Hamburg. Im Hightech-Konstruktionsraum wird die Innenausstattung von Flugzeugen bis ins Detail animiert. Das spart Zeit – und viel Geld.
Plötzlich kommt ein Frischwassertank neben dem Kopf angeflogen, manövriert sich an Metallstreben vorbei und findet seinen Platz im Bauch des Langstreckenjets A350. Weitere Teile wie Versorgungsleitungen schweben heran, setzen sich vor den runden Behälter, ehe der Abwassertank ins Bild fliegt und sich als Querriegel davorlegt.
So stellt sich die Szenerie für Dieter Kasch dar. Der 55-Jährige sieht ein wenig wie ein Nerd vom Mars aus. Er trägt eine schwarze Brille mit großen viereckigen Gläsern und Antennen, an deren Spitzen kleine weiße Kugeln aus reflektierendem Material sitzen. Sie geben dem Computerprogramm seine Position und seine Bewegungen durch und berechnen sie in die dreidimensionale Darstellung ein. Denn Kasch steht nicht in einem Flugzeug, sondern in einem schlichten schwarzen Raum mit Glasscheiben im oberen Stock eines Bürogebäudes, der bei Airbus den Namen Cave („Höhle“) trägt.
Der Maschinenbauingenieur ist bei Airbus seit fast 20 Jahren der Experte für Virtual Reality, also für realitätsgetreue Animationen zuständig. Das ist keine überflüssige technische Spielerei, sondern für das Unternehmen bei der Planung neuer Flugzeuge bares Geld wert. „In der Entwicklung können wir die Zeitabläufe wesentlich verringern sowie beträchtliche Einsparungen erzielen“, sagt Kasch, der als Bereichsleiter Chef von 30 Mitarbeitern ist. Die Kosten können jedes Jahr um mehrere Millionen Euro gedrückt werden. Um bis zu 80 Prozent werde beim Re-Engineering (der Neugestaltung des Prozesses) die Arbeitszeit gesenkt. Der Einbau von Geräten, Leitungen und Mobiliar kann dank der Software durchgespielt werden, in der Praxis werden zeitintensive überflüssige Ein- und Ausbauten von Teilen verhindert.
Seine vollständige Premiere feierte die Technik bei der Planung des größten Passagierflugzeugs der Welt, dessen Erstflug 2005 war. „Der A380 war der erste Airbus-Flieger, der komplett in 3-D entworfen wurde“, sagt Michael Lau. Der A380-Programmmanager hat im Erdgeschoss des Bürogebäudes in einem gemütlichen Polsterstuhl Platz genommen. Der kleine Saal ist quasi ein Heimkino. Wenn sich Vertreter der Fluggesellschaften ihre Innenausstattung aussuchen, lädt der 58 Jahre alte Designer sie dorthin. Zwei Projektoren werfen dann ein Bild auf die „Leinwand“, die genauso breit ist wie der Großraumflieger A380.
Wer sich die 3-D-Brillen aufsetzt, kann sich durch das Flugzeug bewegen. Von der Decke wird ein Lichtmosaik auf den Boden geworfen. Es gefällt dem Airlinevertreter nicht? Kein Problem. Es wird geändert. „Wir zeigen keinen Film, sondern eine Animation, basierend auf Onlinedaten, die wir jederzeit verändern können“, sagt Kasch. Lieber graue Sitze als braune? Wunsch erfüllt. Wie sieht in der ersten Klasse eigentlich das Bett im ausgeklappten Zustand aus? Oder die Bar? Die Dusche? Die Simulation zeigt es. „Der Kunde sieht in der virtuellen Kabine das Flugzeug so, wie er es später bekommt“, sagt Kasch. Und Lau ergänzt: „Man kann viel über die Ausstattung sprechen – aber man muss sie sehen.“ Jeder Kunde möchte für seine Bedürfnisse die beste Kabine haben. Ein sehr flexibles Konzept erlaube Anpassungen in Inch-Schritten, in Abständen von 2,54 Zentimetern.
Das Programm wird zur einen Hälfte für die Ermittlung von Kundenwünschen genutzt. Dabei ist es nicht nur für die Ausstattung des A380 im Einsatz, sondern auch beim ebenfalls voll in 3-D entworfenen und zu großen Teilen aus Kohlefaser-Verbundwerkstoffen bestehenden A350. Zudem wird es bei der Definition der Kabine für die A320-Familie genutzt, für die das Werk auf Finkenwerder das Kompetenzzentrum im Konzern ist.
Zur anderen Hälfte ist das Programm bei der Konstruktion wichtig. Jedes im Flugzeug verbaute Teil ist mit seinen Originaldaten in der Software eingespeichert. Wenn der Designer eine Idee für ein Produkt hat, entwirft er es in einer 3-D-Konstruktion. „Die Konstruktionsdaten, die an die Fräsmaschinen gesendet werden, werden eins zu eins mit Textur, Licht und Schatten in das 3-D-Visualisierungsprogramm übernommen“, sagt Lau. Natürlich müssen alle Produkte von den Zulassungsbehörden abgenommen werden. Die Darstellung der Gegenstände wie beispielsweise eines Sitzes beruht auf einer Vielzahl von Dreiecken, die sich in alle drei Dimensionen aneinanderfügen. „Die Oberflächen werden über Polygone beschrieben“, sagt Kasch.
In der „Höhle“ in der oberen Etage hat sich Kasch über seine Straßenschuhe Filzpantoffeln gestülpt, damit er die Folie auf der acht Zentimeter dicken Glasscheibe nicht beschädigt. Sie ist neben der Brille ein zentrales Element der 3-D-Darstellung und ermöglicht im Zusammenspiel mit 26 Apparaten die Projektion. Der früher häufige Einsatz von Holzattrappen und der Eins-zu-eins-Nachbau einer Kabine kommen heute immer weniger zum Einsatz – dank der Virtual-Reality-Crew. Kasch: „Unsere detaillierte 3-D-Darstellung des Innenraums ist in der Luftfahrt einmalig.“