Hamburg. Unrentable Filialen, üppige Managerbezüge und Markendebakel: Die Hamburger Modekette Tom Tailor plagen Probleme in XXL.

Uwe Schröder spielt gerne Polo. An 17 Turnieren hat das Team des 74-jährigen Hamburgers allein im vergangenen Jahr teilgenommen. Zusammen mit seiner Tochter Naomi war er etwa beim Polo Cup auf Mallorca dabei oder auch bei Turnieren im französischen Chantilly. Stets mit freundlicher Unterstützung des Unternehmens, das Schröder selbst in den 1960er-Jahren gegründet hat und dessen Aufsichtsratsvorsitzender er bis heute ist: Tom Tailor. „Hoka Hey!“, wünschte die Hamburger Modekette ihrem Chefkontrolleur auf der Internetseite.

Über Jahre hat Tom Tailor das Polo Team gesponsert, seit 2010 flossen mindestens 1,7 Millionen Euro an die Schröder Consulting GmbH, die entsprechende Turniere veranstaltet. Parallel dazu wurde 2012 die Marke Tom Tailor Polo Team aufgebaut, mit der der Konzern eine besonders betuchte Klientel ansprechen wollte. Eine „Premium Lifestyle Marke“ im „individuellen und unkomplizierten East-Coast-Stil“ und „mit sehr viel Liebe zum Detail entworfenen Emblemen“, wie es in blumigem Marketingstil heißt.

Die Kette ist zwar gewachsen aber damit auch die Kosten

Funktioniert hat das Konzept nicht, die Kunden konnten oder wollten keinen Unterschied erkennen zwischen der Premiummarke und jenen Polohemden, Jacken und Pullovern, die Tom Tailor sonst zu günstigeren Preisen im Angebot hat. Daher wird das Label im Sommer eingestellt – die Unterstützung für das reale Polo Team ist schon Ende 2015 ausgelaufen.

Das Debakel mit der Premiummarke ist nur ein Beispiel dafür, was in dem Hamburger Unternehmen in den vergangenen Jahren schiefgelaufen ist. Durch immer neue eigene Filialen und die Übernahme des Konkurrenten Bonita ist die Kette zwar stark gewachsen, doch zugleich liefen auch die Kosten aus dem Ruder. In den ersten neun Monaten 2015 stand ein Umsatz von fast 690 Millionen Euro, unter dem Strich aber auch ein Verlust von 10,3 Millionen Euro.

An der Börse haben die Anleger schon lange das Vertrauen in den laut Eigenwerbung „attraktiven Wachstumswert“ verloren: Der Kurs der Papiere ist im Vergleich zum Jahreshöchststand im März 2015 um zwei Drittel eingebrochen und schwankt derzeit zwischen vier und fünf Euro. Aufgrund der zu geringen Marktkapitalisierung flog die Aktie im Dezember auch aus dem kleinsten DAX-Index, dem SDAX.

Nun befinden sich die Hamburger mit ihren roten Zahlen und dem schwachen Aktienkurs in durchaus prominenter Gesellschaft. Nahezu alle börsennotierten, deutschen Modemarken stehen unter Druck. Das einstige Toplabel Esprit aus Ratingen ist wegen einer ungesunden Expansionspolitik und mangelnder Qualität schon seit Jahren in der Krise, die Aktie mit knapp einem Euro nur noch ein Pennystock. Der einstige Börsenliebling Gerry Weber schockte Investoren mit einer Gewinnwarnung und hat im vergangenen Jahr noch mehr an Wert verloren als Tom Tailor.

Und der Börsengang des Modekonzerns Steilmann geriet vollends zum Trauerspiel. Die Kette musste die Zahl der an die Börse gebrachten Papiere deutlich reduzieren und auch beim Preis am untersten Ende der festgelegten Spanne bleiben. Selbst von diesen bescheidenen 3,50 Euro ist das Papier heute mit 2,70 Euro weit entfernt.

