Hamburg. Schlechte Zahlen des Konkurrenten und ein schwaches Umfeld am Kapitalmarkt hätten die Erstnotiz der Hapag-Lloyd-Aktie fast verhindert.
Der Börsengang der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd sollte das wirtschaftliche Ereignis des Jahres in Hamburg werden. Nach dem Hafenunternehmen HHLA 2007 wollte endlich wieder ein maritimes Unternehmen aus der Stadt den Sprung an den organisierten Kapitalmarkt wagen. Am Ende erinnerte der Börsengang an einen hollywoodreifen Film. Hochspannung, Intrigen, geheimnisvolle Wendungen und Männerfreundschaften machten aus der Story rund um Hapag-Lloyd eine Inszenierung, die reif für den Oscar gewesen wäre.
Dabei begann alles ganz harmlos: Am 28. September kündigte das Unternehmen den Gang an die Börse an. 500 Millionen Dollar, also umgerechnet knapp 446 Millionen Euro, wollte die fünftgrößte Reederei der Welt auf diesem Weg einsammeln. Manch einer der Experten rieb sich schon damals verwundert die Augen: „Ein Börsengang von Hapag-Lloyd, mitten in der Schifffahrtskrise? Wenn das mal gut geht!“
Andererseits konnte die Reederei nach einer langen ökonomischen Durststrecke endlich wieder positive Geschäftszahlen vorlegen. Um diesen Weg fortzusetzen, benötigte sie dringend frisches Kapital. Denn neue, teure Schiffe standen auf dem Wunschzettel des Vorstands. Und die Gesellschafter, allen voran der Reisekonzern TUI, wollten gerne ein paar ihrer Anteile versilbern. So gab die Reederei Mitte Oktober bekannt, dass sie Ende des Monats mit dem Aktienhandel an der Börse in Frankfurt beginnen wolle. Und es wurden erste pikante Details bekannt. Wegen der schlechten Stimmungslage am Aktienmarkt – bei VW war gerade der Abgasskandal bekannt geworden – hatten die Banken davor gewarnt, zu viele Aktien auf den Markt zu werfen. Die Verantwortlichen vom Ballindamm reagierten: Sie reduzierten das Emissionsvolumen auf 300 Millionen Dollar (265 Millionen Euro). Die Preisspanne pro Aktie sollte zwischen 23 und 29 Euro liegen. Der Startschuss für den Vorverkauf wurde gegeben.
Investoren konnten nun Aktienpakete an der Reederei reservieren. Und das Geschäft lief offensichtlich gut. Nach einer Woche waren die sogenannten Orderbücher zweimal gefüllt. Alles lief gut. Bis zu diesem ominösen Freitag, der aus der vermeintlichen Erfolgsgeschichte eine Zitterpartie mit ungewissem Ausgang machen sollte.
Anteilseigner wurden nervös, riefen bei den Banken an – und wollten aussteigen
Erst heute erzählen Insider, wie knapp Hapag-Lloyd damals an einer Blamage vorbeischrammte. Der Börsengang stand vor dem Aus, eine Absage hätte das Unternehmen um Jahre zurückgeworfen im Kampf der weltweiten Reedereien um Marktanteile und Machtpositionen. Auslöser war eine Nachricht, die in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen auf den Ticker gegeben wurde. Die dort beheimatete Reederei Maersk gab eine Gewinnwarnung heraus, reduzierte ihre Geschäftsprognose drastisch wegen der schlechten Branchenaussichten, wie es hieß. Damals – an diesem Freitag, den 23. Oktober. Exakt eine Woche vor dem geplanten Börsengang.
Die potenziellen Investoren reagierten extrem nervös. Nach außen drang davon allerdings nichts durch. Beruhigung war angesagt. Bloß nichts anmerken lassen. Doch in der Realität standen die Telefone bei den Banken, die den Börsengang vorbereiteten, nicht still. Man wollte raus aus diesem ungewissen Abenteuer Börsengang, sein Geld retten. Waren die Orderbücher wenige Stunden zuvor noch stark überzeichnet gewesen, drohte nun die Absage der Erstnotiz. Auch die von Hapag-Lloyd eiligst nachgeschobene Mitteilung, der eigene geschäftliche Ausblick bleibe – trotz der schwachen Maersk-Zahlen – unverändert, konnte die Anleger nicht umstimmen.
