Hamburg. Nach dem Ende vieler Sanktionen könnte die Stadt wieder zum Zentrum des Handels mit dem muslimischen Staat werden.

Bei der Deutsch-Iranischen Handelskammer an der Großen Reichenstraße in Hamburg-Altstadt klingelt das Telefon in diesen Tagen sehr viel häufiger als sonst, der E-Mail-Eingang hat auch zugelegt. „Wir freuen uns über das große Interesse von Firmen am iranischen Markt“, sagt Geschäftsführer Michael Tockuss.

Nur einige Steinwürfe entfernt liegt die Zentrale der Europäisch-Iranischen Handelsbank. Sie hat Anfang der Woche ihre Internetseite überarbeitet. Die Bank biete ihren Kunden wieder „die gesamte Produktpalette“ an, heißt es jetzt dort. Die Personalabteilung bittet um Zusendung aussagekräftiger Bewerbungsunterlagen. Und auch die Hamburger Niederlassung der staatlichen Bank Melli Iran an der Holzbrücke verspricht in ihrem Internetauftritt, schon sehr bald wieder mit Produkten und Dienstleistungen zur Verfügung zu stehen.

Die Aufhebung eines großen Teils der Wirtschaftssanktionen der EU und der USA gegen die islamische Republik am Wochenende weckt in der deutschen Wirtschaft die schönsten Erwartungen. Siemens hatte schon kurz nach dem Jahreswechsel Absichtserklärungen über die Modernisierung der iranischen Eisenbahn unterzeichnet, der Autobauer Daimler kündigte am Montag an, man wolle jetzt voll in den iranischen Markt einsteigen. Und auch in Hamburg gibt es große Hoffnungen. „Im Iran liegen immense Chancen für die deutsche Wirtschaft, und Hamburg sollte die Möglichkeit nutzen, ganz vorn dabei zu sein“, sagt Thomas Wülfing, Mitgründer der Hamburger Wirtschaftskanzlei Wülfing Zeuner Rechel (WZR). Er ist seit einer Woche zurück von der Reise einer Wirtschaftsdelegation um Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in den Iran.

Mehr als 350 Unternehmen in derHansestadt sind in dem Land engagiert

Und auch Corinna Nienstedt, Leiterin des Geschäftsbereichs International bei der Handelskammer Hamburg sagt: „Der Iran ist eine Chance für Hamburg.“ Nach dem Wegfall eines großen Teils der Sanktionen könne die Hamburger Wirtschaft wieder an ihre traditionelle Rolle als wichtigste Drehscheibe für den deutschen Iran-Handel anknüpfen. Die Voraussetzungen dafür, sagt Nienstedt, seien gut. Mehr als 350 in Hamburg ansässige Unternehmen haben nach Erkenntnissen der Kammer Geschäftsbeziehungen in den Iran, mehr als 500 Firmen in der Stadt werden von iranischstämmigen Geschäftsleuten geführt. Und: In Hamburg leben annähernd 20.000 Iraner oder iranischstämmige Menschen. Nach London hat die Hansestadt die zweitgrößte iranische Gemeinde in Europa.

Von den neuen Chancen könnten nach Nienstedts Einschätzung vor allem Wirtschaftssektoren profitieren, die gerade in Hamburg stark sind: Der Außenhandel, Hafen und Speditionen, die Flugzeugindustrie, die Gesundheitswirtschaft und auch die Branche der erneuerbaren Energien. Das sieht Wirtschaftsanwalt Wülfing genauso. „In vielen technischen Bereichen liegt der Iran auch wegen der Sanktionen teils um Jahrzehnte zurück“, sagt er. Doch es gelte nicht nur, den Nachholbedarf – etwa in Krankenhäusern – auszugleichen, sondern auch neue Projekte zu begleiten. „Am Flughafen von Teheran ist eine riesige Freihandelszone geplant, ebenso an der Küste nahe der Grenze zu Pakistan. Hamburger Unternehmen sollten versuchen, sich dort an die Spitze zu setzen.“

Corinna Nienstedt
von der
Handelskammer
Hamburg sieht gute
Möglichkeiten,
warnt aber vor
Euphorie
Corinna Nienstedt von der Handelskammer Hamburg sieht gute Möglichkeiten, warnt aber vor Euphorie © HA | Andreas Laible

Die Vorbereitungen zur Rückkehr auf den iranischen Markt laufen bereits seit Monaten, teils bereits seit Jahren. So wuchsen 2014 die deutschen Exporte in den Iran bereits um mehr als 30 Prozent auf 2,4 Milliarden Euro. In Hamburg war die Steigerung noch deutlich größer. 2013 wurden Waren im Wert von 32,8 Millionen Euro aus der Hansestadt in den Iran ausgeführt, 2014 betrug der Wert bereits knapp 129 Millionen Euro. Michael Tockuss von der Deutsch-Iranischen Handelskammer weiß: „Auch Hamburger Unternehmen exportieren seit 2014 wieder große Mengen Weizen in den Iran.“ Das war zwar nie verboten, doch galten Geschäfte mit dem Land in vielen Branchen als nicht opportun. Das ist bereits seit geraumer Zeit anders.

Die Hamburger Wirtschaftskanzlei WZR hat schon eine Niederlassung in Teheran

So hat die Wirtschaftskanzlei WZR im April 2015 eine Niederlassung in Teheran eröffnet. Sie berät gemeinsam mit iranischen Partnern Firmen, die sich im Land engagieren wollen. „Die Nachfrage ist groß“, sagt Wülfing. Und als die Hamburger Handelskammer vor unlängst eine Informationsveranstaltung zur Anbahnung von Geschäften im Iran anbot, kamen 140 Firmen.

So einmütig wie die Fachleute die großen Chancen betonen, so einmütig warnen sie vor übersteigerten Erwartungen. „Die Tür ist geöffnet, aber es gibt keinen Anlass zur Euphorie“, sagt Nienstedt. Nicht alle Sanktionen seien aufgehoben, die USA hätten weiter spezielle Restriktionen und deshalb seien insbesondere die großen deutschen Banken bei der Finanzierung von Iran-Geschäften weiter vorsichtig. Sie fürchten Probleme in den USA. Auch Michael Tockuss betont: „Man darf jetzt nicht alles blind in den Iran liefern.“ Und der Ölpreisverfall schränke die Dynamik auf dem neuen Markt derzeit ein. Firmen, die jetzt mit dem Iran ins Geschäft kommen wollten rät er zu einer „längerfristigen Perspektive“.