Hamburg. Klaus Richter sprach mit dem Abendblatt über den Hoffnungsträger A320neo und die große Bedeutung des Werks auf Finkenwerder im Konzern.
Airbus hat ein Rekordjahr hinter sich. Mit 635 Flugzeugen wurden 2015 so viele Maschinen ausgeliefert wie nie zuvor. In diesem Jahr soll zum 14. Mal in Folge die Zahl der produzierten Jets steigen – vor allem durch den Hochlauf der A320-Produktion, bei der das Werk auf Finkenwerder das wichtigste im Konzern ist. Das Abendblatt sprach mit dem Deutschland-Chef Klaus Richter über die Auswirkungen auf den Standort, die Jobentwicklung beim größten Arbeitgeber in Hamburg, die Konkurrenz mit den Werken in China und den USA – sowie die verspätete Auslieferung des Hoffnungsträgers A320neo.
Hamburger Abendblatt: Herr Richter, Sie sind Musikfan: Wenn Sie derzeit an den A320neo denken, stimmen Sie einen Blues oder einen Partyhit an?
Klaus Richter: Ganz klar einen Hit. Ich muss da an Pharrell Williams’ Hit „Happy“ denken.
Die Verschiebung der Auslieferung von Ende 2015 auf diesen Januar dürfte Sie aber nicht so glücklich gemacht haben?
Richter: Wir haben bei der Programmauflage einen sehr frühen Neo-Termin versprochen und sind sehr froh, dass die Luftfahrtbehörden den Jet im vergangenen Herbst zertifiziert haben. Das war ein heißer Ritt. Die Auslieferung des Jets an Lufthansa in diesem Januar ist sicher. Es sind nur noch ein paar administrative Aspekte in der Dokumentation abzuarbeiten. In den ersten Monaten 2016 werden wir an zwei Kunden ausliefern. Dann fahren wir langsam die Produktionsrate hoch. Langfristig bringt uns das A320neo-Programm ordentlich Auftrieb.
Haben Sie denn mit Problemen beim Triebwerkhersteller Pratt & Whitney gerechnet?
Richter: Wir waren schon angespannt, weil das eine Kernkomponente des Programms ist. Pratt & Whitney wagt einen großen Schritt, die Triebwerke haben einen dramatisch höheren Wirkungsgrad. Dass es dabei Geburtswehen gibt, verwundert nicht. Aber der Erfolg mit fast 4500 bestellten A320neo-Jets spricht für sich. Die Einsparungen von 15 Prozent beim Spritverbrauch sind jetzt schon da. Und der Lärm wird deutlich reduziert, dank der revolutionären Technik ist er nun eher vergleichbar mit einem Gebläse als einem Düsenjet. Das ist eine fundamentale Verbesserung auch für Lärmgeplagte in den Einflugschneisen.
Die Produktionsrate der A320-Familie soll von derzeit 44 Stück auf 60 pro Monat Mitte 2019 steigen. Erwarten Sie Probleme bei den Zulieferern?
Richter: Der Ratenhochlauf bei dem Programm ist moderat. Umgerechnet sind es etwa fünf Prozent pro Jahr. Das ist für Zulieferer eine Herausforderung, aber kein unüberwindbares Problem. Wir kontrollieren die Kette intensiv, sichern teils auch mit einem zweiten Lieferanten ab. Ich sehe keine Probleme. Ein besonderes Augenmerk im Hochlauf liegt auf den Neo-Triebwerken.
Wie viel kaufen Sie denn bei Zulieferern in der Metropolregion ein?
Richter: Traditionell kommen viele Teile aus Hamburg. 2015 haben wir bei Firmen in der Hansestadt für knapp eine Milliarde Euro Waren und Dienstleistungen gekauft. Mit den benachbarten Bundesländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern waren es fast zwei Milliarden Euro. Insgesamt unterhalten wir zu mehreren Hundert Firmen in der Region Lieferbeziehungen.
Hamburg bekommt im Zuge des Produktionshochlaufs eine vierte Endmontageline. Wie sieht der Zeitplan aus?
Richter: Spätestens Anfang 2018 soll sie in Betrieb sein. Wenn wir Airbus-weit 60 A320-Jets pro Monat fertigen wollen, brauchen wir die vierte Endmontagelinie. Das manifestiert auch die Führungsrolle Hamburgs beim A320-Programm, das ein Riesenunterfangen ist, an dem weltweit 200.000 Menschen arbeiten. Im Prinzip machen wir das ganze Wachstum in Hamburg. Die vierte Endmontagelinie wird die modernste im Konzern sein und hochautomatisiert. Beispielsweise werden bei der sogenannten Hochzeit von Rumpf und Flügeln hochmoderne und automatisierte Verfahren eingesetzt, die höhere Qualität bei viel weniger Aufwand erlauben. Das macht es auch für die Mitarbeiter dort einfacher.
Wie wichtig ist Hamburg denn derzeit als Auslieferungszentrum?
