Hamburg. Thalia-Intendant Joachim Lux und Dramaturgin Sandra Küpper über Vielfalt der Inszenierugen bei Lessingtagen.Start ist am 23. Januar.

17 arabische Antigones, ein größenwahnsinniges verspieltes Bildertheater über eine Landkommune, das Leben im Schmelztiegel Neukölln und Tanz aus Südafrika. Allein diese vier Programmpunkte bei den kommenden Lessingtagen am Thalia Theater zeugen von großer Vielfalt. Migration, interkulturelle Gesellschaft und die Frage des Zusammenlebens unterschiedlicher Religionen sind nicht erst seit gestern vordringliche Themen in der Gesellschaft. Vor sieben Jahren hat Thalia-Intendant Joachim Lux zum ersten Mal das Festival „Um alles in der Welt – Lessingtage“ am Thalia Theater initiiert und aus dem Stand sein Publikum erobert.

Seither wurde die Welt von Jahr zu Jahr unübersichtlicher und krisenhafter, eine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema erscheint gebotener denn je. So, wie sie schon der Hamburger Dichter Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) betrieb, der für die Ideen der Aufklärung und des Toleranzgedankens warb, nicht zuletzt mit seiner berühmten Ringparabel in „Nathan der Weise“.

Lux widerspricht Vorwurf der Einseitigkeit

Vom 23. Januar bis zum 7. Februar geht nun die siebte Ausgabe des Festivals über die Bühne. Erstmals wird es nicht mit dem Vortrag einer namhaften intellektuellen Persönlichkeit eröffnet, sondern mit einem Bürgergipfel (24.1., 11 Uhr, Eintritt frei, Karten an der Tageskasse).

„Wenn der Bürgergipfel ein Ziel hat, dann ein bescheidenes und großes zugleich: nämlich endlich auf Augenhöhe miteinander ins Gespräch zu kommen, Kontakt aufzunehmen, Gemeinsamkeiten zu entdecken, aber auch Unterschiede und Grenzen“, sagt Joachim Lux. „Die Menschen leben hier, dazu müssen wir ein Verhältnis entwickeln, und weil sie bei uns leben, müssen auch sie ein Verhältnis zu uns entwickeln.“ Das sei die Qualität des Stadttheaters. „Wenn ein Theater als Theater der Stadt und für die Stadt langfristig eine Berechtigung haben will, muss es solche Dinge initiieren.“

Dazu gehören auch die unbequemen Fragen. Im Zuge der Produktions-Absage des lettischen Regisseurs Alvis Hermanis hatte dieser dem Thalia Theater vorgeworfen, nicht offen für andere Meinungen zu sein. Auch manche Kommentatoren warfen dem Theater Missionarwillen und Einseitigkeit vor. „Man muss sagen dürfen, wovor man Angst hat und warum. Aber noch wesentlicher ist es, das Fremde als Chance und Bereicherung zu begreifen, für uns alle, und also auch für die Kunst“, so Lux. „Das Wichtigste ist, dass wir entkrampfter und offener mit dem Thema umgehen, und zwar in Gesamteuropa.“

Vielfalt der Haltungen im Programm

Gleichzeitig verwahrt er sich gegen den Vorwurf der Einseitigkeit, was die politische Haltung des Theaters angeht. „Theater ist ein gesellschaftliches Gebilde, ein offener Raum für verschiedenste Positionen. Wir rufen gesellschaftliche Fragen auf, aber im Kern über die künstlerische Arbeit. Wenn wir uns dabei sozial oder humanitär engagieren, entsteht dies aus unserem Verständnis von künstlerischer Arbeit am Theater. Wir machen weder Sozialarbeit, noch sind wir simple politische Agitatoren“, so Lux, „aber wir sind dennoch ein gesellschaftspolitischer Ort. Theoretisch klingt das kompliziert, praktisch ist es ganz einfach: So haben wir zum Beispiel eine Embassy of Hope gegründet oder seit Spielzeitbeginn über 120.000 Euro für die Flüchtlinge gesammelt.“

