Vor 125 Jahren startete von Hamburg aus das Hapag-Flaggschiff „Augusta Victoria“ zur ersten Kreuzfahrt der Geschichte.
Der erste Exot zeigt sich den Passagieren schon im Englischen Kanal: In türkischer Tracht, den typischen roten Fez auf dem Kopf, spaziert er lächelnd über das Promenadendeck. Doch der fröhliche Programmpunkt „Grüße des Orients“ weckt nur ein mattes Lächeln: Der hohe Wellengang macht den Reisenden mächtig zu schaffen. Immer wieder hängt einer über der Reling.
Die erste Kreuzfahrt der Weltgeschichte, zu der die „Augusta Victoria“ am 22. Januar 1891 von Hamburg aus startete, bewegt die Gäste vor allem physisch, es geht rauf und runter. „Faulenzen auf See ist doch riesig angenehm“, notiert der 33 Jahre alte Hapag-Chef Albert Ballin in seinem Reisetagebuch, „nur wird man dabei leichter seekrank.“
Und es ist kalt, fünf Grad unter null. In Cuxhaven türmen sich Eisschollen. Doch Ballin ist darüber nicht traurig – im Gegenteil: Nichts hebt Sinn und Zweck der Reise so deutlich hervor wie das winterliche Wetter. Denn genau diesem kalten Grausen wollen die Passagiere in wärmere Gefilde entfliehen.
Im Jahr zuvor hat Ballin sein für die Nordatlantikroute gebautes Flaggschiff um diese Zeit stilllegen müssen. Das war teuer. Danach aber hat er eine Idee, wie sich die „Augusta Victoria“ auch in der kalten Jahreszeit gewinnbringend unter Dampf halten lässt: Er erfindet die Kreuzfahrt.
Die erste Vergnügungsreise der Touristikgeschichte führt ins Mittelmeer: Gibraltar, Genua, Alexandria, Kairo, Jerusalem, Beirut, Damaskus, Konstantinopel, Athen, Malta, Palermo, Neapel in 57 Tagen. Es sind die Traumziele des deutschen Bildungsbürgertums, das seinen Goethe kennt.
Auch bei der Kalkulation kommt Ballin nicht ins Kleckern: Für den Komplettpreis von 2400 Goldmark könnten sich die Passagiere ebenso gut eine Villa kaufen. Die Herrschaften haben aber alle schon eine: Zur Abfahrt findet sich die Crème de la Crème der Kaiserzeit ein. Seine Majestät inklusive: Wilhelm II. geruht vor dem Auslaufen das Schiff höchstselbst zu inspizieren. Mitfahren wird er nicht, denn er hat selbst eine Yacht, die SMY „Hohenzollern“, und er ist auf dem Staatsdampfer schon 1889 zum Sultan nach Konstantinopel geschippert.
An Bord gründeten Passagiere einen „Verein gegen Seekrankheiten“
Tusch, Fanfare, Abmarsch. 241 Passagiere haben die „Exkursion“ in den Orient gebucht: Adelige, hohe Offiziere, mit und ohne Anhang, Konsuln, Senatoren, Direktoren, Aufsichtsräte, vier Rittergutsbesitzer.
Selfmadeleute: Paul Keitel hat in Haiti mit dem Import von Klavieren und dem Export von Kaffee Millionen verdient. Rudolf Otto Meyer fing mit Heizungen für Gewächshäuser an und machte daraus die Weltfirma Imtech. Carl Laeisz, Hamburgs berühmtester Reeder, ist Hapag-Großaktionär und hat 1889 die „Deutsche Levante Linie“ gegründet. Julius Pieck sitzt im Direktorium der Königlich Preußischen Eisenbahn zu Altona. Auch Ballin fährt mit. Das internationale Publikum führt Francis Needham an, 3. Earl of Kilmorey, Mitglied im House of Lords, „mit Gemahlin und Diener“. Und Colonel C. P. Ferry ruft seine Tochter May B. tatsächlich „Maybe“.
Der Seegang macht die ersten kirre, auf der Fahrt nach Southampton fällt für viele Passagiere das festliche Dinner gleich mal aus, doch sie gründen flugs einen „Verein gegen Seekrankheiten“ und legen per Satzung fest: „Sitzungen werden nur im Liegen abgehalten.“ Gleiches gilt später auch für manche Mahlzeiten, bei denen sich die Passagiere nach orientalischer Sitte auf Teppiche legen und die Genüsse mit den Händen greifen: Tische, Stühle, Teller und Besteck – Fehlanzeige.
Gegen die flauen Mägen spendiert Ballin am ersten Abend Austern satt. Einen Kreuzfahrt-Katechismus gibt es noch nicht, doch die typischen Verhaltensweisen bilden sich bald von selbst heraus: Flanieren an Deck und in den nobel gestalteten Salons. Kapitänsempfänge, Galaabende und musikalische Darbietungen. Konventionelle Kleiderordnung, tägliche Rituale: Fünf-Uhr-Tee, abends Tanz.
Auch der Maler und Zeichner Christian Wilhelm Allers ist an Bord. Er illustriert für seinen Bildband „Erinnerungen an die Reise der Augusta Victoria in den Orient“ Kulturdenkmäler und Volksleben im bunten Wechsel. Auch das exklusiv: nur 200 Exemplare.
„Die Stiefelputzerjungen, der zerlumpte blinde Bettler mit seinem kleinen Führer, die Beduinenkinder vom Ölberg mit ihrer unbewussten Schönheit und Grazie“, schildert der „Hamburgische Correspondent“ später in einer Rezension, „der glänzend schwarze Kawaß (bewaffnete Diener) der deutschen Templercolonie im heiligen Lande, der schlanke Hirtenknabe auf dem Weg nach Bethlehem, Beduinen mit ihren mageren Pferden, der türkische Soldat, der in der Geburtscapelle Posten steht, damit sich die christlichen Geistlichen nicht gegenseitig in der Andacht stören, die Bakschisch fordernden Wasserträgerinnen, ja selbst die schrecklichen Leprakranken sind in dem Skizzenbuch einverleibt worden.“
1896 folgte die erste Fahrt in die Karibik, 1900 der erste richtige Kreuzfahrer
So auch die Ankunft des Lotsenbootes in Alexandria oder Kairo und der Nil. Durch das Gebirge Juda geht es nach Jerusalem. Der böse Winter lässt auch am Mittelmeer nicht locker: Schneesturm auf dem Libanon. Abfahrt aus Griechenland im Schneegestöber. Dann Möwenschwärme über der Reede vor Konstantinopel. Und immer wieder Lastenträger, Seeleute, Eselstreiber.
Die Reise ist ein Riesenerfolg. Auch in den folgenden Wintern schickt Ballin Linienschiffe in den Süden. Im Winter 1896 folgt die erste Fahrt in die Karibik, und 1900 stellte die Hapag das erste exklusiv für Vergnügungsreisen gebaute Kreuzfahrtschiff der Welt in Dienst: die „Prinzessin Victoria Luise“. Da fahren schon viele alleinstehende Damen mit. Sie wollen die Welt bequem und ohne lästige Hotelwechsel sehen. Den Männermangel gleichen die Reedereien elegant aus: Zum Personal zählen bald auch „gentleman hosts“ oder „distinguished gents“ als Tänzer und Unterhalter.