Richter: Im vergangenen Jahr wurden auf Finkenwerder 283 der insgesamt 635 Flugzeuge ausgeliefert. Der größte Teil mit 262 Stück gehörte zur A320-Familie, von der konzernweit 491 Jets an die Kunden gingen. Dazu kamen noch 21 von insgesamt 27 A380-Maschinen, bei denen die Airlines aus den Golfstaaten wichtige Abnehmer sind. 2016 wollen wir Airbus-weit mindestens 650 Flieger ausliefern – mit wesentlicher Unterstützung von Hamburg. Der Standort hat bei den Auslieferungen sehr viel zu tun.
In der Abendblatt-Umfrage zu den größten Unternehmen haben Sie für 2015 aber 200 Beschäftigte weniger gemeldet als im Vorjahr. Wie kommt das? Und wie geht es weiter?
Richter: Diese Größe liegt bei 12.500 Mitarbeitern in Hamburg im Rahmen der normalen, statistischen Fluktuation. Aber natürlich gibt es vor allem im Entwicklungsbereich Veränderungen, nachdem die Arbeit am A350-Programm nahezu abgeschlossen ist. In dem Bereich wird es einen deutlichen Rückgang geben. Grundsätzlich gehe ich aber davon aus, dass die Personalgröße in Hamburg stabil bleibt. In der A320-Fertigung brauchen wir einige Hundert Mitarbeiter mehr, die aus den A380- und A330-Programmen hinüberwechseln können. Letzteres fahren wir ja 2016 von der ursprünglichen Rate zehn auf sechs zurück, um die Produktion auf den A330neo umzustellen.
Der Zukunftstarifvertrag für Hamburg beinhaltet bis 2020 Beschäftigungssicherung und unbefristete Übernahme der Auszubildenden. In diesem Jahr haben Sie als Unternehmen ein einmaliges Kündigungsrecht. Wollen Sie es nutzen?
Richter: Ich kann es nicht kategorisch ausschließen, aber wir haben es nicht vor. Wir haben keinen Grund, das Kriegsbeil auszugraben. An einem guten Verhältnis mit den Beschäftigten ist uns sehr gelegen. Wir haben bis 2020 angesichts der Auftragslage eine sehr stabile Situation.
Werden Sie einen Teil der 2000 Leiharbeiter in Hamburg fest einstellen?
Richter: In der Vergangenheit haben wir Zeitarbeiter übernommen, wenn wir deren Know-how nicht verlieren wollten. Das werden wir auch künftig sehr punktuell so handhaben, wenn gute Leute auf offene Stellen passen. Die systematische Übernahme von Leiharbeitern ist aber nicht geplant.
Seit 2008 gibt es ein Endmontage-Werk in Tianjin (China), in diesem Jahr soll der erste in Mobile (USA) zusammengebaute A320-Flieger starten. Gefährdet das nicht Arbeitsplätze in Deutschland?
Richter: Ganz im Gegenteil, es hat einen positiven Effekt. Die Teile werden in Europa hergestellt. An der gesamten Wertschöpfung des Fliegers macht die Endmontage nur etwa drei Prozent aus. Für die Beschäftigung gibt es sogar einen Hebeleffekt: Ein Arbeitsplatz in China oder den USA sichert drei bis vier in Europa. Ein Beispiel: Künftig soll in einem neuen Werk in Tianjin der Langstreckenflieger A330 seine Kabine erhalten, lackiert und ausgeliefert werden. Allein wegen dieser Standortentscheidung haben die Chinesen bei uns jüngst 75 dieser Maschinen bestellt. Der Markt dort wird auf das Dreifache geschätzt. Der A330 ist der ideale Flieger für Land und Leute, er ist vergleichsweise günstig und bietet für die Zukunft viel Potenzial. Auch für die Neo-Version wird es sicherlich Aufträge geben. Das ist eine Win-win-Situation. Wir müssen mit den Endmontagen dorthin, wo wir großes Marktpotenzial sehen – wie in China und den USA.
Sie sind Deutschland-Chef, haben Ihren Sitz aber in der Konzernzentrale im französischen Toulouse. Ist das nicht etwas schwierig?
Richter: Zunächst einmal bin ich jede Woche ein bis zwei Tage in der Bundesrepublik. Wenn Sie etwas Gutes für Airbus in Deutschland tun wollen, müssen Sie in der Zentrale in Toulouse sitzen. Dort werden die Entscheidungen getroffen. Dort kann ich die Stärken vertreten, die die Standorte hierzulande bieten. Und das sind viele: das A320-Programm, die konzernweit führenden Kompetenzen bei Kabinenausstattung und Kohlefaserverbundwerkstoffen, das 3-D-Drucken. Diese Technologie ermöglicht massive Gewichtsreduzierungen, die in keiner Branche so wichtig sind wie in der Luftfahrt. Darum werden wir das 3-D-Drucken weiter stark vorantreiben. Meine Aufgabe ist es, die deutschen Standorte mit Innovationen und Effizienz fit für die Zukunft zu machen.