Das Abendblatt begleitet vier Topsportler, um die Mühen auf dem Weg zu den Olympischen Sommerspielen in Brasilien zu dokumentieren.
Langsam beginnt er, der Countdown zu den Olympischen Sommerspielen. In einem halben Jahr, ganz genau am 5. August, wird die Eröffnungsfeier in Rio de Janeiro wieder ein Milliardenpublikum auf der ganzen Welt erreichen. Bis zum 21. August kämpfen rund 10.500 Athleten um Medaillen, vor allem aber um Aufmerksamkeit in Sportarten, die abseits des Ringe-Spektakels oft ein Schattendasein fristen. Auch aus Hamburg werden Sportler in Brasilien an den Start gehen, ihre genaue Zahl ist noch nicht bekannt, weil in vielen Disziplinen die Qualifikationen noch ausstehen. Vier Kandidaten – die Beachvolleyballerin Laura Ludwig, die Hockeyspielerin Lisa Altenburg, den Boxer Artem Harutyunyan und den Ruderer Eric Johannesen – begleitet das Abendblatt in den kommenden Monaten bis vier Wochen nach den Spielen. Wir wollen in loser Folge aufzeigen, wie hart die Sportler trainieren, wie sie sich vorbereiten, wann aus Vorfreude Anspannung wird und was die wichtigsten Etappen sind auf dem Weg nach Rio. Im ersten Teil dieser Serie werden die Protagonisten vorgestellt.
Laura Ludwig
Laura Ludwig friert, während sie am Alsteranleger für den Fotografen posiert, und wer wollte ihr das verdenken? Für eine wie sie, die es gewohnt ist, ihrem Beruf im Bikini am Strand – oder zumindest im Sand – nachzugehen, ist selbst der milde Hamburger Winter kein Vergnügen. Und trotzdem klagt die 30-Jährige nicht. Ihr sonniges Gemüt, das sie allen Problemen mit einem gewinnenden Strahlen begegnen lässt, hat längst wieder Oberhand gewonnen, weil ihre Gedanken in den August abgeschweift sind.
Im Stadtteil Copacabana mit dem weltberühmten Traumstrand Rio de Janeiros will die HSV-Beachvolleyballerin zum dritten Mal in ihrer Karriere um eine olympische Medaille kämpfen. 2008 in Peking war sie Neunte, vier Jahre später in London Fünfte, jeweils mit ihrer langjährigen Partnerin Sara Goller, die nach deren Hochzeit nun Niedrig heißt. In Brasilien würde die gebürtige Berlinerin erstmals bei Olympia mit ihrer aktuellen Teamkollegin Kira Walkenhorst, 25, antreten, und genau darin liegt für sie der Reiz ihrer dritten Spiele. „Es wird vor allem auf die mentale Vorbereitung ankommen“, sagt sie, „denn ich weiß ja, was es bedeutet, zum ersten Mal bei Olympia antreten zu dürfen.“
Für Walkenhorst wären es die ersten Spiele. „In Peking ist alles wie ein Film an mir vorbeigerast, da war ich mit der Reizüberflutung komplett überfordert“, sagt Laura Ludwig. In London war die Aufregung kaum minder groß, nun jedoch wähnt sie sich in der Lage, ihrer Partnerin mental eine Stütze sein zu können. „Natürlich reden wir ab und an schon darüber, und ich versuche alles zu beantworten, was Kira wissen will“, sagt sie.
Andererseits sei Rio noch so weit entfernt, denn erst einmal muss das Duo ja die Qualifikation sichern. Die besten 17 Paare der Weltrangliste dürfen an der Copacabana aufschlagen, außerdem nur maximal zwei aus demselben Land. National sind Ludwig/Walkenhorst Spitze, weltweit die Nummer drei. „Sieht eigentlich ganz gut aus, dass wir es schaffen“, sagt Ludwig, die als weltbeste Abwehrspielerin gilt.
Das letzte Qualifikationsturnier wird vom 7. bis 12. Juni im Tennisstadion am Hamburger Rothenbaum gespielt, spätestens dann steht fest, ob aus dem gemeinsamen Traum Gewissheit werden kann. Die Vorbereitung darauf ist längst angelaufen. Seit Ende Januar und noch bis zum kommenden Dienstag steht ein Trainingslager auf Teneriffa an, danach wird eine Woche bei Cheftrainer Jürgen Wagner in Düsseldorf gearbeitet, ehe es nach Brasilien geht. Dort gibt es zunächst Ende Februar ein Turnier in Maceio, in der zweiten Märzwoche wird dann in Rio um Grand-Slam-Ehren gebaggert.