Eine Inszenierung aber wie „Die Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek, die das Thema aufgreift, sei aber ganz klar Aufgabe des Stadttheaters. Thalia-Dramaturgin und Lessingtage-Kuratorin Sandra Küpper: „Wir laden ja nicht tendenziös Gastspiele aus einer politischen Richtung ein. Wir wollen eine Plattform schaffen für unterschiedliche Haltungen. Eine politische Öffnung ist uns wichtig. Milo Rau zum Beispiel vertritt in ‚Mitleid’ die provozierende These, dass wir in Europa gerade Mitleid deshalb so stark verspüren, weil wir die Schuld vom Holocaust auszumerzen versuchen.“

Die Skeptiker eines „neuen Wir“ sehen beide im Programm ebenfalls gut aufgehoben. Küpper: „Die Sorgen einiger Bürger werden etwa in den ‚Schutzbefohlenen‘ aufgegriffen, aber auch in ‚Früchte des Zorns‘ und auch in der ‚Langen Nacht der Weltreligionen‘, wo wir zum Thema ‚Prophetie und Gerechtigkeit‘ die Frage danach stellen, inwieweit Missbrauch im Namen der Religion unterwegs ist.“

Viele Produktionen entstehen aus Jahresarbeit

Bei Lux und Küpper selbst überwiegt eindeutig nicht die Sorge. Sie sehen die Entwicklung eher als Chance, als Ausdruck einer Hoffnung, wollen sich aber nicht parteipolitisch vereinnahmt sehen. „Es geht nicht um ein Lebensgefühl, das da lautet ‚Wir sind alle links und gehen in eine Richtung‘. Das fände ich uninteressant“, sagt Lux.

Die Lessingtage, vom Thalia Theater neben der laufenden jährlichen Arbeit gestemmt, kommt im Vergleich zu großen Festivals wie etwa den Wiener Festwochen mit einem ungleich schmaleren Etat von 250.000 Euro aus.

Viele Produktionen entstehen aus der Jahresarbeit und liefern für diese wiederum Impulse. Zusammenarbeiten mit dem Teater NO99 in Tallinn sind so entstanden, und auch die nun abgesagte Inszenierung von Alvis Hermanis fußte auf einer früheren Festivaleinladung. Joachim Lux und Sandra Küpper pflegen ein eigenes Netzwerk aus Künstlern, mit denen sie in ständigem Dialog stehen.

Die Vorstellungen in der Gaußstraße sind bereits stark nachgefragt

Die Lust der Hamburger auf die Lessingtage ist jetzt schon groß. Einige Inszenierungen in der Gaußstraße sind bereits ausverkauft, darunter Yael Ronens „The Situation“ und „Die Masse“ des Chinesen Tang Wai Kit. Für die „Antigone of Shatila“ des libanesischen Regisseurs Omar Abusaada wurde eine zusätzliche Nachmittagsvorstellung angesetzt.

Hinter vielen der Gastspiele vermutet man eher härtere Theaterkost. „Das kommt immer auf den Blickwinkel an“, sagt Sandra Küpper. „‚Abschaum‘ etwa beschreibt eine Gesellschaft am Ende, die versucht, irgendwo neue Hoffnung zu schöpfen, das tut sie aber mit viel tragikomischem Humor.“

Eine interessante Neuentdeckung verspricht die Begegnung mit dem jungen belgischen Kollektiv FC Bergman, das erstmals in Hamburg zu sehen ist und mit „300 el x 50 el x 30 el“ einen großen Bilderreigen zeigt. „Das ist im Kern großes Geschichtenerzählen, gleichzeitig absurd-komisch, tragisch und clever dazu. Alles, was man als Zuschauer braucht, ist die Lust, Dinge zu entdecken und in Bilder einzutauchen“, sagt Küpper. Das gilt für das ganze Festival. Aber die vergangenen Ausgaben haben es gezeigt: Die Hamburger nehmen die Herausforderung an.

„Um alles in der Welt – Lessingtage 2016
23.1. bis 7.2., Programm und Karten 10,- bis 52,- unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de