Bonita bringt neue Zielgruppe aber keine erfolgreichen Ergebnisse

Was die Unternehmen plagt, ist der extrem harte und ruinöse Wettbewerb im mittleren Preissegment. „Tom Tailor schwimmt mit vielen anderen deutschen Marken wie Esprit oder Cecil in einem Haifischbecken“, sagt Expertin Ulla Ertelt von HML Modemarketing. „Günstigere Anbieter wie Hennes & Mauritz drängen schon seit Jahren in dieses Segment hinein“, so Ertelt. Selbst Discountketten wie Takko seien dabei, sich höherwertig zu positionieren. Die Kunden kauften heute ganz selbstverständlich einzelne Kleidungsstücke bei Tchibo oder gar Lidl und kombinierten diese mit Markenartikeln. „Die Bedeutung der Marken sinkt, und die Abgrenzung fällt immer schwerer, weil letztlich alle Jeans, Pullis, Blusen und Jacken im Casual Style anbieten.“

Um den Bedeutungsverlust aufzufangen, haben die Markenhersteller in den vergangenen Jahren eine beispiellose Expansionspolitik betrieben. Ganz vorn mit dabei: Tom Tailor. Jahr für Jahr verkündete Vorstandschef Dieter Holzer neue Rekorde beim Ausbau des Filialnetzes. So hat sich im Vergleich zu Dezember 2010 allein die Zahl der in Eigenregie geführten Tom-Tailor-Läden von 158 auf 437 Ende September 2015 nahezu verdreifacht. Den eigentlichen Sprung im Filialnetz gab es aber im Sommer 2012, als die Hamburger den Konkurrenten Bonita mit mehr als 960 Läden schluckten. Dieser Übernahme ist es zu verdanken, dass das gesamte Netz nun 1460 in Eigenregie geführte Geschäfte umfasst.

Bonita wendet sich im Gegensatz zur einstigen Männermarke Tom Tailor vor allem an Frauen von 40 aufwärts und soll daher dazu beitragen, die Zielgruppe des Modekonzerns deutlich zu erweitern. Doch die Marke und die Läden erwiesen sich als malader als gedacht, die Sanierung dauerte länger als erwartet. Bis heute ist Vorstandschef Holzer den Beweis schuldig geblieben, dass die Marke den Konzern voranbringt. Die letzten Umsatzzahlen waren um fast vier Prozent rückläufig, obwohl die Zahl der Geschäfte stieg.

Positiv ausgewirkt hat sich der massive Expansionskurs vor allem auf den Geldbeutel des Vorstandsvorsitzenden. Sein Gehalt bemaß sich in den vergangenen Jahren nämlich am Umsatz und am operativen Ergebnis Ebitda, aus dem Belastungen wie Zinsen, Steuern und Abschreibungen herausgerechnet werden. Die entsprechenden Boni bescherten ihm 2014 Gesamteinkünfte von gut 4,5 Millionen Euro. Das ist mehr als Chefs von DAX-Unternehmen wie Nivea-Hersteller Beiersdorf bekommen. Der tatsächliche Gewinn von Tom Tailor war in 2014 ausgesprochen übersichtlich. Bei 932 Millionen Euro Umsatz blieben als Periodenergebnis unterm Strich 10,8 Millionen übrig. Von „Spendierhosen“ schrieb das „Manager Magazin“ und befand, der Chef, der sich vom einfachen Textilkaufmann hocharbeitete, habe jede Bodenhaftung verloren.

Bis zu 5 Millionen Euro sollen beim Personal eingespart werden

Immerhin: Für das vergangene Jahr dürften sich die Bezüge Holzers „nur“ noch auf weniger als eine Million Euro belaufen, wie eine Unternehmenssprecherin dem Abendblatt sagte. Auf Basis des quantifizierbaren Unternehmenserfolgs im Geschäftsjahr 2015 verzichte der Konzernchef sogar auf 25 Prozent seines vertraglichen Gehaltsanspruchs. Die Vergütung Holzers spiegele ferner „Änderungen der Kompensationsstruktur“ wider, die im Rahmen der Verlängerung seines Dienstvertrages im vergangenen Jahr umgesetzt worden seien. Sein Vertrag läuft nun bis 2020.