Laura Ludwig, die in Hamm in einer WG lebt, kennt das Gastgeberland der nächsten Sommerspiele gut, sie hat oft dort trainiert, Turniere in São Paulo oder Bahia gespielt. Ihr Exfreund ist Brasilianer, sie spricht etwas Portugiesisch. „Ich liebe die relaxte Art und die Kultur der Brasilianer, auch das Essen mit sehr leckerem Grillfleisch und den vielen exotischen Obstsorten ist super“, sagt sie. Nur an der Copacabana, da hat sie noch nie einen Wettkampf bestritten. Und sie findet, dass es höchste Zeit ist, das zu ändern.
Artem Harutyunyan
Höchste Zeit? Ja, das findet Artem Harutyunyan auch, allerdings ist diese Aussage eher darauf bezogen, dass der 25-Jährige es kaum noch abwarten kann, endlich seine ersten Olympischen Spiele erleben zu dürfen. „Meinetwegen könnte es sofort losgehen, die Vorfreude ist schon jetzt riesengroß bei mir“, sagt der gebürtige Armenier. Man muss seine Unruhe verstehen, immerhin war der Halbweltergewichtsboxer (bis 64 kg) der erste Hamburger Athlet, der sein Ticket nach Rio löste. Ende Juli vergangenen Jahres besiegte Harutyunyan, der am Bundesstützpunkt in Schwerin bei Weltmeistermacher Michael Timm trainiert, aber noch immer für seinen Hamburger Stammverein TH Eilbeck startet, in der Wilhelmsburger Inselparkhalle den Algerier Abdelkader Chadi.
Seitdem steht fest, dass er in Rio starten darf, in einem Land, das er noch nie bereist hat. „Natürlich ist Olympia seitdem immer präsent. Alles, was wir im Training machen, ist darauf ausgerichtet“, sagt der Modellathlet, der einen Monat nach der Olympiaqualifikation ebenfalls in Wilhelmsburg Weltmeister in der vom Weltverband Aiba aufgelegten Profiserie APB wurde.
Die größte Herausforderung für Harutyunyan besteht nun darin, sich von der Zwölf-Runden-Distanz, die er für Olympiaticket und APB-Titel absolvieren musste, wieder auf das olympische Format von drei Runden à drei Minuten umzustellen. Dafür haben sie das Training von zwei langen auf drei eher kompakte Einheiten pro Tag umgestellt. Die nötige Praxis allerdings, die kann sich der Boxer nur in Wettkämpfen holen. Deshalb ist er in dieser Woche zu einem Turnier ins ungarische Debrecen gereist, deshalb startet er im Anschluss an ein zweiwöchiges Trainingslager in Kasachstan auch beim prestigeträchtigen Chemie-Pokal in Halle (Saale) Anfang März. „Ich brauche Kampfpraxis, weil man über die kurze Distanz ganz anders agieren muss als über zwölf Runden“, sagt er.
Und dann ist da ja noch das andere Ziel, das erreicht werden soll. Artems Bruder Robert, 26, kämpft im Leichtgewicht (bis 60 kg) noch um sein Rio-Ticket. Die beiden teilen ihr gesamtes Leben, als Betreuer wäre Robert in jedem Fall in Artems Ecke dabei. „Aber wir wollen beide unbedingt eine Medaille holen. Deshalb gebe ich alles, um Robert zu helfen, dass er die Qualifikation auch schafft“, sagt Artem.
Lisa Altenburg
Zum Termin mit dem Abendblatt erscheint Lisa Altenburg auf Krücken. Ein Ermüdungsbruch im rechten Fuß, erlitten beim Lehrgang mit der deutschen Hockey-Nationalmannschaft Mitte Januar in Singapur, zwingt die 26-Jährige dazu, die Gehhilfen zu benutzen, die ihr leider ein vertrauter Begleiter sind. Das Verletzungspech hat die Torjägerin, die in der Bundesliga für den Uhlenhorster HC aufläuft, schon mehrere Turnierteilnahmen gekostet. Natürlich nervt der Gedanke daran, nun wieder sechs Wochen kein hockeyspezifisches Training absolvieren zu dürfen und sich stattdessen erneut durch die kraft- und nervenzehrende Rehabilitation kämpfen zu müssen.
Und dennoch hat Lisa Altenburg, die noch nie in Brasilien war, wohl aber die Stimmung im hockeyverrückten Nachbarland Argentinien kennt, ihre gute Laune nicht verloren. „Ich weiß ja auch, dass ich meistens fitter aus der Reha komme, als ich es vor der Verletzung war“, sagt sie, „außerdem ist es bis Rio ja noch so lange hin, dass ich sagen kann, dass es sicherlich schlechtere Zeitpunkte für eine Verletzung hätte geben können.“ So entspannt kann wahrscheinlich nur jemand mit physischen Rückschlägen umgehen, der tatsächlich genau weiß, was er seinem Körper abverlangen kann.
