: Auf der einen Seite wird gesagt, Schwangere sollen sich nicht verrückt machen. Auf der anderen Seite bieten Gynäkologen viele kostenpflichtige Zusatzuntersuchungen an. Grenzt das nicht an Doppelmoral?

Ragosch : Die Schwangerenvorsorge ist in Gänze kostenlos, und die Untersuchungen, die gemacht werden, reichen vollkommen aus. Lassen Sie sich kein Geld für teure Extras aus der Tasche ziehen! Wenn jemand natürlich so etwas wie einen Harmonietest, also ein Screening auf Chromosomenstörungen, machen möchte, den fünften Ultraschall oder einen besonderen Zuckerbelastungstest, dann ist das in etwa so, als würde man beim Auto nicht nur den Ölstand kontrollieren, sondern auch noch eine extra glänzende Politur auftragen. Dafür muss der Patient selbst aufkommen, damit können die Kassen, also die Allgemeinheit, nicht belastet werden. Die Rolls-Royce unter den Tests gehören zum Privatvergnügen.

Die AK Altona hat sich auch etwas gegönnt. Fast zehn Millionen Euro wurden für Erneuerungen investiert. Tut eine Geburt bei Ihnen jetzt weniger weh?

Ragosch : Haha. Wir haben keine schmerzlose Geburt gekauft, sondern eine bessere Infrastruktur. Zum Beispiel neue Räume, in denen tolle Kurse angeboten werden, nicht nur Rückbildung und Geburtsvorbereitung. Mein Liebling heißt Kangatraining, das ist eine Art Musiktherapie, bei der man die Babys in einem Tragetuch dabei hat. Der Hammer! Es gibt auch eine Osteopathin, die dreimal die Woche auf die Station kommt. Ein Teil der Investition wurde zudem in die Zimmer gesteckt, wir brauchten mehr Familienzimmer. Um gegen die Konkurrenz zu bestehen, sind Innovationen unerlässlich.

2013 haben Sie gesagt, dass das Perinatalzentrum in Altona die größte deutsche Geburtsklinik werden soll. Wie nah sind Sie diesem Ziel inzwischen gekommen?

Ragosch : Extrem nah. Mit Harburg und Altona zusammen führe ich schon die deutschlandweit größte Klinik, wir haben jährlich über 4000 Geburten. Entscheidend für uns ist, dass die Frauen nur wegen unseres Gesamtkonzeptes kommen, eine hübsche rosa Tapete reicht kaum aus.

Wie teilen Sie Ihre Arbeit zwischen Ihren zwei Standorten auf? Bei dem Hin und Her vergessen Sie nach einer harten Nacht vielleicht, wo Sie sich befinden.

Ragosch : Zeitlich und örtlich bin ich zum Glück noch gut orientiert. Pendeln empfinde ich nicht als anstrengend, ich brauche nur 15 Minuten mit meinem Motorrad von einer Klinik zur anderen.

Ursprünglich wollten Sie Jetpilot werden, jetzt sind Sie Arzt. Beides sehr prestigeträchtige Berufe.

Ragosch : Das war aber nicht der Grund. Bei mir zu Hause bewahre ich noch einen Brief aus dem Jahr 1983 auf, eine Zusage, bei der Lufthansa anzufangen. Keinen Film habe ich häufiger gesehen als „Top Gun“. Letztendlich habe ich mich doch für die Medizin entschieden und das auch keinen Tag bereut. Aber meine Liebe zur Geschwindigkeit ist geblieben. Deshalb fahre ich ja Motorrad.

Ein anderes Hobby von Ihnen ist das Lesen von Krimis. Wie häufig gerät eine Geburt zum Krimi?

Ragosch: Oft. Das hört sich komisch an, aber Notfälle sind für mich eine besondere Herausforderung. Sie können mich um drei Uhr morgens aus dem Bett holen, egal. Es gab Fälle, da habe ich Blut und Wasser geschwitzt. Vergangene Woche stand ich fünf Stunden im OP, da ging es um Leben und Tod. Aber so ist das in einem Perinatalzentrum, da kommen Krimis häufig vor, weil wir viele Risikoschwangere betreuen. Manchmal werde ich nach unserer Wochenendbesetzung gefragt, so etwas haben wir hier nicht. Wir haben 365 Tage im Jahr die gleiche Besetzung, das ist Voraussetzung für ein Level-1-Zentrum. Bei uns gibt es kein Wochenende, kein Weihnachten, keine Nachtschicht.

Das schönste Thema zum Schluss: Sex. Welchen Einfluss hat eine gemeinsam erlebte Geburt auf die Beziehung?

Ragosch : Das Thema müsste intensiver besprochen werden. Ich glaube nicht, dass die Libido eines Mannes durch das Geburtserlebnis leidet. Das Problem ist ein anderes. Wie formuliere ich das vorsichtig? Die meisten Paare unterschätzen die Arbeit, die auf einen zukommt, den Schlafentzug usw. Sie denken, ihr Leben ginge so weiter, nur eben mit Kind. Und das stimmt nicht. Ich weiß noch, ich war mit meiner schwangeren Frau auf einer Party, da stand ein Pärchen, das sah aus wie Braunbier mit Spucke. Die sagten, sie seien das erste Mal nach einem halben Jahr wieder draußen, weil sie ihr Baby endlich mal bei den Großeltern abgeben konnten. Meine Frau und ich waren fest davon überzeugt, dass wir es ganz anders machen würden. Aber ein halbes Jahr nach der Geburt unserer ersten Tochter sahen wir genauso aus. Der pflegerische, emotionale Aufwand für ein Kind ist so enorm, dass die Sexualität in dieser Zeit zwangsläufig in den Hintergrund gerät.

Aber für wie lange denn?

Ragosch : Ich sage es mal so: Im ersten halben, Dreivierteljahr kommt Weihnachten öfter.