Die Banken informierten noch am Freitag das Unternehmen über die neue Lage, der Konzernvorstand berichtete den Gesellschaftern. Diese standen vor der Entscheidung, die Zeichnungsfrist zu verlängern und die Preisspanne für die Aktien zu senken – oder den Börsengang abzusagen. Im letzteren Fall wäre das Image von Hapag-Lloyd schwer beschädigt worden und ein erneuter Versuch für einen Börsengang auf Jahre hinaus unmöglich. Man entschied sich für das kleinere Übel. Am Dienstag darauf, dem offiziellen Ende der Zeichnungsfrist, teilte Hapag-Lloyd in einer Ad-hoc-Meldung mit, dass die Zeichnungsfrist für die Aktien um eine Woche verlängert und der Börsengang deshalb erst sieben Tage später als geplant stattfinden werde.
Um die Anleger zurückzugewinnen, schlugen die Banken vor, den Ausgabepreis für die Aktien auf 20 bis 23 Euro zu senken. Bei den Gesellschaftern stieß dieser Vorschlag zunächst auf vehementen Widerstand. Sie wollten keine Wertberichtigung ihrer Anteile vornehmen müssen. Die Eigner der chilenischen Reederei Compañía Sudamericana de Vapores (CSAV) hatten ein Jahr zuvor bei der Fusion mit Hapag-Lloyd noch annähernd 36 Euro pro Aktie gezahlt. Sie wollten nicht auf bis zu 16 Euro pro Papier verzichten. Noch ungünstiger sah das Geschäft für die Stadt und den Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne aus. Denn beide hatten die Aktien mit einem Stückpreis von 41,22 Euro in den Büchern stehen. Die Gesellschafter wollten dem Rat der Banken nicht folgen, den Börsengang lieber absagen. Es begannen dramatische Stunden.
In langen Telefonaten zu nächtlichen Stunden versuchten Hapag-Lloyd-Vorstandschef Rolf Habben Jansen und der Aufsichtsratsvorsitzende Michael Behrendt die Gesellschafter von der Notwendigkeit des Schritts zu überzeugen. Diplomatisch wies Behrendt immer wieder darauf hin, dass die Reederei das Geld unbedingt jetzt benötige, um teure Anleihen abzulösen und Luft für neues Wachstum zu haben. Und er erinnerte daran, dass die Gesellschafter bei der Fusion selbst dafür gestimmt hatten, einen Börsengang innerhalb eines Jahres durchzuführen. Sollten diese Zusagen nun keine Gültigkeit mehr haben?
Auf die Seite der mahnenden Reedereimanager schlug sich schließlich der Reisekonzern TUI, der seine knapp 14 Prozent an Hapag-Lloyd lieber heute als morgen auf den Markt bringen wollte. In der Vorstandsetage in Hannover war man sich schnell einig, dass es besser sei, den Börsengang auch mit Verlusten durchzuführen. Die Überlegung: Sei Hapag-Lloyd erst einmal an der Börse notiert, könne TUI die Anteile leichter veräußern – und zudem könnte der Kurs in den Folgemonaten auch noch steigen. Das Ja der TUI-Zentrale war die Initialzündung.
Denn nun stimmten alle Eigner den abgespeckten Börsenplänen zu. Auch die Chilenen, die die größten Bedenken hatten. Am Freitag, 6. November, war es schließlich so weit. Hapag-Lloyd ging in Frankfurt an die Börse – mit einem Preis von 20 Euro je Aktie, also am untersten Ende der Preisspanne. Aufsichtsratschef Michael Behrendt läutete die Börsenglocke, Vorstandschef Rolf Habben Jansen posierte lachend neben der mächtigen Bullenstatue, dem Symbol der Stärke vor der Frankfurter Börse. Und die Öffentlichkeit? Sie reagierte mit Häme und Spott. Von „Ausverkauf“ und „Sonderangebot“ war die Rede. Der Börsenwert der Reederei betrug schließlich nur noch 2,4 Milliarden Euro – sogar der Lebensmittel-Lieferdienst Hello-Fresh sei mehr wert, hieß es.
Und am Ballindamm schoben die Mitarbeiter Maersk den Schwarzen Peter zu. Die schlechte Prognose der Dänen sei absichtlich an dem ominösen Freitag herausgegeben worden, um Hapag-Lloyd zu schaden, hieß es. Reedereichef Habben Jansen, einst selbst bei Maersk beschäftigt, reagierte deutlich gelassener, sprach von einem unglücklichen Zufall – und war wohl einfach nur froh, dass der Börsengang am Ende doch noch geklappt hat.