Die neue Bescheidenheit des Tom-Tailor-Chefs ist auch durch das Sparprogramm zu erklären, dass er selbst im November aufgelegt hat und durch das die Profitabilität und Effizienz des Konzerns gesteigert werden soll. Unrentable Filialen sollen geschlossen werden, nur noch maximal 30 werden in 2016 neu eröffnet – nach 115 in 2015. Unter dem Namen „Core“ will sich der Konzern auf seine Kernmarken besinnen. Daher auch die Einstellung der Marke Polo Team. Daneben wird auch das Label Tom Tailor Contemporary Men aufgegeben, das sich zu sehr mit der Hauptmarke doppelte.

Bis zu fünf Millionen Euro sollen allein beim Personal eingespart werden, insgesamt geht der Vorstandschef davon aus, dass sich die Kosten um bis zu zehn Millionen Euro jährlich senken lassen, wobei die vollen Auswirkungen des Programms 2018 spürbar werden sollen. All das wird Arbeitsplätze kosten. Die Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Sozialplan laufen derzeit noch, ohne betriebsbedingte Kündigungen wird es aber nach Abendblatt-Informationen nicht abgehen. Ohnehin beziehen sich die Gespräche ausschließlich auf die Hamburger Zentrale, da nur sie über eine Arbeitnehmervertretung verfügt.

In den Tom-Tailor-Filialen gibt es hingegen keinen Betriebsrat, ein Gremium für den gesamten Konzern ebenfalls nicht. Im Aufsichtsrat sitzen nur Vertreter der Kapitalgeber und der Arbeitgeberseite.

Deutlich größer ist in dem Kon­trollgremium zuletzt der Einfluss des Hauptaktionärs von Tom Tailor, Fosun, geworden. Die Chinesen sind gerade dabei, ihre Anteile auf bis zu 30 Prozent zu erhöhen, wie der Konzern aus Shanghai selbst Anfang Januar mitteilte. Die Gruppe nutzt ganz offensichtlich den derzeit niedrigen Kurs für eine Schnäppchentour. Derzeit liegt Fosun mit 24,97 Prozent noch minimal unter der Sperrminorität von 25 Prozent, mit der sich wichtige grundsätzliche Entscheidungen im Konzern per Veto blockieren lassen, und besitzt eine Kaufoption für weitere 4,5 Prozent. Wird die Schwelle von 30 Prozent überschritten, dann müssten die Chinesen den übrigen Anteilseignern ein offizielles Übernahmeangebot vorlegen. Ob sie das wollen, ist nicht ganz klar.

Der Hauptaktionär, der plötzlich verschwunden war

Ohnehin ist mit Fosun im Jahr 2014 ein eher undurchsichtiger Partner bei den Hamburgern eingestiegen. Hinter dem Investmentkonglomerat steht der Milliardär Guo Guangchang, der aufgrund seiner diversen Beteiligungen auch gern als der Warren Buffett Chinas bezeichnet wird. In Europa kaufte er schon Anteile am Tourismusunternehmen Club Med, der griechischen Modemarke Folli Follie und übernahm den portugiesischen Versicherer Felidae. Großes Interesse hat er offenbar auch an der Finanzbranche, zog im Übernahmekampf um die Bank BHF Kleinwort Benson zuletzt allerdings den Kürzeren.

Im Dezember schockte Guo Guangchang die Finanzwelt, weil er plötzlich über mehrere Tage hinweg verschwand. Wo genau er abgeblieben war, wusste offenbar auch in seinem Konzern niemand, der Aktienkurs von Fosun gab kräftig nach, zeitweilig wurde der Handel mit den Papieren sogar ausgesetzt. Bei Tom Tailor gab es ebenfalls Unruhe. Offensichtlich hatten die chinesischen Behörden den Investor abgeholt, um den Milliardär im Zuge von Korruptionsermittlungen zu befragen. Vier Tage nach seinem Verschwinden war Guo Guangchang ebenso plötzlich wieder da und sprach auf der Hauptversammlung von Fosun über seine weiteren weltweiten Expansionspläne. Über seinen Verbleib verlor der Milliardär kein Wort.