Altstadt. Für den Bau einer Flüchtlingsunterkunft reicht das Polizeirecht nicht. Urteil zu Klein Borstel wird noch vor Weihnachten erwartet.

Wie die Zeiten sich ändern. Als das Hamburger Verwaltungsgericht am 23. Januar den Stopp von Bauarbeiten für eine Flüchtlingsunterkunft an den Sophienterrassen verkündete, konnte die Richterschelte von SPD- und Grünen-Politikern nicht deftig genug ausfallen. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) erklärte gar, diese Entscheidung werde man nicht akzep­tieren.

Als die Verwaltungsrichter am vergangenen Mittwoch den Bau einer Einrichtung am Fiersbarg in Lemsahl- Mellingstedt untersagten, blieb es auf Regierungsseite weitgehend still. Auf Nachfrage beim Flüchtlingskoordinator hieß es, gegenwärtig würden lediglich 22 Unterkünfte auf Grundlage des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) geplant. Die Botschaft: Alles ist halb so wild.

Die zur Schau getragene Gelassenheit überrascht. Immerhin stoppte mit dem jüngsten Urteil zum dritten Mal in jüngerer Zeit ein Gericht den Bau einer Unterkunft für Flüchtlinge.

Worum geht es? Um vielen Flüchtlingen rasch ein Dach über dem Kopf zu bieten, hatten Hamburgs Behörden das SOG entdeckt. Dieses ermächtigt sie, Maßnahmen zu ergreifen, „um Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren“.

Dass eine Unterbringung von Flüchtlingen der Gefahrenabwehr dient, ist evident. Allerdings gingen die Behörden davon aus, dass es mit Anwendung des SOG unnötig sei, Vorgaben des Baurechts, das erhebliche Anwohnerrechte sichert, zu berücksichtigen. Diesem Ansatz haben die Verwaltungsrichter mit ihren Entscheidungen einen Riegel vorgeschoben. Sie verfügten, dass Behörden auch dann, wenn sie beim Bau einer Flüchtlingsunterkunft das SOG anwenden, ein Baugenehmigungsverfahren durchführen müssen.

Asylunterkunft in Rosengarten ausgebrannt

In Klecken  in der niedersächsischen Gemeinde Rosengarten ist in der Nacht zum Mittwoch eine Sozialunterkunft, in der überwiegend Flüchtlinge leben, in Flammen aufgegangen
In Klecken in der niedersächsischen Gemeinde Rosengarten ist in der Nacht zum Mittwoch eine Sozialunterkunft, in der überwiegend Flüchtlinge leben, in Flammen aufgegangen © dpa | Axel Heimken
Das Wohnheim ist vollständig ausgebrannt
Das Wohnheim ist vollständig ausgebrannt © dpa | Axel Heimken
Nach dem Brand wurde eine Leiche gefunden. Ob es sich dabei um einen noch vermissten Bewohner der Unterkunft handelt, war zunächst unklar
Nach dem Brand wurde eine Leiche gefunden. Ob es sich dabei um einen noch vermissten Bewohner der Unterkunft handelt, war zunächst unklar © dpa | Axel Heimken
Nach Zeugenaussagen war es innerhalb des Gebäudes zu einer Explosion gekommen. Der Dachstuhl fing daraufhin Feuer
Nach Zeugenaussagen war es innerhalb des Gebäudes zu einer Explosion gekommen. Der Dachstuhl fing daraufhin Feuer © dpa | Axel Heimken
Hinweise, dass aus fremdenfeindlichem Motiven ein Brand gelegt wurde, gab es der Polizei zufolge zunächst nicht
Hinweise, dass aus fremdenfeindlichem Motiven ein Brand gelegt wurde, gab es der Polizei zufolge zunächst nicht © dpa | Axel Heimken
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Auf dieser Grundlage stoppten die Richter Ende Oktober den Bau einer Folgeunterkunft für 700 Personen in Klein Borstel und am Mittwoch die Errichtung der Erstaufnahmeeinrichtung Fiersbarg. In beiden Fällen seien Rechte von Nachbarn nicht ausreichend berücksichtigt worden, urteilten die Verwaltungsrichter. Auch bei der Ablehnung eines Eilantrags gegen eine Einrichtung in Bergstedt verwiesen die Richter auf das Baurecht. Hier kamen sie allerdings zu dem Schluss, dass die Gegner der Einrichtung in ihren Rechten nicht verletzt worden seien.

Die jüngsten Entscheidungen der Verwaltungsrichter zeigen den Behörden Grenzen auf. Das bedeutet jedoch nicht, dass nun keine Flüchtlingsunterkünfte mehr errichtet werden können. Basis muss nur, so sehen es die Verwaltungsrichter, ein Baugenehmigungsverfahren sein.

Das Anfang Oktober vom Bundestag veränderte Baurecht privilegiert inzwischen die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften. Während für einen normalen Häuslebauer hohe Standards – zum Beispiel bei der Bürger­beteiligung – gelten, kann der Staat Wohnungen für Flüchtlinge aufgrund umfassender Ausnahmetatbestände unbüro­kratisch errichten.

Die Politik reagierte mit der Gesetzesänderung auf den gestiegenen Bedarf an Flüchtlingsunterkünften, hatte dieser doch schonungslos die Grenzen des alten Baugesetzes aufgedeckt.

Allerdings wächst die Kritik an den beschlossenen Ausnahmetatbeständen. Nicht wenige Juristen wenden ein, dass damit ein doppeltes Baurecht geschaffen wurde. Kopfschütteln gibt es auch in der Wohnungswirtschaft. Eigentlich weiß jeder, dass Integration nur in durchmischten Wohnquartieren gelingt. Die Neuregelung des Baurechts zwingt jedoch zur Errichtung von Flüchtlingsgettos.

Beobachter rechnen damit, dass es nicht lange dauern wird, bis die Änderungen im Baurecht dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorliegen. Karlsruhe werde prüfen müssen, ob der im Grundgesetz verbriefte Gleich­behandlungsgrundsatz verletzt wird, wenn der Staat sich beim Bauen von Flüchtlingsunterkünften per Gesetz von fast allen Regeln befreit.

Auch Artikel 14 wird von Kritikern angeführt. Demnach glauben sie, dass ausgerechnet der Staat mit den Änderungen im Baurecht die Verpflichtung dem Gemeinwohl gegenüber, die sich aus seinem Eigentum ergibt, nicht erfüllt.

Ob Hamburgs Behörden mit ihrem Vorgehen scheitern, dürfte sich möglicherweise schon in den nächsten Tagen erweisen. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Sachen der Folgeunterkunft Klein Borstel wird noch vor Weihnachten erwartet.