Und das weiß Lisa Altenburg spätestens, seitdem sie im Oktober 2012, kurz nach ihrer ersten Olympiateilnahme, die Nachricht von ihrer Schwangerschaft erhielt, die ihr Leben auf den Kopf stellte. Tochter Sophie ist mittlerweile gut zweieinhalb Jahre alt, und dass ihre Mama bereits nach sieben Monaten wieder die Rückkehr in den Leistungssport geschafft hatte, spricht Bände über deren Willen.
Qualifiziert ist das deutsche Damenteam seit vergangenem Sommer, als beim World-League-Halbfinale das Ticket gelöst wurde. Die endgültige Nominierung des 18er-Kaders erfolgt im Frühsommer, dennoch gilt es als ausgemacht, dass Bundestrainer Jamilon Mülders auf die technisch hochbegabte Angreiferin nicht verzichten wird, sofern ihr körperlicher Zustand einen Olympiastart zulässt. „Ich hoffe, dass ich Anfang März wieder mit dem Teamtraining beginnen und Anfang April wieder spielen kann“, sagt sie. Den Zentrallehrgang mit dem Nationalteam Ende Februar in Südafrika wird sie verpassen, aber die Bundesligaspiele mit dem UHC und die weiteren Lehrgänge mit der deutschen Auswahl sollten genügen, um in Form zu kommen.
Die besondere Herausforderung besteht indes nicht nur darin, einfach nur fit zu werden, sondern auch, den Alltag zu organisieren. Schließlich ist Lisas Ehemann Valentin Altenburg als Bundestrainer der deutschen Hockeyherren ebenfalls voll in den olympischen Zyklus involviert. Zum Glück können sich die beiden auf ein funktionierendes Familiennetzwerk verlassen, das die Tochter auffängt. Und in Rio, das steht fest, wird Sophie mit Lisas Eltern dabei sein. In der Hoffnung, beide Elternteile in Aktion zu sehen.
Eric Johannesen
In Südamerika war Eric Johannesen noch nie, und auch wenn die Gruselgeschichten, die über die mangelhafte Wasserqualität in der Bucht von Rio de Janeiro verbreitet werden, die Vorfreude nicht gerade anheizen, hat der Spitzenathlet vom Ruderclub Bergedorf große Lust auf seine zweiten Spiele. Er könnte es in Rio ja auch relaxed angehen lassen, immerhin hat er sein Olympiagold 2012 in London schon gewonnen. Aber Eric Johannesen und relaxed, das passt in etwa so gut zusammen wie HSV und Champions League.
Das Programm, das der 27-Jährige abspult, ist straff. Von Mittwoch bis Sonntag trainiert er mit dem 21-köpfigen Leistungskader des Deutschen Ruder-Verbands am Bundesstützpunkt in Dortmund. Die beiden restlichen Tage nutzt er, um in Hamburg neben dem täglichen Athletik- und Kraftprogramm am Olympiastützpunkt in Dulsberg und im Ruderzentrum Allermöhe sein duales Studium in Business Administration an der HSBA voranzutreiben. Von seinem Arbeitgeber, dem Schiffsversicherungsmakler Georg Duncker, wird er vorbildlich unterstützt und für alle Maßnahmen freigestellt. „Anders wäre eine Olympiavorbereitung gar nicht möglich“, sagt er.
Der Deutschland-Achter, dem Johannesen seit 2011 angehört, ist seit dem Silbergewinn bei der WM im September 2015 in Frankreich für Rio qualifiziert. Wer dort tatsächlich im Boot sitzt, entscheidet sich erst bei der letzten Nominierungsrunde des Deutschen Olympischen Sportbundes im Juli. „Allerdings wird der Achter meist im April vor den Weltcups besetzt, und seit ich dabei bin, hat es danach keine Änderungen mehr gegeben“, sagt Johannesen, der einer von vier noch verbliebenen London-Olympiasiegern ist.
Die entscheidenden internen Ausscheidungsrennen finden kurz vor Ostern bei den deutschen Kleinbootmeisterschaften in Köln statt. In einem dreiwöchigen Trainingslager im spanischen Valencia arbeiten die 21 Kaderathleten vom 21. Februar an auf diese Leistungstests hin. „Wenn ich meine Leistung bringe, dann werde ich in Rio dabei sein“, sagt Eric Johannesen, „aber ich muss meine Position immer wieder bestätigen.“ Um das zu schaffen, will er seine persönliche Bestleistung auf dem Ergometer verbessern. 5:48 Minuten für 2000 Meter stehen zu Buche, 5:46 oder schneller sollen es werden, wenn nach dem Trainingslager die Leistungstests anstehen. Damit wäre er geebnet, der Weg nach Rio.