Trotz des Atom-Deals mit dem Iran besteht für den Westen kein Grund zur Euphorie

Man kann den Atom-Deal mit dem Iran getrost als den größten politischen Erfolg im Nahen Osten seit Jahrzehnten feiern. Das hartnäckige diplomatische Fingerhakeln hat sich ausgezahlt. Die Gefahr von Mullahs mit Nuklearwaffen scheint zumindest für die nächsten zehn bis 15 Jahre gebannt.

Und natürlich bietet der Wegfall der Sanktionen riesige Chancen für westliche Unternehmen. Der öl- und gasreiche Iran ist durch Missmanagement und die internationale Isolierung heruntergewirtschaftet. Die maroden Industrieanlagen müssen erneuert, Straßen, Eisenbahnlinien und Kraftwerke gebaut werden. Kein Wunder, dass bei vielen deutschen Firmen die Champagnerkorken knallen – in Erwartung von Milliardengeschäften.

Allerdings muss vor Naivität gewarnt werden. Die Mullahs haben sich nur deshalb zum Atom-Kompromiss durchgerungen, weil ihnen ökonomisch das Wasser bis zum Hals steht. Wenn sich die Lebensverhältnisse im eigenen Land nicht bessern, droht Unmut in der Bevölkerung. Das Regime ist sich dessen bewusst.
Hier endet die optimistische Einschätzung. Zwischen Washington, Brüssel und Berlin keimt zwar die große Hoffnung auf, dass die Entschärfung des Atomstreits eine Friedens-
Dividende bringen könnte. Es gebe gute Chancen, dass sich Teheran als nützlicher Makler im Syrienkonflikt einbringe, heißt es. Das dürfte sich jedoch als Wunschdenken erweisen. Die Iraner sind hartgesottene Verhandler, die stets ihre eigenen Interessen verfolgen. So wird Teheran an einer maßgeblichen Rolle des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad festhalten. Assad, der einer schiitischen Sekte angehört, garantiert den Einfluss der Mullahs in der Region. Der Iran will die schiitische Achse nach Bagdad, Damaskus und Beirut zementieren. Deshalb kann der Westen nicht darauf zählen, dass Teheran Schützenhilfe beim Aufbau einer demokratischen Führung in Syrien leisten wird.

Darüber hinaus ist der Iran keineswegs auf einen Abrüstungskurs eingeschwenkt. Die Forcierung des eigenen Raketen-Programms – erst kürzlich hat die Armee eine Mittelstreckenrakete getestet – unterstreicht dies. Nicht nur das notorisch um seine Sicherheit besorgte Israel misstraut deshalb den Sirenengesängen von einer neuen Entspannungsoffensive für Nahost. Auch die Idealisten, die im Windschatten des Atomabkommens auf eine Liberalisierung des Irans bauen, dürften enttäuscht werden.

Präsident Hassan Rohani mag zwar eine Öffnung der eigenen Gesellschaft in homöopathischen Dosen befürworten. Aber der oberste politische und religiöse Führer, Ali Khamenei, hat Pflöcke eingerammt. Einen politischen Ausgleich mit Amerika werde es nicht geben, dekretierte der Ajatollah. Damit sind dem Reformer Rohani die Hände gebunden.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass der Iran durch den Nuklear-Deal politisch und wirtschaftlich gestärkt wird. Das war auch das strategische Ziel der Mullahs. Genau dies führt aber zu zusätzlichen Problemen in der Nachbarschaft. Saudi-Arabien, das sich ebenfalls als Führungsmacht in der Region und zudem als sunnitischer Gegenspieler zum Schiitenstaat Iran begreift, wird künftig noch nervöser reagieren. Das Königreich fühlt sich durch Amerikas diplomatische Annäherung an den Iran verraten. Die Saudis schauen sich nach neuen Verbündeten um – zum Beispiel Richtung Türkei, die den syrischen Machthaber Assad mit der gleichen Verve aus dem Amt vertreiben will. Diese Konstellation macht Riad noch unberechenbarer.

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