Stade/Hamburg. 400 Meter langer Containerriese havariert nach Ausfall der Ruderanlage. Hamburg fehlen die Geräte, Lage am Freitagmorgen unverändert.
Der Koloss ragt aus dem Wasser und leichtem Nebel, ein halbes Dutzend Schiffe schwirrt ständig um ihn herum. Am Ufer diskutieren Anwohner aus der Gegend den Anblick. „So stelle ich mir die Arche Noah auf dem Berg vor“, sagt die Wirtin eines Hotels. Die Fahrt der „CSCL Indian Ocean“ endete am Mittwoch 25 Kilometer vor Hamburg in einer Havarie – da bis zum Donnerstag alle Befreiungsversuche scheiterten, könnte eines der weltgrößten Containerschiffe noch tagelang am Grund der Elbe feststecken. Auch am Freitagmorgen sagte ein Sprecher des Havariekommandos: "Die Lage ist unverändert." Bisher sei noch unklar, wie die Bergungsarbeiten am Tag weitergingen.
Ausfall der Ruderanlage
Offenbar machte ein Computerfehler das 400 Meter lange Schiff in Sekundenschnelle manövrierunfähig. Um 22.12 Uhr blockierte am Mittwochabend bei Tonne 116 nahe der Insel Lühesand plötzlich das Ruder des Schiffs der Reederei China Shipping, das aus dem britischen Felixstowe auf dem Weg nach Hamburg war. Statt der Elbkrümmung zu folgen, steuerte die „Indian Ocean“ stur geradeaus. „Ein solcher Fehler in der Ruderanlage ist für die Besatzung wie für einen Autofahrer, dem bei mäßigem die Lenkradsperre einrastet“, sagt Ben Lodemann, Ältermann der Lotsenbruderschaft Elbe. „Zum Glück hatten wir altgediente Lotsen an Bord.“
Nach dem Ausfall berieten die Lotsen den Kapitän, der daraufhin entschied, das Schiff mit vollem Rückwärtsschub an den Nordrand der Fahrrinne zu bewegen. Dort ist der Boden sandig und relativ eben. Der Schiffsriese kam offenbar ohne ernsthafte Beschädigung parallel zum Ufer zum Stehen. „Der restliche Schiffsverkehr kann gefahrlos passieren, das ist ein Verdienst der Lotsen“, sagt Jürgen Behm vom Hamburger Wasser- und Schifffahrtsamt. Hätte sich das manövrierunfähige Schiff quer zur Fahrrinne gedreht, hätte dies den Weg in den Hamburger Hafen versperren können.
Voicerekorder und Mittschnitte des Funkverkehrs sichergestellt
Bereits 50 Minuten nach dem Systemausfall erreichten sechs Schlepper die Unfallstelle. Obwohl die Elbe annähernd Hochwasser führt, scheiterte der Versuch, das Schiff freizuschleppen. Die „Indian Ocean“, die erst 2015 vom Stapel lief, wurde für ihre Fahrt zum Eurogate-Terminal nicht voll beladen. Maximal können 19.000 Standardcontainer auf dem 59 Meter breiten Schiff gestapelt werden. Mit aktuell 12,10 Meter Tiefgang hätte sie tideunabhängig die Elbe bis Hamburg passieren können. „Diese Havarie hängt eindeutig nicht mit den Gegebenheiten auf der Elbe, sondern den Eigenarten moderner Schiffe zusammen“, heißt es aus der Hamburger Hafenverwaltung.
Trotz eines zusätzlichen Schleppers und einem noch höheren Wasserstand scheiterte jedoch auch der nächste Freischleppungsversuch am Donnerstagmittag. Die Wasserschutzpolizei begleitete die Aktion mit zwei Booten, über dem festsitzenden Containerriesen kreiste der Polizeihubschrauber „Libelle“. Beamten gingen an Bord und sicherten unter anderem den Voicerekorder. Auch Mitschnitte des Funkverkehrs und die Aufzeichnungen der Radaranlagen stellten die Beamten sicher. „Bisherige Ermittlungen verdichten den Verdacht, dass es zu einem Ausfall der Ruderanlage kam“, sagt Hauptkommissar Andreas Schöpflin.
Im schlimmsten Fall steckt der Containerriese bis nächste Woche fest
Am frühen Donnerstagnachmittag übernahm das Havariekommando mit Sitz in Cuxhaven die Gesamteinsatzleitung des Einsatzes. „Wir sind in Kontakt mit der Reederei des Containerschiffes und erarbeiten derzeit ein Bergungskonzept, um die ,Indian Ocean’ aus ihrer Situation zu befreien“, so Sprecher Michael Friedrich. Ein Peilschiff wurde eingesetzt, um die exakte Lage des Schiffes auf dem Flussbett aufzeichnen. Zusätzlich wurde ein Spülbagger angefordert. Am späten Donnerstagabend sollte bei erneut günstigem Wasserstand ein weiterer Freischleppversuch mit derselben Schiffsstärke unternommen werden.
Die „Indian Ocean“ ist das größte Schiff, das jemals auf der Elbe havarierte – im ungünstigsten Fall könnte der Frachter noch bis Mitte der kommenden Woche vor Hamburg feststecken. Ursprünglich sollte der Frachter am Sonnabend von Hamburg in Richtung Rotterdam ablegen.
Günstige Bedingungen werden erst für kommenden Mittwoch vorhergesagt
Die enorme Größe erschwert die Bergung des Schiffes. „Es müsste die Containerlast vermindert werden, dazu wäre zunächst ein sehr großer Schwimmkran nötig“, so Behm vom Wasser- und Schifffahrtsamt. Die oberen Containerreihen an Bord der „Indian Ocean“ lägen etwa 50 Meter oberhalb der Wasserkante. Entsprechendes Gerät ist in Hamburg aber kaum verfügbar. Hinter vorgehaltener Hand haben Terminalbetreiber in der Vergangenheit bereits mehrfach kritisiert, dass es kein richtiges Havarie-Konzept in Hamburg gibt.
Sehr günstige Bedingungen werden von Experten erst für den kommenden Mittwoch vorhergesagt. Dann wird eine höhere Flut erwartet, wie es bei der Wasserstandvorhersage des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie heißt. Grund ist die Mondkonstellation, die in der kommenden Woche für größere Unterschiede zwischen Hoch- und Niedrigwasser sorgt.
Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) lobte die besonnene Reaktion auf die Havarie. „Die zuständigen Behörden haben die Situation jederzeit unter Kontrolle gehabt“, sagte Horch. „Die Havariegefahr wächst mit der Größe der Schiffe“, kritisierte dagegen das Aktionsbündnis Lebendige Tideelbe aus BUND, Nabu und WWF in einer Mitteilung. Die FDP-Bürgerschaftsfraktion will eine Kleine Anfrage an den Senat zu der Havarie stellen.